piwik no script img

ORTSTERMIN: MIT WOHNUNGSLOSEN ERSTSEMESTERN IM PROTESTCAMPJuristen im Matsch

gibt ständig was zu tun“

NICO, WOHNUNGSSUCHENDER STUDENT

Felix beugt sich mit einem zu kurzem Löffel in den Dampf, der aus dem großen Alutopf steigt. Dann streckt er den Rücken wieder und versucht durch seine beschlagenen Brillengläser zu gucken. „Och nee“, stöhnt er und wirkt kurz ein wenig orientierungslos. Der Jura-Student ist 26 Jahre alt und erkältet. Er rührt trotzdem kiloweise Risotto an, weil einige Erstsemester sonst hungrig in ihre kalten Schlafsäcke schlüpfen müssten.

Felix versorgt Studierende, die neu in Göttingen sind und noch keine Wohnung gefunden haben. Sie schlafen in einem Camp, das die „Wohnrauminitiative“, ein Zusammenschluss von Studierenden, die für selbstverwaltetes und vor allem bezahlbares Wohnen eintreten, im Garten eines Wohnheims aufgebaut hat. „Wir haben gesehen, dass jedes Jahr die Wohnungsnot kommt und der wollten wir etwas entgegen setzen“, sagt Thomas Winkelberg, ein bärtiger junger Mann und Kontaktperson für die Presse.

In der Tat ist es in den letzten Jahren schwieriger geworden, als Erstsemester in Göttingen eine Wohnung zu finden. Das hängt zum einen mit immer knapper und teurer werdendem Wohnraum zusammen. Zum anderen liegt es daran, dass sich der Studienbeginn ins Wintersemester verlagert hat und alle Erstsemester zeitgleich suchen. Winkelberg erzählt, dass in den letzten vier Wochen etwa 50 Leute im Camp gewohnt hätten, viele seien inzwischen fündig geworden. Zurzeit schlafen noch rund 15 in drei großen Gemeinschafts und einem halben Dutzend Igluzelten. Geduscht wird im Keller der angrenzenden WGs, weiteren sanitären Luxus bieten zwei Dixi-Klos.

Abends sitzen die Bewohner am Lagerfeuer. Oft spielt jemand Gitarre. Heute haben allerdings The Doors übernommen. Während Felix weiter im Risotto rührt und unter der beschlagenen Brille leidet, singt Jim Morrison „I looked at you“. Der Sound kommt aus Boxen im Gemeinschaftszelt, einer Jurte, in der ansonsten vor allem alte Sofas stehen und Teppiche liegen.

In Sesseln rund um einen Gartentisch sitzen Ingo und Johannes. Ingo sagt: „Das sind bestimmt 90 Prozent Typen hier.“ Warum das so ist, weiß keiner so genau. Johannes und Ingo haben sich im Camp kennengelernt und suchen nun mit zwei anderen gemeinsam eine Wohnung. Das sei gar nicht so einfach, sagt Johannes: „Egal, wo man anruft: Entweder ist die Wohnung schon vergeben oder es heißt, die sei nicht WG-geeignet.“

„Es ist halt arschkalt und es

Auch Nico gehört zu der zukünftigen Wohngemeinschaft. Er hofft, dass sie bald etwas finden. „Es ist ziemlich cool im Camp und wir haben viele Leute kennen gelernt“, sagt er. „Aber es ist halt auch arschkalt und es gibt ständig was zu tun: kochen, Holz holen, Feuer machen.“ Neben der Kälte ist der Matsch das zweite große Problem. Deswegen werde das Camp auch Anfang November so allmählich aufgelöst, erklärt Felix, denn „dann wird es einfach zu kalt“.JAKOB EPLER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen