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Krieg gegen Milizen in Nairobis Slums

Seit Tagen geht Kenias Polizei gegen die Miliz „Mungiki“ in den Armenvierteln der Hauptstadt vor. Was als bewaffnete Oppositionsgruppe begann, ist heute eine brutale Erpresserbande. Aber der staatliche Feldzug ist nicht weniger brutal

AUS NAIROBI MARC ENGELHARDT

Der Slum von Mathare ist am Freitag ein stiller Ort. Geflüsterte Gespräche auf den Pfaden, die durch einen der größten Slums von Kenias Hauptstadt Nairobi führen, verstummen, sobald ein Fremder auftaucht. Niemand will etwas gesehen, gehört oder erlebt haben. Kaum zu glauben, nachdem einen Tag zuvor 500 schwer bewaffnete Elitepolizisten einen Bewohner nach dem anderen aus ihren Hütten zwangen. Tausende Menschen lagen für Stunden mit dem Gesicht nach unten im Schlamm. Drei Stunden nach Beginn der Operation brachen Polizisten in Läden ein, um wenigstens die schreienden Babys mit Milch zu versorgen. Elf Verdächtige wurden in Häusern oder auf offener Straße erschossen, bevor die Polizei schließlich abzog.

„Zwei Polizisten haben mich mit ihren Stiefeln überall hin getreten und immer wieder geschrien: Sag uns, wo sich die Mungiki verstecken“, flüstert ein junger Mann. „Aber ich wusste nichts. Irgendwann haben sie mich einfach liegen lassen und sich andere vorgeknöpft.“ Andere, nach Angaben der Polizei mehr als 200, wurden auf Lastwagen geladen und abtransportiert. Was mit ihnen geschieht, weiß niemand. In Nairobi herrscht Krieg, tönt der Vizekommandeur der kenianischen Polizei, Lawrence Mwadime. „Und den werden wir gewinnen.“

Sicherheitsminister John Michuki hatte Anfang der Woche die Devise ausgegeben, Verdächtige im Zweifel zu erschießen. Ziel der Razzien sind die „Mungiki“, eine in Nairobis Slums und Kenias Highlands beheimatete mafiöse Sekte. Die „Mungiki“ – Kikuyu für Masse oder Mob – gehen auf die antikoloniale Mau-Mau-Revolte in den 50er Jahren zurück. In den 90ern bildete die Gruppe im Zentrum Kenias oppositionelle Milizen, in Nairobi entwickelte sie sich zu einer kriminellen Organisation, die Schutzgelder erpresste und Schläger vermietete.

Vor einigen Wochen erhöhten die Mungiki ihre Schutzgeldtarife. Nairobis Minibusbetreiber weigerten sich, zu zahlen. Seitdem wurden elf Busfahrer bestialisch ermordet – zweien von ihnen hackten Milizionäre vor den Augen der Fahrgäste Kopf, Gliedmaßen und Geschlechtsteile ab.

Inzwischen hat der Polizeifeldzug gegen die Mungiki 30 Tote gefordert. „Wir wissen nicht, vor wem wir mehr Angst haben sollen“, zittert die Hausfrau Wandia Wanjiku, die inzwischen aus Mathare geflohen ist. In Nairobis anderen Slums, in denen zwei Millionen Menschen leben, fürchten die Bewohner, dass die Kämpfe auch zu ihnen kommen.

Die Stimmung ist deshalb besonders aufgeheizt, weil in einem halben Jahr in Kenia Walen anstehen. Oppositionsführer Raila Odinga wirft drei Ministern eine Verstrickung in die mafiösen Machenschaften der Mungiki vor, darunter Sicherheitsminister Michuki. Einer der Beschuldigten warf wiederum Odinga vor, die Gruppe zu finanzieren. Die Vorwürfe seien der Hauptgrund für die Todesschüsse bei den Polizeirazzien, so flüstern Slumbewohner. „Tote reden nun mal nicht.“

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