: Die schönen Avantgardistinnen
SELBSTVERTRAUEN Die japanischen Fußballerinnen wissen, was sie können, und fühlen sich gegen Deutschland dennoch in der Rolle der Außenseiterinnen. Aber die wollen sie mit einem Sieg feiern
VON LENNART WEHKING UND RICHARD MUSSBACHER
Japans Fußball ist im Kommen, den besten Beweis liefern diese quirligen Fußballerinnen bei ihren WM-Auftritten in den deutschen Stadien: Japan ist das vermutlich spielerisch beste Team diese Turniers. Ihr schnelles, präzises Passspiel, die Lauffreude und der Teamgeist führte die Japanerinnen bis ins Viertelfinale. Guido Buchwald, Weltmeister von 1990 und Japankenner, ist nicht verwundert: „In puncto Einstellung, Technik und Willenskraft sind die Japanerinnen im Frauenbereich sehr weit.“
Ein Blick auf die Fifa-Weltrangliste unterstreicht die aufstrebende Tendenz, Japan liegt mit Platz vier noch vor Schweden, England und Frankreich. Mehr und mehr japanische Talente haben es in europäische Profisysteme geschafft. Am stärksten profitieren die Bundesligen von dieser Entwicklung.
Yuki Nagasato (Potsdam) und Kozue Ando (Duisburg) wirbeln in der Frauenbundesliga durch die gegnerischen Abwehrreihen, gar sechs japanische Spieler stehen in den Kadern für die anstehende Bundesligaspielrunde der Männer. Der teaminterne Status von Kagawa & Co. spiegelt die positive Entwicklung wider: Bankdrückerdasein und Exotenstatus sind längst passé. Junge Talente ins Ausland zu entsenden, sei kein Alleinstellungsmerkmal des Fußballs, versichert der 56-jährige Mario Amizic.
Der Kroate war neun Jahre japanischer Tischtennisnationaltrainer. Er kennt, so sagt er, die japanische Mentalität bestens. „Die Belastbarkeit der Sportler ist schon in jungen Jahren extrem hoch .“ Das Ziel, Talente früh zu erkennen und zu fördern, schlägt sich bereits im Schulsystem Japans nieder. Sportunterricht habe einen ganz anderen Stellenwert als in den meisten europäischen Ländern, so der renommierte Tischtennislehrer, der an einer österreichischen Tischtennisakademie europäische Begabungen formt. Was bisher nach der strukturierten Schulausbildung junger Sporttalente fehle, um im weltweiten Vergleich zu bestehen, seien professionelle Wettkämpfe. Und die holen sich die Sportler nun im Ausland.
Auffällig ist die Zielstrebigkeit und die Lernbegeisterung der jungen Sportler. „Die Einstellung und die Loyalität gegenüber den Trainern ist nicht zu vergleichen mit der europäischen Mentalität.“ Also die Fähigkeit, nicht zu meckern und zu mosern. Bernd Schröder, Trainer des aktuellen deutschen Meisters Turbine Potsdam, ist voll des Lobes für seine japanische Stürmerin Nagasato: „Sie ist wissbegierig, hat sehr schnell Deutsch gelernt und sich perfekt integriert.“
Auch die Zusammenarbeit mit dem japanischen Fußballverband funktioniere einwandfrei. Für die heutige Halbfinalpartie gegen Deutschland wird diese freundschaftliche Beziehung kurz unterbrochen. Die Japanerinnen sind trotz der Außenseiterrolle zuversichtlich. „Gegen England sind wir etwas zu vorsichtig gewesen, gegen Deutschland wird sich das ändern“, glaubt Nationaltrainer Norio Sasaki selbstbewusst.
Vor dem Viertelfinale sorgt aber auch einmal mehr das Erdbebenunglück und die damit verbundene Atomkatastrophe von Fukushima für Gesprächsstoff. Lange Zeit konnte das japanische Nationalteam aufgrund der Verstrahlung gar nicht im eigenen Land trainieren.
Man musste alle Testspiele für diese WM in den USA absolvieren. Dass Japan bereits zu den absoluten Topteams des Frauenfußballs zählt, zeigt die Einstellung der Spielerinnen. „Fukushima hat uns stärker gemacht. Seither sind wir zu einem Team zusammengewachsen. Vor der WM war die Erdbebenkatastrophe ein großes Thema innerhalb der Mannschaft, aber nun konzentrieren wir uns auf unsere Spiele“, sagt Kapitänin Homare Sawa.
Egal wie die Partie enden wird, nach dem Spiel werden die Japanerinnen zum Dank an die Anteilnahme an der Katastrophe wieder ihr Transparent auf den Rasen tragen, das sie bisher bei jedem WM-Auftritt hochhielten: „An unsere Freunde in aller Welt. Danke für eure Unterstützung.“
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