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Zweimal geht die Sonne unter

KINO Die Duisburger Filmwoche zeigt „magische Dokumentarfilme“ mit Reisen zum Mond, zu Uranminen und in die eigene Vergangenheit der Regisseure

Die Filmemacher in Duisburg interessieren sich für jenes Dazwischen, für das man erst Bilder finden muss

VON CAROLIN WEIDNER

Es gibt im Duisburger Kino „filmforum“ eine Vorrichtung – existierte sie (allem Anschein nach) nicht auch während der üblichen Spieltage abseits der Filmwoche, man könnte meinen, sie sei extra für dieses Dokumentarfilm-Publikum installiert worden, so gut passt sie ins Geschehen. Sie hat mit einem schmalen Korridor zu tun, durch den man muss, möchte man das Kino betreten respektive verlassen. Denn in diesem Korridor, der zur Schleuse zwischen drinnen und draußen wird, wabert etwas. Ein dichter Nebel. Der das Sichtfeld kurz trübe macht, ein regelrechter Zaubernebel – der eigentlich nichts weiter ist als Zigarettenqualm.

Vor gar nicht allzu langer Zeit durfte auch noch innerhalb des Gebäudes geraucht werden. Ging man nach dem Film zur anschließenden Diskussion mit dem Regisseur in den Raum nebenan, versank die illustre Gruppe von Diskutanten in dieser Suppe. Zumindest hat man das so erzählt. Nun gibt es E-Zigaretten, wenn es gar nicht auszuhalten ist. Oder halt nichts. Und alle müssen sich draußen versammeln und erschaffen dabei diese magische Schleuse zwischen Dokumentarfilm-Ufo und Restwelt. Und das Wandeln zwischen diesen Welten wird umso effektvoller und schöner, hält man sich die Wege und Reisen vor Augen, die von der Leinwand ausgehend dann letztlich unternommen werden. Während der 38. Filmwoche reichten sie sogar bis zum Mond.

Marcin Malaszczak, der schon 2013 mit seinem Film „Sieniawka“ eine Seitenstraße des Sublunarischen eingeschlagen hat, setzt diesen Weg in „Orbitalna“ fort. Ort scheint auch dieses Mal die Woidwodschaft Niederschlesien zu sein. Malaszczak beobachtet seine Tante Bogna Dobrzaniecka, die sich in einer mondähnlichen Kraterlandschaft zwischen Beförderungsbändern und Maschinenkabinen bewegt und einer einsamen, monotonen Tätigkeit nachgeht. Später verliert die Kamera die Frau aus dem Blick und überlässt sich der Technik, die sie sieht, fährt Maschinen ab und ist hypnotisiert von Knöpfen und Schaltern.

Zu einer weiten Reise hat sich auch Lukas Marxt für seinen Film „Double Dawn“ aufgemacht. Ziel hier: ebenfalls ein Schlund, der sich in die Erde gräbt. Für ein paar Stunden ist seine Linse auf die Ranger-Uranmine in Australien gerichtet, ein dunkles Tal, das sukzessive ausgeleuchtet wird. Mit dem Licht der Sonne nämlich, und das gleich zweimal. Denn in „Double Dawn“ geht die Sonne auf und wieder unter und wieder auf und das kurz hintereinander. Eine Sonnenfinsternis mit einer Gesamtdauer von 1 Minute und 40 Sekunden.

Grillen, Vögel und Stille

Dabei ist nicht nur dieser schwarze, bald gräuliche, dann etwas heller leuchtende Grund prominent, sondern vor allem auch die Geräuschkulisse dazu. Grillen und Vögel und Fahrzeuge und Stille. Man fühlt sich erinnert an eine kleine Episode in Eric Rohmers „Die Abenteuer von Reinette und Mirabelle“, da stehen die zwei Mädchen auf einer Wiese und warten auf die Minute zwischen Nacht und Morgen, in dem die Natur zum Schweigen kommt und ein gespenstisches akustisches Vakuum übernimmt. Sowieso interessieren sich die (sehr jungen) Filmemacher in Duisburg für jenes Dazwischen, für das man erst mal Bilder finden muss.

Henrike Meyer beispielsweise steht bei Dämmerung auf einem Acker in Norddeutschland und lauscht. Oder überlässt sich auf einer Hollywoodschaukel flegelnd einer gewissen Schwermut. Szenen aus ihrem Film „Heimsuchung“, in dem es um Geister geht und das alte Landhaus von Großmutter Lulu, die gestorben ist. Auch Ascan Breuer spürt seiner Herkunft in „Riding My Tiger“ nach und reist hierfür bis nach Java. Die Vergangenheit begegnet dem jungen Mann dort in Form des Wayang Kulit, einem mystisch-spirituellen Puppentheater. Ein Motiv, das ganz gut zu der Art von Dokumentarfilm passt, die Breuer im Sinn hat: der „magical documentary“.

Und dann gibt es noch einen dritten Regisseur, der sucht und reist und vielleicht findet: Jide Tom Akinleminu. In seinem „Portrait of a Lone Farmer“ fährt er in ein kleines Dorf in Nigeria, in das sein Vater zurückgekehrt ist, nachdem er mit der dänischen Mutter des Filmemachers die gemeinsamen Kinder großgezogen hat. Akinleminu möchte verstehen, was den Vater zu dieser Entscheidung bewogen hat. Und er begegnet einer Welt von High Chiefs und Großvätern, männlichen Ahnenfolgen, deren Teil sein Vater ist und zu seiner eigenen Überraschung auch er selbst. Eine private Recherche, die 3sat mit dem eigenen Dokumentarfilmpreis belohnt. Über all diesen Suchbewegungen aber hängt der Verlust von Peter Liechti, Harun Farocki und Michael Glawogger. Und dies ist etwas, das dicht wabert, aber leider kein Zaubernebel ist.

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