piwik no script img

Es geht um alles und nichts

Am Samstag feierte das Hamburger „FreizeitkickerInnen-Fußball-Turnier“ seinen 30. Geburtstag. Mittendrin und zum 17. Mal dabei: „Nirvana Eimsbüttel United“, eine Hobbymannschaft aus Hamburg, die bereits seit 20 Jahren besteht

„Nirvana Eimsbüttel United“ entstand aus einer Volkszählungsboykottgruppe

Die Null muss stehen. „Wenn wir lange ein Unentschieden halten, werden sie nervös. Im Elfmeterschießen haben wir sie dann“, gibt Conny die Taktik für das Halbfinale des FreizeitkickerInnen-Turniers aus. Und dann stehen sie da und warten, die Wochenend-Ronaldinhos von „Nirvana Eimsbüttel United“. Der Regen prasselt wasserfallartig auf sie nieder und überschwemmt den Grandacker in der Tornquiststraße in Hamburg-Eimsbüttel. Hinter dem Tor lässt ein kleiner Junge ein Bötchen in der Pfützen schwimmen und an der Seitenlinie stehen die Mitspieler und Familien mit ihren Kindern unter blauen Plastikplanen.

Dann watet ein Schiedsrichter mit einem Regencape durch den Matsch und schließlich auch das gegnerische Team von „Inter Treibeis“. „Wir spielen bei jedem Wetter! Gluthitze, Schnee, Hagel. Völlig egal“, sagt Marco Carini, taz-Redakteur und Vollbluthobbykicker bei „Nirvana“. Es geht hier um alles und nichts. „Natürlich will man gewinnen, sonst ist der Tag schon mal hinüber“, sagt Leo, der seit sechs Jahren bei „Nirvana“ spielt und mit glänzenden Augen von vergangenen Toren und Grätschen erzählt.

Doch geht es bei Hobbymannschaften wie „Nirvana Eimsbüttel United“ um mehr als um Tore und Siege. Die Männer fahren samt ihrer Kinder gemeinsam in den Wochenendurlaub oder musizieren in der eigenen Band. Es sind Freundschaften entstanden, die weit über das Fußballfeld hinausgehen. Der 26-jährige Medizinstudent „Mini“ ist nach einer sechsjährigen Pause vor einem Jahr wieder zu „Nirvana Eimsbüttel United“ gestoßen. Er ist der Jüngste im Team und spielt zudem bei den 6. Herren des FC St. Pauli: „Bei Ligaspielen wird da ganz selten gelacht, vielmehr konstant geschrien. Du musst da einfach dein Können abrufen, obwohl wir in einer der untersten Ligen Hamburgs spielen.“

Das FreizeitkickerInnen-Turnier versucht ein solches Leistungsdenken ad absurdum zu führen. Organisatorin Renate Möller, normalerweise Layouterin bei der linken Monatszeitung „Analyse und Kritik“, sagt: „Hier ist alles ganz peacig. Die einzig wirkliche Rivalität besteht im Kampf um den Hans-Hubert-Vogts-Pokal“, die Trophäe für das schlechteste Team des Turniers.

„Heute sind wir auf jeden Fall ein heißer Anwärter“, sagt Jonas von „Rote Tasse Creisch“, lacht und nippt an seinem Bier. Eben noch unterhielt er sich mit Thorsten von den „Sportsfreunden Valerij Lobanovsky“ über den eigentlichen Gedanken des Turniers. Früher sei es viel politischer gewesen, sagt Thorsten. Dass es heute kein politisches Rahmenprogramm mehr gibt, stört ihn aber nicht. Wichtiger sei es, Fußball auf diesem Niveau als Medium zu begreifen. Man ist hier auch um sich mit Freunden zu treffen, sich auszutauschen.

Einen linken Background haben fast alle Teams. Viele von ihnen formierten sich im Rahmen sozialer Initiativen: So auch „Nirvana“, das 1987 aus einer Volkszählungsboykottgruppe hervorging.

Im Halbfinale glänzen einige „Nirvana“-Spieler mit filigraner Fußballkunst. Der Pass mit der Pieke landet im Gebüsch, der nächste beim Gegner und der dritte fliegt dem eigenen Mitspieler im Gesicht. Zwischen Pfützen und Beinen wird nach dem Ball gestochert, dann stolpert der Außenläufer und rutscht auf dem Bauch ins Seitenaus. Zufällig ist hier aber nichts. Im Viertelfinale dreht Gerald einen Ball aus 20 Metern in den Winkel: „Das war gewollt“, sagt er und grinst.

Gegen „Inter Treibeis“ heißt es beim Abpfiff tatsächlich 0:0 und es geht ins Elfmeterschießen. Zuvor besang die „Nirvana“-Band ihren Goalie noch mit einem charmanten A-cappella-Blues: „Box’ ihn raus, fang’ ihn ab. Du wirst sie verdrießen im Elfmeterschießen, Dennis!“ Es nützt alles nichts, die Treibeis-Schützen schießen scharf, Dennis ist ohne Chance. Doch die Manolitos rasseln weiter, besingen ihre Helden, von denen es niemals Panini-Bildchen geben wird und auch keinen doppelten Übersteiger. Doch darum geht es auch nicht. Andreas Bock

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen