: Von der Tranigkeit der Salzwiesen-Enten
Weil die Eiderstedter kein Land verkaufen wollten, musste der Leuchtturm Westerheversand ins Watt gebaut werden. Doch das Risiko wurde zur Chance: Gleich in Serie wurden bald die Stahlformen produziert, aus denen vor genau 100 Jahren das Bauwerk gegossen wurde
Wollen Sie Kuh-Roulette spielen oder lieber am Krabbenpul-Wettbewerb teilnehmen? Es ist dem Besucher freigestellt, auf welche Art er den Hundertsten des Leuchtturms Westerheversand begehen will. Fest steht, dass da heute ein rauschendes Fest startet, das so viele Menschen anziehen könnte, wie sich wohl zuletzt beim Bau des Turms dort versammelten.
Dabei ist der Turm architektonisch bei weitem nicht so altertümlich-idyllisch, wie es die Eiderstedter Tourismus-Branche behauptet: Konstruiert wurde das Gebäude aus den bereits in Großbritannien erprobten gusseisernen Platten, aus denen auch die Türme von Pellworm, Hörnum und Büsum bestehen. Das Erfolgsgeheimnis: Stahl war wesentlich leichter als Beton und versank nicht so schnell im Watt.
Warum aber musste der Turm überhaupt so weit draußen errichtet werden? Warum muss sich der Besucher heutzutage 20 Minuten lang durch Salzwiesen dorthin kämpfen? Die Antwort ist schlicht: aufgrund der oft beschrieenen Sturheit der Menschen von Westerhever. Sie wollten kein Land verkaufen, als der Bau des Leuchtturms anstand. Warum, ist unklar: Vielleicht fürchteten sie Konkurrenz für ihren Kirchturm. Der war niedriger als das geplante Leuchtfeuer und zudem so genannte Tagessichtmarke für vorbeikommende Schiffe.
Festland gab es also keines für den Turm. Weshalb er im Watt errichtet werden musste. Ein bisschen heikel, dieser öffentliche Grund, und deshalb wurden zunächst 127 Kiefernpfähle in den schwammigen Boden gerammt, dann das Fundament gegossen und der zehn Stockwerke Turm darauf gestellt. Zu warten war das Ganze seither von einem Wärter nebst Vertreter, die man gleich nebenan in zwei Häusern unterbrachte.
Als eine Art Inseldasein beschreibt Heinrich Geertsen, der letzte Leuchtturmwärter, der 1979 im Zuge der Automatisierung seinen Job verlor, sein Leben im Turm. Was auch hieß, dass er lieber auf das Gemüse aus dem eigenen Garten zurückgriff, als bei Land unter nach Westerhever zu waten. Dass er andererseits die dortigen Enten lieber aß als die in den Salzwiesen aufgewachsenen Tiere. Die nämlich schmecken eher fade, sagt Geertsen, geradezu „tranig“.
Alle zwei Stunden hatte er das Meer zu inspizieren – nicht eben ein selbstbestimmtes Dasein. Ja, sagt er, während der Wachen habe er manchmal die Bernsteine poliert, die Frau und Kinder am Strand gefunden hätten. Aber als idyllisch würde er seinen Beruf dann doch nicht bezeichnen. Geertsen ist auch nicht verbittert, weil das alles vorbei ist und die Leuchte heutzutage von irgendwem im fernen Tönning per Knopfdruck bedient wird.
Interessanter ist die Frage, ob die Leuchtfeuer überhaupt noch gebraucht werden. Ob, was einst die durch Sandbänke äußerst gefährliche Fahrrinne des Heverstroms nördlich der Halbinsel Eiderstedt markierte, nicht einfach ausgeschaltet werden könnte.
Im Prinzip schon, sagt ein Sprecher des Wasser- und Schifffahrtsamts in Tönning. Nur wenn auf einem Schiff jede Navigation ausfalle – dann sei das Leuchtfeuer die einzige Orientierung. Deswegen wird der Turm, durch den Geertsen regelmäßig führt und in dem man auch heiraten kann, wohl noch eine Weile leuchten. Bis auch dieser Arbeitsplatz eingespart wird. Oder bis die Flut die Eiderhalbinsel weggespült hat.
Apropos: Schonmal versucht, den Leuchtturm per Linienbus zu erreichen? Abreise ab Husum ZOB: 15.25 Uhr. Ankunft in Westerheversand ist um 16.19 Uhr. Zurück geht’s allerdings schon um 14.08 Uhr.PETRA SCHELLEN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen