: Zensur und gläserne Architektur
BIENNALE Die 10. Shanghai Biennale ist das wichtigste Kunstereignis Chinas mit internationaler Anbindung. Die soziale Gegenwart des Landes wird teilweise abgebildet
VON SABINE WEIER
Schemenhaft zeichnet sich die Skyline hinter Smog ab. Von der Aussichtsplattform der Power Station of Art aus, der einzigen staatlichen Kunsthalle Chinas, wo an diesem warmen Novembertag die 10. Shanghai Biennale eröffnet, zeigt Anselm Franke auf Umrisse der gläsernen Wolkenkratzer. Dir Metropole Schanghai stehe für das unerfüllte Versprechen der Neunziger von einer Welt ohne Grenzen und dem Ende der Geschichte. Oft sei in Ausstellungen hier die Globalisierung gefeiert worden, davon hätten er und sein Team Abstand genommen. Schon in früheren Jahren wurden Ausländer ins Kuratoren-Team berufen.
Mit Franke leitet erstmals ein Ausländer das wichtigste chinesische Kunstereignis. Die Shanghai Biennale ist Aushängeschild für ein Land, das sich betont weltoffen gibt. Seit der dritten Ausgabe 2000 sind auch Künstler aus anderen Ländern vertreten. Jetzt sind etwa Arbeiten von Armin Linke, Louise Lawler und Willem de Rooij zu sehen, in denen sie sich bezeichnenderweise mit dem Verhältnis von Kunst zu ihrer institutionellen Präsentation auseinandersetzen.
Markt als treibende Kraft
Franke leitet am Haus der Kulturen der Welt in Berlin den Bereich für Bildende Kunst und Film. 1993, knapp 15 Jahre nach der Öffnung Chinas in Folge der Reformpolitik Deng Xiaopings, war dort die erste große Ausstellung chinesischer Gegenwartskunst in Europa zu sehen. Seitdem ist viel passiert. Die Szene blüht, der Markt – fünf Kunstmessen zählt Schanghai heute – ist zur treibenden Kraft der Kunstproduktion geworden. Das Land modernisiert sich im Zeitraffer. Doch wie verortet sich der Einzelne in dieser gemachten Gesellschaft? Diese Frage treibt chinesische Künstler um.
Sie stellen sie auch bei der Schau, die den Titel „Social Factory“ trägt. In seiner dystopisch anmutenden Videoinstallation „Black Face, White Face“ zeigt Zhao Liang in langen Einstellungen mit Staub bedeckte Gesichter von Arbeitern und stellt ihnen Panoramaansichten von Minen- und Fabriklandschaften gegenüber. Bekannt wurde der Künstler durch seinen Dokumentarfilm „Petition: The Court of the Complainants“, für den er chinesische Bürger nach Peking begleitete, wo sie Beschwerde gegen korrupte Beamte einlegten, von Misshandlungen erzählten und harsch abgewiesen wurden.
2009 feierte Liangs Film in Cannes Premiere, in China ist er verboten. Nicht alle ausgewählten Arbeiten sind in der Power Station of Art zu sehen. Noch am Tag vor der Eröffnung ließen Zensoren Werke abhängen. Die Berliner Kuratorin und Filmemacherin Hila Peleg stellte das in drei Kinosälen gezeigte Filmprogramm zusammen.
Die Vorgaben seien streng gewesen: Nacktheit sei tabu, Aufstände dürften nicht thematisiert werden und man lege Wert auf positive Botschaften, habe es in einem Papier geheißen. Ähnliche Kriterien gelten für die Ästhetik des Sozialistischen Realismus. Bis heute wird die kommunistische Propagandakunst an den Akademien gelehrt.
Künstler wie Liu Ding setzen sich mit der Bedeutung dieser ideologisierten Bildsprache für die Gegenwart auseinander. Kunst entstehe in China nach wie vor innerhalb der von der sozialen Ordnung und der zentralisierten politischen Macht vorgegebenen Grenzen, kommentiert er. Bei der Biennale zeigt Ding unter anderem die Skulptur „For the Sake of Ten Thousand: The Bust of an Old Hero“, einen penibel nach den Regeln des Sozialistischen Realismus gefertigten Männerkopf in betont heldenhafter Mimik.
Gerade für Künstler aus Taiwan und Hongkong sei es derzeit schwer, durch die Zensur zu kommen, sagt Kokurator Cosmin Costinas. In Hongkong leitet er die von Künstlern gegründete Galerie Para Site. Die prodemokratischen Proteste dort hätten die Situation noch verschärft, erklärt er, ein Werk sei etwa entfernt worden, weil darin ein Schauspieler aus Hongkong auftrete, der in die Proteste involviert sei.
Vielfalt von Identitäten
Einige taiwanesische Künstler konnte Franke, der 2012 schon die Taipeh Biennale leitete, dennoch platzieren, etwa Huang Ming-chuang. Für das Projekt „Minds of Fringe Poets“ machte dieser Aufnahmen von 100 taiwanesischen Dichtern, die in verschiedenen Dialekten verfasste Gedichte lesen und uniformer Kulturpolitik so eine Vielfalt von Identitäten entgegensetzen. Es gebe in China viele ernst zu nehmende Privatmuseen, aber keiner wisse, wie nachhaltig diese seien, sagt Chris Dercon, deswegen sei eine Institution wie die Power Station of Art so wichtig. Der Direktor der Londoner Tate Modern ist dort Mitglied des Akademischen Komitees. Gerade, weil die Biennale unabhängig vom Markt funktioniere, könne man hier Entdeckungen machen, sagt er.
Zu seinen zähle Chen Chieh-jen, „der Allan Sekula Chinas“. Der Taiwanese ist bekannt für sozialkritische Film- und Fotoarbeiten. In Schanghai übersetzte er ein buddhistisches literarisches Format in eine komplexe Installation, die mit fotografischen Fragmenten und Texten aus der Arbeitergeschichte Chinas erzählt.
Beklemmend ist die Atmosphäre in der staatlichen Institution dennoch. Durch die sterilen Hallen des ehemaligen Kraftwerks schallen die Stimmen mehrerer Sänger, die live den Inhalt einer chinesischen Zeitung vortragen. „The News Blues“, eine Arbeit des Berliner Komponisten Nicholas Bussmann, der auch das Musikprogramm der Biennale konzipierte, wird in Schanghai zum absurden Chor kontrollierter Schlagzeilen. Zu den Höhepunkten der Schau, der eine pointierte Gesellschaftsanalyse gelingt, gehört eine aus mehreren Bildschirmen bestehende, an den Kontrollraum eines Raumschiffs erinnernde Installation des in Berlin lebenden Künstlers Ming Wong. Darin zitiert er Science-Fiction-Filme wie Tarkowskis „Solaris“. Während der Kulturrevolution verschwand das Genre, heute gehört es zu den populärsten – vielleicht, weil es der sozialen Fabrik eine frei imaginierte Zukunft entgegensetzt.
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