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„Ich habe auch Flops hingelegt“

HANNS PETER NERGER

„Hätte man mir vorgeschlagen, ein Eisbärenbaby als Marketinginstrument einzusetzen, ich hätte gesagt, das funktioniert nie. Dann wache ich in New York im Hotel auf, schalte CNN ein, und wer tapst über den Bildschirm? Knut“

Jeder kennt ihn, keiner sieht ihn – so flachste der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit über den wohl erfolgreichsten Berliner: Hanns Peter Nerger. Der Chef der Berlin Tourismus Marketing GmbH (BTM) beschert der Stadt bei den Übernachtungszahlen Zuwächse von jährlich 10 Prozent, Berlin ist in Europa inzwischen beliebter als Rom. Aber wer ist Berlins Botschafter in aller Welt wirklich? Im Interview verrät Nerger: Ich bin ein 68er, weil ich zusammen mit Daniel Cohn-Bendit im Internat war. Dass den 60-Jährigen keiner sieht, liegt daran, dass er das Gesellschaftsleben meidet. Dafür sitzt er gerne schon kurz nach 6 Uhr am Schreibtisch – und überlegt sich, wie Hotels teurer werden könnten. Denn Berlin sei zu billig

INTERVIEW ANNA LEHMANN UND UWE RADA

taz: Herr Nerger, geht es dem Berlin-Tourismus schlecht?

Hanns Peter Nerger: Sicher nicht. Warum?

Weil Sie hier in Ihrem Büro auf dem Sofa sitzen und nicht, wie sonst, auf Werbetour sind.

Morgen fliege ich wieder weg, nach Schanghai.

Ein wichtiger Markt für den Berlin-Tourismus?

China ist einer der wichtigsten Zuwachsmärkte. Ich treffe mich mit den Kollegen von der Flughafengesellschaft. Wir suchen eine Airline, die Berlin direkt anfliegt. Im Augenblick geht der chinesische Reiseverkehr nach Deutschland über München und Frankfurt. Von dort bewegen sich die Menschen sodann aber kaum nach Nordosten.

Der Tourismus boomt auch ohne Chinesen. Berlin hat Rom überholt und liegt inzwischen auf Platz 3 der beliebtesten europäischen Reiseziele. Welche Stadt haben Sie im Visier: Paris und damit Platz 2?

Ja. 2010 werden jährlich 20 Millionen Übernachtungen in Berlin registriert. Dann sind wir Paris schon sehr nah. Dort sind es zurzeit 24 Millionen Gästeübernachtungen pro Jahr.

Der Berlin-Tourismus wächst Jahr für Jahr zweistellig. Haben Sie Zeit, sich über den Erfolg persönlich zu freuen?

Ich sehe das eigentlich sehr professionell und distanziert. Verursacht wurde dieser Boom durch die Stadt selbst. Es wird mir relativ einfach gemacht, Berlin touristisch nach außen zu vertreten. Wir laufen überall offene Türen ein. Diese Stadt hat ein tolles Potenzial – es ist nie langweilig, über Berlin zu berichten.

Das klingt sehr bescheiden. Berlin läuft als Marke quasi von selbst?

Von selbst sicher nicht. Aber Berlin ist so stark, dass man es relativ einfach hat.

Einfacher als wo?

Als in München zum Beispiel. München ist eine Stadt, die sehr deutlich Klischees bedient und das Bild Deutschlands nach außen trägt. Aber die Zahl der Touristen steigt in München bei weitem nicht so deutlich wie in Berlin. München ist heute so wie nahezu schon vor 20 Jahren. Berlin dagegen verändert sich und macht permanent neugierig.

Welches Image hat Berlin bei den Touristen?

Das soll ich verraten?

Ist das ein Geheimnis?

Nein, aber ich kenne doch die Berliner. Manche Dinge sollte man ihnen nur dosiert beibringen, sie überbewerten es sonst. Das Image Berlins hat sich von dem Deutschlands total abgekoppelt. Alles, was man unseren Landsleuten kaum zutraut, trifft man in Berlin: Laisser-faire, Experimentierfreude, nicht immer gleich auf den geschäftlichen Erfolg schielen, sondern einfach mal etwas wagen.

Das war aber schon nach der Wende so. Warum entdecken die Touristen die tollen Berliner und ihre Stadt erst jetzt?

Nach dem Mauerfall reiste die ganze Welt nach Berlin. Doch die Hoteliers hatten sich zusammengetan und trieben die Zimmerpreise hoch. Die Reiseveranstalter waren verärgert und strichen Berlin aus fast allen Katalogen. Unsere erste Aufgabe als neugegründete BTM war es, Berlin wieder in die Kataloge zu bringen. Dann ist es in kleinen Schritten aufwärtsgegangen, ab 2003 massiv. Dafür sorgte auch der enorme Auftrieb durch die Billigflieger, für die Berlin ein ideales Reiseziel ist.

Mehr Besucher auf Kosten des Umweltschutzes – wie passt das zu Ihrem ökologischen Engagement? Zusammen mit Ihrem Vater loben Sie jährlich einen Umweltpreis aus.

Bei diesem Preis steht der Mensch in seinem Verhältnis zur gelebten Umwelt im Mittelpunkt. Die Al-Gore-Diskussion halte ich für temporär überzogen. Es gibt auch viele seriöse Wissenschaftler, die sagen: Der Klimawandel ist so nicht ohne weiteres nachweisbar.

Den Klimawandel gibt es nicht? Da bringen Sie ja nicht nur Al Gore, sondern die ganze UNO gegen sich auf.

Ich glaube, man muss sich dem Thema auf eine seriösere und wissenschaftlich fundierbare Weise annähern. Klimawandel ist in erdgeschichtlichen Zeiträumen zu analysieren und zu bewerten.

In den USA rennen Sie damit sicher offene Türen ein. Was sagen Sie den Veranstaltern dort über Berlin?

Für die Amerikaner ist Geschichte wichtig, die Mauer, die Teilung, aber auch die Goldenen Zwanziger.

Die Amerikaner sind auf Platz drei der internationalen Berlin-Touristen. Ganz vorne sind die Briten und die Italiener. Was sagen Sie den Briten: „Vergesst die Krauts. Berlin ist anders.“?

Für die Engländer ist Berlin eine unglaublich spannende und liberale Stadt. Hier können sie gewisse Regularien über Bord werfen und zum Beispiel auf intensive Kneipentour gehen. Das ist sehr beliebt.

Auch bei den Kneipenwirten?

Die beschweren sich bereits manchmal. Das ist ein Problem.

Bei den Franzosen haben Sie die richtigen Worte noch nicht gefunden. Die machen um Berlin noch einen großen Bogen.

Das ist ein schwieriger Markt. Franzosen reisen generell ungern ins Ausland.

Die meisten Berlinbesucher sind jung …

Richtig. Die meisten sind unter 35.

und freuen sich, dass Berlin im Vergleich zu anderen europäischen Städten recht billig ist.

Berlin ist zu preiswert.

Wie bitte?

Der Durchschnittspreis, der in der Hotellerie in Berlin erzielt wird, liegt deutlich unter dem anderer europäischer Metropolen. Das ist vor allen Dingen ein Imageproblem Deutschlands in Deutschland. In London steigen Touristen in der letzten Bude ab und zahlen dafür, ohne zu zögern, 250 Pfund. Sie glauben, dafür einen höheren Gegenwert zu bekommen. Hier beschweren sich die Leute, wenn sie 200 Euro im 5-Sterne-Hotel zahlen sollen.

Die Übernachtungspreise sollen steigen?

Sie müssen steigen.

Wie viel muss ein Bett im Hotel kosten, damit das Image stimmt?

Die Frage muss anders lauten: Was ist betrieblich erforderlich? Um etwa 10 Prozent könnten die Preise steigen. Das wirkt sich im unteren Hotelbereich minimal aus, die oberen Kategorien werden aber moderat teurer.

Sie sind nun schon mehr als 14 Jahre Berlins Herr über den Tourismus. Welches Bild hatten Sie von Berlin, als Sie 1993 in die Stadt kamen?

Ein bemerkenswertes. Ich wurde zunächst angefeindet und musste Schlagzeilen hinnehmen wie: „Pech-und-Pleiten-GmbH“; „Nerger: Maximal 1 Jahr“. Trotzdem habe ich 700 Quadratmeter Bürofläche angemietet, weil ich an die Firma und ihren Auftrag glaubte. Anfangs konnten wir hier in den Fluren mit dem Skateboard hin und her fahren.

Sie haben immer alles richtig gemacht?

Oh, ich habe zwei wunderbare Flops hingelegt. Einmal haben wir versucht, ehemalige GIs nach Berlin zu holen, mit tollen Angeboten, subventioniert von der Bundesregierung. Das funktionierte überhaupt nicht. Und als Karol Wojtyła noch Papst war, dachte ich, dass die polnischstämmigen Amerikaner doch garantiert zum Papst reisen wollen – und zwar über Berlin. Aber niemand wollte.

Haben sich Ihre Kritiker später bei Ihnen entschuldigt?

Das hätte ich auch nicht erwartet. Es gab mal eine witzige Situation: Ich wurde stets von der CDU angefeindet, dass ich Ergebenheitsadressen an den jetzigen Senat abgeben würde. Ich sagte, wir hätten eben noch nie so viel Unterstützung bekommen wie von diesem Senat. Der damalige Fraktionsvorsitzende, Frank Steffel, gab mir eigentlich recht, man hätte den Tourismus stärker fördern müssen. Ich habe den Ruf, ein Freund von Klaus Wowereit zu sein. Aber das stimmt so nicht. Wegen der Schließung des Flughafens Tempelhofs habe ich ihn massiv angegriffen. Ich bewerte die Arbeit des Senats ausschließlich aus fachlicher, das heißt aus tourismusrelevanter Sicht.

Sind Sie eher ein Freund von CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger?

Ich bin ein typischer Wechselwähler. Als 68er habe ich vier Jahre im Internat unter anderem mit Daniel Cohn-Bendit zusammengewohnt. Er war ein hochintelligenter Schüler und hatte damals zwei Klassen übersprungen. Bei uns war er sehr beliebt, weil er so gut Stücke von Molière spielen konnte.

Der „rote Dani“ ist nun in Brüssel. Wo werden Sie hingehen, wenn Sie in den Ruhestand gehen? Wollen Sie in Berlin bleiben?

Meine Heimat ist dort, wo ich meine Freunde und meine Tiere habe. Ich habe mein Haus in Frankfurt, die Familie hat ein Gut in Berchtesgaden. Aber Berlin ist sicherlich eine attraktive Alternative. Ich musste mich übrigens erst an die Art gewöhnen, wie hier Sitzungen abgehalten wurden. Es wurde viel geredet, und dann vertagte man sich. Dies hat sich allerdings in den vergangenen Jahren deutlich verändert. Ich bin es gewohnt, nicht eher auseinanderzugehen, bis ein Problem gelöst ist. Berlin musste sich auch daran gewöhnen, dass ich nicht auf Empfänge gehe. Der Regierende Bürgermeister sagte einmal: Da kommt Nerger, das Geheimnis – kaum einer sieht ihn, fast jeder kennt ihn.

Woher diese Scheu vor dem gesellschaftlichen Leben?

Ich möchte meine distanzierte Betrachtungsweise zu vielen Dingen behalten. Übrigens bin ich passionierter Frühaufsteher und sitze oft schon um 6.15 Uhr am Schreibtisch. Das verträgt sich zwangsläufig nicht mit abendlichen Ausgängen.

Nicht mal bei Eisbär Knut haben Sie vorbeigeschaut?

Nein, ich mag Hypes jeglicher Art nicht besonders. Hätte mir anfangs jemand vorgeschlagen, ein gerade geborenes Eisbärenjunges als Marketinginstrument einzusetzen, dann hätte ich gesagt, das funktioniert nie. Und dann wache ich im Hotel in New York auf, schalte CNN ein, und wer tapst über den Bildschirm? Knut. Faszinierend.

Langfristig planbare Events wie die MoMA-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie oder die Fußball-WM sind in nächster Zeit nicht in Sicht. Macht Sie das nervös?

Große Events sind hübsche Sahnehäubchen. Aber sie garantieren keinen langfristigen Erfolg im Tourismus. Die Grundlage muss stimmen.

Wie oft im Jahr sind Sie selbst Tourist?

Ich mache zweimal Urlaub: Im Mai fahre ich immer nach Rottach-Egern an den Tegernsee und im September acht Tage an den Timmendorfer Strand.

Sie reisen überhaupt nicht wie Ihre Zielgruppe?

Nein. In Städte fahre ich geschäftlich, morgens hin und abends zurück. Im Urlaub fühle ich mich dort wohl, wo ich weiß, ich kenne die Leute, und die Leute kennen mich.

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