: Nobelpreis oder Knast
JUSTIZ Am nächsten Montag beginnt ein Prozess gegen den in Dänemark stationierten und von der Türkei missbilligten kurdischen Sender ROJ TV. Der Vorwurf: Beihilfe zum Terror
VON REINHARD WOLFF
Wo endet die Pressefreiheit und wo beginnt die Beihilfe zu Terrorhandlungen? Mit dieser Frage befasst sich ab Montag kommender Woche das Amtsgericht Kopenhagen. 25 Verhandlungstage sind eingeplant. Es geht um einen Dauerbrenner nicht nur der dänischen Medien-, sondern auch der Außenpolitik: den kurdischen Sender ROJ TV.
Seit 2004 ist dieser in Dänemark stationiert und strahlt seine Sendungen europaweit aus. Und seit 2004 beschwert sich die türkische Regierung in Kopenhagen darüber, dass ROJ TV ungehindert Propaganda für die kurdische Untergrundbewegung PKK verbreite. Die führt die EU als terroristische Vereinigung. Formal hatte die türkische Botschaft in Kopenhagen 2005 eine Anzeige unter Bezugnahme auf die nach 9/11 erlassenen dänischen Antiterrorgesetze erstattet. Im September 2010 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage aufgrund einer Vorschrift, die allgemein die „Förderung“ von Terroraktivitäten unter Strafe stellt.
Mit seiner Nachrichtenauswahl und -vermittlung fördere ROJ TV solche Aktivitäten jedenfalls nicht, hat die dänische Instanz konstatiert, die für die Erteilung und mögliche Einziehung von Sendelizenzen zuständig ist: der „Radio- & TV-nævnet“. Anträge auf Widerruf der Lizenz für ROJ TV hat dieses Gremium wiederholt überprüft und abgelehnt. Zuletzt eine Woche vor Beginn des jetzigen Prozesses.
Wenn der Sender keine Propaganda oder Aufforderung zum Hass verbreite, wie wolle man dann eine mögliche Beihilfe zum Terror begründen, fragt Jacob Mchangama, Chefjurist beim liberalen dänischen Think-Tank Cepos. Eine Frage, die auch der Kopenhagener Strafrechtsprofessor Jørn Vestergaard stellt: Da laut Anklageschrift dieses Sendematerial zentral für die Begründung der Terroranklage sei – wie tragfähig seien dann die Beweise der Staatsanwaltschaft?
Die kündigt auch andere Beweismittel an. Vermutlich Material, das auf administrative und wirtschaftliche Verbindungen zwischen ROJ TV und der PKK schließen lässt. Der Sender hat solche Verbindungen immer bestritten, doch die Kopenhagener Berlingske Tidende veröffentlichte 2010 ein Interview mit dem ehemaligen ROJ-TV-Verwaltungsdirektor Manouchehr Zonoozi, in dem dieser von heimlichen Treffen mit PKK-Führern und Geldzahlungen in Millionenhöhe von der PKK an ROJ-TV berichtete. Zonoozi könnte ein Hauptzeuge der Anklage sein.
Die Staatsanwaltschaft behauptet, ROJ TV habe „wiederholt unter anderem TV-Programme und Programmteile ausgestrahlt, die Interviews mit PKK-Sympathisanten oder -Führern enthielten sowie Kampfhandlungen zwischen kurdischen und türkischen Einheiten zeigten, deren Inhalt die terroristischen Aktivitäten von PKK/Kongra Gel fördern können“. Unterstellt, Geldzahlungen hätten dazu beigetragen, dass ROJ TV solche Bilder oder Interviews ausgestrahlt habe, bleibe die Frage, ob man dann von einer „Förderung“ des Terrors sprechen könne, gibt Jacob Mchangama zu bedenken. Er hält den Antiterrorparagrafen mit seiner unklaren Reichweite – ROJ TV ist der erste Fall seiner Anwendung – für eine Einschränkung der Pressefreiheit.
Von einem „normalen“ Strafverfahren könne aber wohl sowieso keine Rede sein, meint Oluf Jørgensen von der dänischen Medien- und Journalistenhochschule. „Cablegate“-Dokumente mit Schriftverkehr der Kopenhagener US-Botschaft, die Anfang dieses Jahres auf Wikileaks öffentlich wurden, zeigen, dass neben der Türkei auch die USA Druck auf die dänische Regierung ausübten, juristisch tätig zu werden. Aus weiteren Dokumenten geht hervor, dass die dänische Staatsanwaltschaft von der Regierung unter Druck gesetzt wurde, weil sonst „eine schwere politische Krise“ drohe.
Bei einem Schuldspruch droht den Verantwortlichen eine Haftstrafe von bis zu sechs Jahren. Sein Urteil dürfte das Gericht im Herbst sprechen. Vielleicht bekommt der Sender zeitgleich den Friedensnobelpreis. ROJ TV ist unter den 241 Nominierten – vorgeschlagen wurde der Sender, weil er der Welt ein Bild von der Situation des kurdischen Volks vermittele.
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