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Ein Alter ist der beste Neue

Nach einem ungefährdeten 4:0-Erfolg gegen den moldawischen Erstligisten FC Dacia Chisinau steht der HSV in der zweiten Qualifikationsrunde zum UEFA-Cup. Ein echter Test steht noch aus

von ANDREAS BOCK

Der Hamburger Sportverein hatte etwas gutzumachen. Nach einem enttäuschenden 1:1 im UI-Cup-Hinspiel zeigte sich der HSV im gestrigen Rückspiel gegen den FC Dacia Chisinau gleich zu Beginn voller Elan. In der Fankurve schnalzte man mit der Zunge ob der Raffinesse einiger Aktionen: Kurz nach dem Anpfiff spielt David Jarolim zwei Gegenspieler mit einem gefühlvollen Heber aus, ohne allerdings ein Tor zu machen, und wenig später setzt Zidan aus neun Metern einen Drehschuss knapp neben das Tor.

Fortan sind die Rollen klar verteilt: Chisinau verteidigt mit elf Spielern, Ballberührungen sind dabei eher zufälliger Natur. Der HSV indes erspielt sich Chancen im Minutentakt. Es riecht nach großem Fußball in der HSH-Nordbank-Arena.

Zumindest immer dann, wenn der HSV-Spieler mit der Nummer 10 den Ball streichelt – ähnlich elegant wie einst Franz Beckenbauer im alten Volksparkstadion. Doch ist der Defensivallrounder nicht nur ballgewandt, er gewinnt fast jeden Zweikampf und brilliert mit präzisen 40-Meter-Pässen. Als er in der 50. Minute zum 1:0 trifft, schnalzt niemand mehr mit der Zunge. Die Münder stehen offen: „Wer ist dieser neue Tausendsassa?“, scheinen sie fragen zu wollen, während die Wiederholung des Tores über die Stadionbildschirme flimmert.

Vincent Kompany heißt er und steht seit einem Jahr beim HSV unter Vertrag. Gemeinhin gilt der Transfer der Niederländers als größter Coup von HSV-Sportchef Dietmar Beiersdorfer. Jedoch brachte es Kompany in der letzten Saison aufgrund einer Verletzung nur zu sechs Einsätzen. In dieser Spielzeit hält Stevens den Dirigentenstab für ihn bereit, der bis dato ausschließlich von Raphael van der Vaart geschwungen wurde.

Gegen Chisinau zelebriert Kompany Fußball. Und es würde längst nicht mehr nur nach großem Fußball riechen, es wäre wirklich ein solcher, hießen die Gegenspieler nicht Iurie Soimu oder Nicolae Mincev, sondern Lucio oder Fabio Cannavaro. Es ist fraglich, ob ein Zidan dann noch seine Pässe mit der Hacke spielen würde oder ein Kompany an staunenden Abwehrspielern vorbei tänzeln könnte.

So konstatiert auch Kompanys Landsmann Rafael van der Vaart nach der Partie: „Das war heute nicht der schwerste Gegner.“ Vermutlich wird es in der gesamten Saison keinen leichteren mehr für den HSV geben. Der FC Dacia Chisinau ist der ungewollte Gegenentwurf zum westeuropäischen Profifußball.

Blickt der HSV auf eine 120-jährige Vereinsgeschichte zurück, sind es in Chisinau gerade mal sieben Jahre. Die Spieler verdienen meist kaum genug, um ihre Familien zu ernähren. Viele wohnen in den umliegenden Dörfern von Chisinau und nehmen täglich mehrere Stunden Fahrt zum Training oder den Ligaspielen auf sich.

Manche machen allerdings größere Reisen: Serghey Potrimba, Dacias einstiger Star, meldete sich eines Tages aus Spanien wieder. Er habe eine Hilfsarbeit gefunden, verriet er und verdiene ein Vielfaches von seinem Gehalt als Profifußballer beim FC Dacia. In Deutschland würde er vermutlich nicht mal in der Regionalliga mithalten.

Dennoch sind die HSV-Fans in der Nordkurve nach weiteren Toren von van der Vaart, (71.), Benjamin (76.) und Jarolim (89.) sicher, dass der Sieg gegen Chisinau der Beginn einer wunderbaren Saison eingeleitet hat. Gemeinsam singen sie die Gespenster der Vergangenheit weg: „Wer wird Deutscher Meister? H- H- H- HSV!“

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