: Seelen ohne Sorge
KNAST Seit Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) vor über einem Jahr die Muslimische Gefängnisseelsorge stoppte, warten islamische Vereine vergeblich auf die Fortsetzung dieses wichtigen Betreuungsprojektes
ALIYEH YEGANEH
VON ALKE WIERTH
Während katholische und evangelische Insassen der Berliner Strafanstalten mit den SeelsorgerInnen ihrer Kirchen bald Weihnachten feiern, sind muslimische Gefangene in Berlin nicht nur an Feiertagen immer noch ohne seelsorgerische Betreuung. Seit Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) Ende vergangenen Jahres ein muslimisches Seelsorgeprojekt, das von seiner eigenen Verwaltung angestoßen worden war, kippte, hängt die Betreuung muslimischer Häftlinge in der Luft. Ursache für den Stopp des Projektes, das die Justizverwaltung gemeinsam mit dem Berliner Islamforum entwickelt hatte, waren Bedenken des Verfassungsschutzes gegenüber einigen Mitgliedern der beteiligten islamischen Organisationen sowie der ausgebildeten Seelsorger. Diese seien zwar „jetzt kein Thema mehr“, so die Sprecherin der Justizverwaltung gegenüber der taz. Auf eine Fortsetzung des Projektes muslimische Gefangenenseelsorge warten die Vereine dennoch bis heute.
Zuletzt habe es im Januar direkte Gespräche mit Justizsenator Heilmann gegeben, sagt Imran Sagir von der Arbeitsgemeinschaft Muslimische Gefängnisseelsorge, zu der sich verschiedene islamische Organisationen Berlins für das Projekt zusammengeschlossen haben. „Vor drei oder vier Monaten wurde uns dann bei einem Telefonat mit dem zuständigen Referenten der Verwaltung ein Brief des Senators angekündigt, der Möglichkeiten aufzeigen sollte, das Projekt doch noch zu realisieren“, so Sagir. Der sei bisher allerdings noch nicht angekommen.
Viele Anstrengungen
„Schade“ findet Sagir das: „Es sind ja bereits viele Anstrengungen für die Realisierung des Projektes unternommen worden.“ 28 Seelsorger seien im Herbst vergangenen Jahres ausgebildet worden, ohne ihr Wissen bislang praktisch anwenden zu können: „Wir wissen nicht, ob wir die Leute überhaupt noch alle zusammenkriegen“, so Sagir: Schließlich müssten die nun anderswo ihr Geld verdienen.
Etwa 20 Prozent der rund 5.000 Insassen der Berliner Justizvollzugsanstalten sind laut Schätzung der Senatsverwaltung für Justiz Muslime. Während katholische und evangelische Gefangene von insgesamt 17 SeelsorgerInnen betreut werden, gibt es für Muslime derzeit nur in der Haftanstalt Tegel islamische Gesprächskreise und alle zwei Wochen ein Freitagsgebet. Individuelle Seelsorge-Betreuung gibt es für sie in keinem Knast. Bereits vor mehreren Jahren war deshalb die Senatsverwaltung für Justiz selbst mit der Idee des Projektes Muslimische Gefängnisseelsorge an das Berliner Islamforum herangetreten.
In dem von der Senatsintegrationsbeauftragten betreuten Gesprächsforum treffen sich seit 2005 Organisationen Berliner Muslime mit Vertretern verschiedener Behörden – auch von Verfassungsschutz und Polizei. Ziel ist unter anderem die Vertrauensbildung zwischen Muslimen und Verwaltung – die sieht Imran Sagir nun durch den Stopp des Projektes und die Hinhaltetaktik der Behörden verspielt.
Für den Fachmann für islamische Organisationen in Deutschland Werner Schiffauer, Ethnologie-Professor an der Viadrina-Universität, folgt das Verhalten der Senatsjustizverwaltung der typischen „Logik der Sicherheitsapparate“: „Statt darauf zu schauen, ob eine Maßnahme sinnvoll etwa im Zuge der Gleichbehandlung von Religionen oder der Integration von Muslimen ist, wird ausschließlich hinsichtlich eines Radikalisierungsverdachts geprüft.“ Und der sei „äußerst niedrigschwellig: Da reicht es, wenn irgendwann irgendwer mal Kontakt zu irgendwem hatte“, so Schiffauer. Dabei sei dann „egal, was die Leute persönlich gemacht haben“: Viele der in dem Projekt ausgebildeten Seelsorger seien „jahrelang im christlich-islamischen Dialog engagiert: Wenn man denen die Gefängnishilfe anvertraut, ist es wahrscheinlich, dass das der Deradikalisierung dient.“
Perspektivlosigkeit
Auch für Aliyeh Yegane, Projektleiterin des Netzwerks gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit, ist es deshalb „ein Skandal, dass der Senat die Zusammenarbeit mit den islamischen Organisationen zur Etablierung einer muslimischen Gefängnisseelsorge beendet hat.“ Radikalisierung sei oft gerade Folge fehlender religiöser Bildung: „Angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen und der wachsenden terroristischen Bedrohung wird es Zeit, den Dialog wieder aufzunehmen“, so Aliyeh Yeganeh.
Dass gerade Gefängnisse als „Orte der Perspektivlosigkeit Angriffsflächen für Radikalisierung bieten“, weiß auch Imran Sagir: „Deshalb ist der Senat an uns herangetreten, die Vereine, die im Islamforum vertreten waren und wo bereits eine Vertrauensbasis bestand.“ Seit dem Stopp des Projektes haben deshalb die muslimischen Vereine ihre Teilnahme am Islamforum auch abgesagt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen