: Der Koch, der Fotograf und ein Liebhaber„Der ganz besondere Kathi-Pfiff“
LITERATUR Warum noch eine weitere Lance-Armstrong-Biografie kaufen? Jenseits des Mainstreams bieten sich attraktive Alternativen an. Drei Sportbücher zum Fest
Kochbücher gehen immer. Und Biathlon geht im deutschen Fernsehen sowieso immer. Die Skifahrer mit dem Gewehr auf dem Rücken sind bei den Wintersportfans hierzulande ohnehin die Größten. Und Sigi Heinrich, der 2008 mit dem deutschen Fernsehpreis ausgezeichnete Sportreporter von Eurosport, ist ohnehin Kult. Wenn also Heinrich die Lieblingsrezepte von 50 Biathleten zusammenstellt, kann eigentlich gar nichts mehr schiefgehen.
Und wenn doch, dann weiß Heinrich, wie er nachhelfen kann. Schließlich ist es nicht sein erstes Werk. Während einer Live-Übertragung ließ er einst am Mikrofon einfließen: „Meine verehrten Zuschauer, ich darf Ihnen noch ein Buch ans Herz legen. ‚Biathlon kompakt‘ heißt das Werk, das anschaulich diesen tollen Sport erklärt. An dieser Stelle darf ich mich als Autor nennen.“
Normalerweise ist es aber nicht seine Art, sich derart in den Vordergrund zu spielen. Bei der Präsentation der Biathleten-Leibgerichte hält er sich vornehm zurück. Zwar gibt es zu jedem Rezept auch Sigis Tipp, meist eine hübsche Verfeinerungsidee, aber offenherzig erklärt der Autor im Nachwort: „Über meine Tipps zu den Rezepten wachte Sebastian Trixl vom Hotel Edelweiß in Hochfilzen.“
Gewisse Qualitätsstandards waren dem passionierten Hobbykoch Heinrich offenbar wichtig. Und so ist ein passables internationales Kochbuch entstanden, das zudem Alltagstauglichkeit für sich beanspruchen kann. Denn das schnellste Essen ist den Biathleten oft auch das liebste. Spaghetti aglio e olio ist etwa das Leibgericht des achtfachen Olympiasiegers Ole Einar Björndalen. Die dreifache Olympiasiegerin Dyra Domracheva hat sich mit einem einfachen gedeckten Apfelkuchen eingebracht. Doch auch anspruchsvollere und weniger bekannte Rezepte mit eigentümlichen Namen sind in der Sammlung enthalten. Gommer Cholera etwa, ein vegetarisches Blätterteiggericht aus dem Wallis in der Schweiz.
So entspannt und wohlgesinnt ist die Frage, was die weltweit schnellsten Biathleten denn so zu sich nehmen, noch nie verhandelt worden. Sigi Heinrich ist ein Investigativjournalist der anderen Art. Den Sportlern ist er dabei stets sehr nahe. Er gilt als einer, der an den ganz großen Emotionen rührt. Eine Kunst, die sich mit Distanz nicht allzu gut verträgt. Für Sigi öffnen fast alle Biathleten ihre Kochtöpfe gern. Neben den Rezepten sind jeweils eher süßlich formulierte Sportlerporträts platziert. Und mit ein paar luftig-lockeren Zeilen plaudert Heinrich zudem aus, was seine Protagonisten mit ihrem Rezept verbindet, welche Variationen sie kennen. Wie Katharina Innerhofer etwa ihr Gemüse-Omelette mit dem „ganz besonderen Kathi-Pfiff“ zubereitet.
Es menschelt gewaltig. Wen so etwas verdrießlich macht, der sollte einen von Sigis Tipps beherzigen: in Rum getränkte Rosinen – das hebt garantiert die Stimmung. JOHANNES KOPP
■ Heinrich, Siegfried: „Kulinarische Volltreffer: Lieblingsrezepte der Biathleten“. Eurosport-Edition 2014, 120 Seiten, 29,90 Euro
Licht, welches ins Abseits dringt
Im ersten Moment mag man denken, die Aufnahmen im Bildband „Flutlichter“ seien ausschließlich für Nerds gedacht. Handelt es sich dabei doch um Fotografien, mit denen der Fotograf Christoph Buckstegen die Umgebung einiger Fußballstadien während der Flutlichtspiele festhält. Während also im Stadion die Hölle los ist, zieht der Fotograf durch die verwaisten umliegenden Viertel.
Es sind so aufregende Artefakte zu sehen wie: Hausfassaden, Wohnblöcke, Hinterhöfe. Schotterwege, Strommasten und Schrebergärten. Und auch ein bisschen Natur: viele, viele Bäume. Ein Setting, so unspektakulär wie alltäglich. Wenn dieses Licht nicht wäre. Dieses besondere Licht, in das die Dinge im Umkreis der Stadien getaucht sind und das sie wie eine Filmkulisse erscheinen lässt. Auf nahezu allen Fotos sind weder Stadien noch Fans zu sehen. Aber jeder Fußballfan denkt beim Anblick der Bilder sofort an ein abendliches Match, an den Gang zum Stadion und die Ungewissheit über den Spielausgang. Nur vereinzelt gibt es Hinweise auf die Fußballpartien: ein geparkter Mannschaftsbus am Millerntor, verschwommen durchs Bild ziehende Fans in Karlsruhe, ein Straßenschild mit der Aufschrift „Max-Morlock-Platz“ in Nürnberg.
Buckstegen, der als freier (Fußball-)Fotograf arbeitet (unter anderem für 11 Freunde, Süddeutsche Zeitung und Stern), hat an insgesamt elf deutschen Stadien fotografiert, die allesamt noch von den alten, aufragenden Flutlichtmasten gesäumt sind und bei denen das – anders als bei den neueren Arenen, wo die Flutlichter am Stadiondach befestigt sind – in die umliegende Gegend dringt. So schafft Buckstegen fotografische Stillleben, die man in absehbarer Zeit wohl nicht mehr einfangen kann.
Es entsteht dabei eine eigene, eine besondere Bildästhetik, die etwas Morbides hat. Etwa die winterlich-trübe Atmosphäre auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg: nur geparkte Autos, sonst gespenstische Leere – ein von Flutlicht beschienenes Grau. Die Wälder und Wege in Karlsruhe, Freiburg oder Köln (am Südstadion) wirken surreal, wie ein Schauplatz für Schauermärchen.
Wirklich unheimlich wird es dann, wenn der Fotograf um das Stadion in Nürnberg schleicht und dort die monumental-faschistische Architektur des Reichsparteitagsgeländes einfängt. Hier, im Licht, leuchten die Ruinen des Dritten Reichs mit ihrer Ästhetik der Gewalt.
Einige spannende Geschichten werden in einem kurzen Textteil mitgeliefert: Man erfährt, wie England auch in Sachen Flutlichtmasten Vorreiter war und wie Ende der 40er in Dresden hierzulande das erste Flutlichtspiel über die Bühne ging. Oder man lernt, dass die für die Beleuchtung eines Bundesligaspiels benötigte Energie einen Singlehaushalt ein ganzes Jahr versorgen könnte. Okay, das wäre jetzt vielleicht wieder so ein Nerd-Fact – der wundersamen Ruhe, die die hier versammelten Fotografien ausstrahlen, kann sich aber wirklich jeder hingeben. JENS UTHOFF
■ Christoph Buckstegen: „Flutlichter“. Spielmacher Verlag 2014, 144 S., 100 Farbfotografien, 35 Euro
Pioniertat für den Baseball
Eine Kulturgeschichte des Baseballs – das soll in Deutschland funktionieren? Claus Melchior, Buchhändler aus München und Mitherausgeber der feinen Fußballzeitschrift Der Tödliche Pass, hat es geschrieben, obwohl es doch so viele (und wunderbare) US-Literatur zum Thema gibt. Melchior bekennt, er habe „das Buch geschrieben, nach dem ich selbst vergeblich gesucht habe“.
Melchior macht sich die unglaubliche Mühe, nicht nur die soziale und kulturelle Bedeutung der amerikanischsten aller Sportarten zu beschreiben, sondern erst einmal die Regeln zu erklären. Eingeflochten sind immer wieder Porträts großer Spieler, großer Trainer, aber auch wichtiger Arenen wie dem Wrigley Field in Chicago (ja, der Name hat was mit der Kaugummifirma zu tun). Und es werden besondere Aspekte beschrieben: etwa das auch durch einen Spielfilm mit Brad Pitt („Die Kunst zu gewinnen“, USA 2011) bekannt gewordene „Moneyball“-Phänomen, also der Versuch, mit statistischer Analyse das Spiel effektiver zu gestalten. Oder er beschreibt, wie sehr Baseballbegriffe in die amerikanische Sprache Einzug gehalten haben.
Das dürfte nämlich einer der tieferen Gründe sein, warum nicht einfach ein US-amerikanisches Buch zur Kulturgeschichte, zur Bedeutung und zur Ästhetik des Baseballs übersetzt werden konnte. Was es bedeutet, wenn jemand „down to he last out“ gebracht wird, weiß man dort besser als hier. Soll heißen: Zwar lässt sich leicht erklären, was ein Inning ist, wie gepunktet wird und wo sich das Outfield befindet. Aber was daran so faszinierend ist, lässt sich deutlich schwerer vermitteln. (Die Analogie zu Fußball lässt sich leicht herstellen: Der gilt US-Sportfans als langweilig, Baseball hingegen hat in Europa den Ruf des Sports, bei dem dicke Männer Kaugummi kauen.)
Melchior geht mit großer Kenntnis – dabei nie vergessend, dass er vor allem für ein Baseball-unkundiges Publikum schreibt – durch die Sportgeschichte, erklärt und diskutiert die Gründungsmythen, die Krisen und Hochphasen. Alles kann er nicht behandeln. Etwa die Frage, warum sich Baseball nur in wenigen, zum Teil sozial und kulturell sehr unterschiedlichen Ländern wie Kuba oder Japan durchsetzen konnte. Auch die Bedeutung, die Baseball für Einwanderer hatte, wird nur am Rande behandelt: Möglichkeit des gesellschaftlichen Aufstiegs für die, die gut den Sport beherrschten, aber auch die Chance, durch den Sport zu lernen, wie die neue Gesellschaft, in die sie kamen, funktioniert. Oder die Bedeutung jüdischer Baseballstars, bei denen die Teilnahme, wenn ihr Team zu Jom Kippur in den World Series spielt, eine Frage von enormer Bedeutung ist (während die Vorstellung, dass ein bedeutendes Spiel auf Karfreitag terminiert würde, selbstverständlich absurd ist). Auch wenn Melchiors Buch an der ein oder anderen Stelle schwächelt – es ist eine großartige Pioniertat für den deutschen Sprachraum.
MARTIN KRAUSS
■ Claus Melchior: „Baseball. Kulturgeschichte eines amerikanischen Sports“. Verlag Die Werkstatt, 2014, 256 Seiten, 14,90 Euro
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