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Frachtschiff auf Abwegen

KREUZFAHRT Unterwegs in Französisch-Polynesien mit der „Aranui 3“ zu den Marquesas-Inseln. Eine Reise fast ganz ohne Südseekitsch

Schifffahrt

■ Preise: Günstigste Mitreisemöglichkeit auf der „Aranui“ ist die Unterkunft im Schlafsaal mit Stockbetten. Sie kostet ca. 2.300 Euro pro Person für 13 Nächte. Für die Standardkabine werden 3.900 Euro pro Person bei Doppelbelegung fällig.

■ Nachfolgerin: Im Herbst 2015 wird die „Aranui 3“ durch die „Aranui 5“, ein größeres und moderneres Schiff, ersetzt. Für das schmalere Reisebudget wird es auch wieder einen Schlafsaal geben.

■ Information: tahiti-tourisme.de, www.aranui.com

■ Alternativen: Eine Übersicht über Frachtschiffreisen gibt der Reederverband (www.reederverband.de), der mehrere Anbieter listet. Zum Beispiel unter zylmann.de kann eine Kabine an Bord eines großen Containerschiffs mit Ziel Australien gebucht werden. Ziele auf der ganzen Welt hat auch frachtschiff-reisen.net im Angebot, eine 14-Tages-Reise in die Karibik kostet zum Beispiel 1.260 Euro. Auch in Binnengewässern verkehrende Frachtschiffe nehmen Gäste an Bord, buchbar unter anderem bei frachtschiffreisen-pfeiffer.de.

VON STEFAN WEISSENBORN

Es ist dunkel geworden, und ein Arbeitstag geht zu Ende. Da kann man schon mal ein Bier aufmachen. Das denken sich auch Mahelo Pahuatini, Tino Tsien Youn und ein halbes Dutzend ihrer Kollegen. Die knackbraunen und mit Tattoos übersäten Seebären haben es sich zwischen Reling und Neonbeleuchtung bequem gemacht und lassen es zischen. „Willst du auch eins?“, fragt Tino, verantwortlich für die Fracht an Bord, und reicht eine Dose Hinano-Bier rüber. Tino ist einer der Matrosen der „Aranui 3“, eines Frachtschiffs, das zur Hälfte Gästeschiff ist, was für sich gesehen in der Kreuzfahrtbranche schon exotisch ist. Noch exotischer ist das Fahrgebiet des 117-Meter-Kahns mit den zwei gelben Liebherr-Kränen an Deck. 6.000 Kilometer sind es bis Australien, 4.000 bis nach Hawaii.

Wir sind unterwegs in der Inselwelt der Marquesas, eines zu Französisch-Polynesien gehörenden Archipels – selbst von Tahiti aus also noch über zwei Flugstunden über das blaue Nichts des Pazifiks. Es ist die am weitesten vom Festland liegende Inselgruppe der Welt, bewohnt von knapp 10.000 Menschen. Alle drei Wochen sticht die „Aranui 3“ für 14-tägige Kreuzfahrten in Papeete, Tahitis Hauptstadt, in See – mit bis zu 180 erlebnishungrigen Passagieren.

Sie können beobachten, wie an Bord des Frachters gearbeitet wird. Mancher lugt durch das Bullauge seiner schlichten Kabine; andere stehen an der Reling. Wenn das Schiff Häfen anläuft mit Namen wie Hakahau, Vaipaee oder Taiohae und seinen Bauch öffnet, kraxelt Kranführer Mahelo in sein Führerhaus in luftiger Höhe und hievt Gitterkästen, Container und Fässer an Land. „Auch gebrauchte Autos nehmen wir mit“, sagt Cruise Director Vaihere Vivish. Die „Aranui“ versorgt die Menschen auf den Inseln mit Waren, aber auch mit Touristen, die aus einer ganz anderen Welt kommen.

Während der Großteil der Crew von den Marquesas stammt, sind die meisten Passagiere aus Europa, Nordamerika und Australien. Irgendwann nach dem Frühstück im Bordrestaurant, was mit Bacon, Ei oder Würstchen eher als global eingestuft werden muss – wenn nicht die zuckersüßen lokalen Melonen, Bananen, Guaven oder Papaya wären –, gehen die meist betagten Gäste die klapprige Gangway hinunter und nehmen die Ladung unter die Lupe. Eine Frau mit Sonnenhut hat sich über einen der Gitterkästen gebeugt und kann es nicht fassen: Dort liegen tiefgekühlte belgische Fritten, verpackt in Kartons, die in der Hitze dampfen. Erst gestern habe sie frittierte Brotfrucht gegessen. „Schmeckt fantastisch.“ Die Frau wundert sich über die Lieferung aus der Alten Welt, zu der heute Chicken Wings, Hühnerbouillon, Fertigkaffee, aber auch Kartoffeln, Benzin und Zement gehören.

Wenn die „Aranui“ am Horizont auftaucht, versetzt sie die Hafendörfer in Aufruhr. Einheimische fahren mit ihren von Frankreich aus subventionierten Pick-ups vor, Gabelstapler cruisen im Zickzack. Menschen hantieren mit Zetteln und schwärmen mit voll beladenen Pritschen wieder auf die Inseln aus. „Das Be- und Entladen stört nicht im Geringsten“, sagt Christa Stelling aus Düsseldorf, die mit ihrem Lebenspartner reist. „Ganz im Gegenteil.“

Nach dem Logistikschauspiel à la Südseehafen erkunden die „Aranui“-Passagiere die Inseln. Wie die Fracht landen sie im Dreiwochenrhythmus auf jeder der sechs angesteuerten Eilande. Dabei hat das 7.300-Tonnen-Schiff eine Art touristisches Monopol: „2.000 der jährlich rund 2.500 Besucher, die die Marquesas besuchen, erreichen sie mit uns“, sagt Jörg Nitzsche aus Erfurt, der als Guide auf der „Aranui“ anheuerte.

Auch eine Bildungsreise

Wenn das Schiff nicht an der Kaimauer anlegen kann, hebt Mahelo mit seinem verlängerten Kranarm Beiboote ins Wasser, die die mit Sonnenschutz bleich gecremten Besucher an Land bringen. Dort wartet dann ein Kulturprogramm, denn eine Reise mit der „Aranui“ versteht sich als Bildungsreise.

Besucht werden alte Zeremonienplätze, die regelmäßig mit der Machete vom Grün befreit werden, weil sonst der Dschungel sie einverleiben würde. Zum Beispiel Paeke auf Nuku Hiva, dort, wo einst der mächtige Taipi-Stamm herrschte und später um die Wende zum 20. Jahrhundert der deutsche Ethnologe Karl von den Steinen forschte. Heute steht dort der „Gott des Schattenvolkes“, eine dieser Steinfiguren, die den Ureinwohnern als Repräsentanten der Ahnen dienten und die sie Tikis nannten.

Die Marquesas sind die Gipfel eines versunkenen Gebirges vulkanischen Ursprungs. Ihre schroffen Klippen und felsigen Monolithen erheben sich steil teils bis in Höhen von über 1.000 Metern, und meist nur dort tritt der nackte Stein hervor. Ansonsten herrscht tropischer Bewuchs: Banyanbäume mit ihrem Gestrüpp aus ellenlangen Luftwurzeln, in dem Ureinwohner einst die Toten bestatteten, prächtig blühende Bougainvillea- und Hibiskussträucher, luftige Palmenwälder. Mit dem Südseeklischee haben die Inseln nichts zu tun: Strände und weißer Sand sind Mangelware, kein Korallenriff schützt sie vor dem anbrandenden Ozean.

Die „Aranui 3“ hat an der Pier von Hakahau auf Uo Pou angelegt. Im Dorf findet gerade ein Schulfest statt, eine Art Tanzfestival, getrennt nach Geschlechtern. Eine Jungengruppe, alle spärlich bekleidet, mit Palmblättern dekoriert und folkloristisch bemalt, führt den Schweinetanz auf, der die tägliche Arbeit wie das Öffnen von Kokosnüssen aufgreift. Laut brüllende Heranwachsende mit Schweiß auf der Stirn, umringt von Zuschauern aus anderen Erdteilen im besten Alter mit Fotoapparaten vor dem Bauch – größer könnte der Kontrast nicht sein.

Vor Ort aber genügt sich die Inselwelt. Vom Dorf aus führt ein 16 Kilometer langer Weg bis in die nächste Bucht. Wer möchte, kann marschieren, während der Frachter den Weg übers Wasser nimmt – die massiven Felsgiganten immer im Blick.

Ua Pou ist neben Ua Huka, das auch per Pferd erkundet werden kann, eine der kargeren Marquesas. Die Tour führt durch Geröllfelder, über Felsplatten, vorbei an steilen Abhängen, unten krachen die Wellen gegen das Land. Im Inselinnern liegt der Urwald unter dichten Wolken, die den Himmel entlangeilen. Neben einsamen Naturerlebnissen lernen „Aranui“-Kreuzfahrer auch eine nahezu isolierte Kultur kennen, die sich derzeit neu erfindet. Erst seit einigen Jahren gibt es Internetanschluss auf den Inseln. Und unter den katholischen Missionaren war vieles verboten: Ihre Sprache durften die Einheimischen nicht mehr sprechen –Französisch war verordnet. Tänze und die Kunst des Tätowierens waren untersagt. Die Körperverzierung diente einst als soziales Unterscheidungsmerkmal – je dichter die Zeichnungen auf der Haut, desto reicher war man.

Alte Tattoos wiederbelebt

Heute bieten kleine Tattoo-Läden ihre Dienste für wenig Geld an, manche Touristen reisen mit einem neuen Muster auf der Haut wieder ab, und Menschen wie Kranführer Mahelo arbeiten mit Stolz an dem Gesamtkunstwerk „eigener Körper“.

Dass die Fertigkeit der Körperbemalung nicht vergessen wurde, ist Karl von den Steinen zu verdanken. Er dokumentierte die Muster und Zeichen in Form minutiöser Zeichnungen, die heute im Museum auf Ua Huka ausgestellt sind. Auch alte Handwerkskunst lebt wieder auf, mit der einheimische Frauen ein Zubrot verdienen, sobald die „Aranui 3“ mit ihren Gästen aufkreuzt. Auf Fatu Hiva können die Touristen zusehen, wie Tapas gefertigt werden – Tapas sind bemalter Wandschmuck aus Rindenbast im Posterformat.

Auf Hiva Oa fand der belgische Chansonnier Jacques Brel einen Rückzugsort

Neben dem Erbe der Missionare können Touristen auf Marquesas auch auf europäischen Spuren wandeln. Auf der Insel Hiva Oa fand 1976 der schwerkranke belgische Chansonnier Jacques Brel einen Rückzugsort. Er genoss es, dass ihn dort niemand kannte. „Mit seinem Flugzeug ‚Jojo‘ unterstützte er die Bevölkerung, machte Krankentransporte und nahm die Post mit auf andere Inseln“, sagt Guide Bernard. Heute hängt seine Maschine restauriert in einem Hangar im Dorf Atuona, der als kleines Brel-Museum fungiert.

Rund 80 Jahre früher war schon einmal ein Europäer auf der Insel gestrandet: der seiner französischen Heimat entfremdete Maler Paul Gauguin.

In sein Haus der Wonnen (Maison de Jouir) lud er einheimische Männer zu Trinkgelagen ein, der Alkoholismus kam in deren Familien nicht gut an. Umstritten war auch sein Versuch, die Inselbewohner gegen die katholische Kirche aufzubringen. Nach Gauguins Tod 1903 brannten Einheimische die Hütte ab. Er hinterließ eine Tochter, die er mit seiner 14-jährigen Freundin gezeugt hatte. Die meisten seiner Nachfahren leben heute im Nachbarort Puamau.

Erst Jahre später, als man begann, das Erbe des Postimpressionisten zu pflegen, wurde das Maison de Jouir wiedererrichtet. Auch ein kleines Museum entstand, in dem allerdings keine Originale, sondern nur Nachbildungen einiger Werke Gauguins ausgestellt sind. Wo sein Leichnam begraben liegt, weiß heute keiner genau. Es ist nicht gesichert, dass er unter dem Grabstein mit seinem Namen auf dem Calvaire-Friedhof von Atuona liegt, auf dem auf eigenen Wunsch 1978 auch Jacques Brel seine letzte Ruhestätte fand.

Nach sieben Tagen Cruise durch die Inselwelt der Marquesas sticht der Frachter wieder in See Richtung Tahiti. Auf der Überfahrt wartet dann doch noch ein Südseeklischee: Rangiroa, ein Atoll mit Laguna und zahlreichen Motus, also kleinen Riffinseln mit wuscheligem Palmbewuchs.

Tino hat es sich mit den anderen Seebären wieder zwischen Reling und Neonlicht bequem gemacht. Der Herr über die Fracht will bald zur langen Fahrt nach Berlin aufbrechen. Wenn er 2015 nach fast 30 Jahren als Matrose in den Ruhestand geht, plant er nach Deutschland auszuwandern, wo seine Freundin lebt. „Ich habe sie hier auf der ‚Aranui‘ kennengelernt“, sagt er. Mit Tino wird auch die „Aranui 3“ gehen – für 2015 planen die Eigner eine neue „Aranui“. Das luxuriösere Schiff, ausgelegt für 280 Passagiere, ist bereits in Bau.

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