: Absage an Umwelt- und Sozialstandards
Bei öffentlichen Aufträgen sollte nur der Preis entscheiden, fordert der Beirat des Wirtschaftsministers. Kritik von NGOs
BERLIN taz ■ Die Sache klingt einfach: „Wir können die gesamte Neuverschuldung auf einen Schlag abbauen, wenn wir den Einkauf der öffentlichen Hand um 10 Prozent günstiger machen würden“, sagt Axel Börsch-Supan. 36 Milliarden Euro pro Jahr nannte der Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats im Bundeswirtschaftsministerium als Einsparpotenzial, als er das Gutachten „Öffentliches Beschaffungswesen“ vorstellte.
Um dieses Ziel zu erreichen, fordern die Berater des Wirtschaftsministerims nicht nur mehr Transparenz und mehr Ausschreibungen bei öffentlichen Aufträgen. Sie kritisieren zudem, dass in manchen Fällen bestimmte Firmen von vornherein von der Auftragsvergabe ausgeschlossen werden – etwa wenn zur Bedingung gemacht wird, dass Unternehmen Tariflöhne zahlen, Auszubildende haben oder Umweltauflagen erfüllen.
Die Möglichkeit, bei öffentlichen Aufträgen soziale und umweltpolitische Aspekte zu berücksichtigen, wird von einer neuen EU-Richtlinie ausdrücklich eingeräumt; über die Umsetzung wird in Deutschland gerade beraten. Solche Kriterien gingen zu Lasten der Wirtschaftlichkeit, kritisierte Achim Wambach von der Universität Köln, ebenfalls Berater von Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU): „Wirtschaftlichkeit ist nun mal das Ziel des öffentlichen Einkaufs.“
Das sieht Tobias Reichert von der Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch völlig anders: Öffentlicher Einkauf sei auch als Vorbild zu sehen. „Einsparungen könnten sozial- und umweltpolitische Aspekte untergraben“, sagt er der taz. Die „Geiz-ist-geil-Mentalität“ habe zudem einen Haken: Sie berücksichtige keine Folgeschäden, etwa Abwasserbelastungen durch die Benutzung von nicht biologisch abbaubaren Farben.
Auf die Frage, wie sich Wirtschaftlichkeit und „sonstige politische Ziele“ vereinbaren ließen, hat der Beirat eine Antwort: Preispräferenzen. Dahinter verbirgt sich Folgendes: Erfüllt ein Unternehmen etwa die gewünschten Umweltkriterien nicht, müsste es seine Leistungen bei einer angegebenen Preispräferenz von 5 Prozent um diesen Betrag kostengünstiger anbieten als die Konkurrenz, die die Auflagen erfüllt. „Damit wird der explizite Ausschluss von Unternehmen vermieden“, heißt es in dem Gutachten. In den USA sei dies üblich – gleich, ob versucht wird, Recyclingpapier den Vorzug zu geben oder Unternehmen, die von Minderheiten geführt würden. Germanwatch-Experte Reichert kritisiert hingegen, dass sozial- und umweltpolitische Aspekte damit nicht als notwendig angesehen, sondern „wie Luxusgüter“ behandelt werden, denen je nach Preis der Vorrang gegeben würde.
Zurzeit stimmt die Bundesregierung über den Entwurf zur Reform des Vergabewesens ab. Der Gesetzesentwurf ist für 2007 geplant. CHRISTINE ZEINER
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