: In der Ruhe liegt die Kraft
Der Peiner Bürgermeister Michael Kessler ist Fan des Mittagsschlafes und möchte für seine Beamten Ruheräume bereitstellen. Doch die Amtsleiter der Stadtverwaltung fürchten böse Schlagzeilen
VON KARIN CHRISTMANN
Auch um viertel nach zwölf Uhr mittags ist der Bürgermeister der niedersächsischen Stadt Peine, Michael Kessler, problemlos an das Telefon zu bekommen. Seine zehn Minuten Mittagsschlaf stehen erst nach dem Essen im Terminplan, damit Kessler am Nachmittag wieder „frisch und fit“ arbeiten kann. Das gleiche wünscht sich der Bürgermeister auch für die Angestellten der Peiner Stadtverwaltung und will deshalb Ruheräume mit Liegen für den Mittagsschlaf einrichten. „Ein Mittagsschlaf führt zu wunderbarer Regeneration“, erklärt Kessler sein Anliegen. Ein Durchhänger nach dem Mittagessen sei schließlich ganz normal.
Kurios ist, wieso Kesslers Vorschlag noch nicht in die Tat umgesetzt wurde: Seine Amtsleiter fürchten einen Imageschaden, wenn die Beamten ihrem Bedürfnis nach Mittagsruhe nachgeben. „Sie kennen doch die Schlagzeilen: ‚Beamte halten Mittagsschlaf‘“, sagt auch Friedhelm Schäfer, der Vorsitzende des niedersächsischen Beamtenbundes. Dabei sind sich Schlafforscher und Arbeitsmediziner einig: Ein Mittagsschlaf fördert Konzentration und Leistungsfähigkeit. Griechische Forscher wollen kürzlich sogar herausgefunden haben, dass der Mittagsschlaf das Risiko für koronare Herzkrankheiten wie den Herzinfarkt senkt.
„Solange die Beschäftigten selbst entscheiden können, ob sie das Angebot annehmen, ist es nur zu begrüßen“, sagt Beamtenvertreter Schäfer. Bei einem möglichen Imageschaden, sagt er, müssten die Medien kritisch mit sich selbst ins Gericht gehen. Nur weil die Schlagzeile ‚Beamte halten Mittagsschlaf‘ so knackig aussehe, werde er keinen sinnvollen Vorschlag ablehnen. „Wir stecken noch in den Denkmustern der Industrialisierung fest, nach denen die Geschwindigkeit der Mitarbeiter zählt und nicht deren Leistungsfähigkeit. Und die ist nun mal nur mit einem gesunden Rhythmus von Schlafen und Arbeiten zu erreichen“, sagt auch der Arbeitswissenschaftler Martin Braun. Er geht davon aus, dass die Hälfte der Beschäftigten an Übermüdung leiden.
Der Peiner Bürgermeister Kessler glaubt, dass er es im zweiten Anlauf, nämlich bei der nächsten Amtsleiterrunde, schaffen wird, die Skeptiker zu überzeugen: „Ich gehe davon aus, dass wir danach die Liegen kaufen.“ Kessler zufolge fürchten die Amtsleiter, die den Vorschlag bisher ablehnten, einen Imageschaden. „Es kursieren einfach viel zu viele schlechte Beamtenwitze“, erklärt der Bürgermeister die Berührungsängste. Diese Witze kalauern zum Beispiel über einen imaginären Amtskollegen Kesslers, der gefragt wird, wie viele Beamte in seiner Verwaltung arbeiten. Nach einigem Zögern antwortet er: „Knapp die Hälfte.“
In der Tat haben die Amtsleiter in der Peiner Verwaltung ihre Zweifel, ob Kesslers Vorschlag praxistauglich ist. „Ich glaube nicht, dass uns das beim öffentlichen Ansehen weiterbringt“, sagt Klaus Gryschka, der das Amt für Personal und Organisation leitet. Auch Gryschka legt sich im Urlaub mittags gerne für eine Viertelstunde aufs Ohr und hält den Vorschlag des Bürgermeisters für inhaltlich völlig richtig – doch leider für unvermittelbar.
Böse Geister könnten Bürgermeister Kessler natürlich auch unterstellen, er sei mit der Leistung seiner Beamten unzufrieden. Dem ist aber nicht so. „Mir ist es einfach lieber, sie machen einen Mittagsschlaf, als dass sie literweise Kaffee in sich hineinschütten“, sagt er über die Mitarbeiter seiner Stadtverwaltung. Bevor der SPD-Politiker Kessler im November 2006 sein Amt antrat, arbeitete er 27 Jahre lang in der freien Wirtschaft. Eine bessere Arbeitsmoral will er dort nicht erlebt haben. „Ich war sehr froh, hier eine sehr flotte und dynamische Verwaltung anzutreffen“, sagt Kessler über sein neues Arbeitsumfeld.
Eine andere norddeutsche Stadt hat den Mittagsschlaf für ihre Beamten bereits eingeführt, nämlich Vechta in Westniedersachsen. Mitarbeiter, die vorher an Gesundheitskursen teilgenommen haben, dürfen jeden Tag 20 Minuten ihrer Arbeitszeit zur Regeneration nutzen und schlafen, spazieren gehen oder Entspannungstechniken üben. Mehr als 30 Prozent der Mitarbeiter nähmen das Angebot an, sagt ein Sprecher der Stadt: „Das tut ihnen sichtlich gut.“
Darüber würde sich der Schlafforscher Jürgen Zulley sicher freuen. „Der Mittagsschlaf wird immer noch mit Faulenzertum verbunden“, sagte er kürzlich der Berliner Zeitung. Vielleicht ist ein Ruheraum ja auch einfach die ehrlichere Variante: Zulley schätzt, dass rund ein Viertel der Deutschen im Büro heimlich schlafe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen