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Der König der geborgten Lieder

JOE COCKER Seine Stimme – eine Offenbarung. Er konnte Blues und auch Schnulze, Montag ist er, das Kind der Woodstock-Generation, im Alter von 70 Jahren an Krebs gestorben

Die Bühnen der Pubs werden seine erste künstlerische Heimat

VON FRANZ-XAVER ZIPPERER

Wenn er sang, klang es, als wäre sein Rachen rundum mit grob gekörntem Schmirgelpapier ausgeschlagen. Und dann war da noch dieser markerschütternde Schrei, der nur aus den Untiefen einer geschundenen Seele kommen konnte. Um dieser Klangwucht Ausdruck zu verleihen, musste dabei sein ganzer Körper sprechen.

Der Mann, der diese unverwechselbare Stimme hatte, ist Montag im Alter von 70 Jahren an den Folgen von Lungenkrebs gestorben, in seiner Wahlheimat, dem kleinen Ort Crawford in den Bergen Colorados: Joe Cocker.

1944 wurde er in der nordenglischen Stahlkocherstadt Sheffield geboren, schmiss früh die Schule und wird Gasleitungsinstallateur. Doch bereits als Teenager will er mehr vom Leben. Die Bühnen der Pubs werden seine Heimat. Er kann nicht perfekt singen und gar nicht tanzen; ein Instrument beherrscht er nicht, Noten sind nie sein Ding gewesen. Er nimmt in frühen Karrieretagen die paar Pfund Gage genauso mit, wie er literweise warmes Bier in sich hineinlaufen lässt, das ihm umsonst hingestellt wird.

„Schon damals schenkte ich amerikanischen Bluesmusikern wie John Lee Hooker, Muddy Waters oder Howlin’ Wolf weitaus größeres Interesse, als den Rolling Stones oder den Beatles“, erinnerte sich Joe Cocker in einem Interview. Und doch sollten es die Lieder der Beatles werden, die ihn in die weite Welt des internationalen Konzertgeschäfts katapultierten. Der erste Versuch allerdings, die Interpretation von „I’ll Cry Instead“ aus dem Beatles-Film „A Hard Day’s Night“ aus dem Jahr 1964, interessiert nicht wirklich jemanden.

Und doch, wer Joe Cocker schon damals gehört hat, der hatte nie eine Chance, ihn und seine Stimme je wieder zu vergessen. So schafft es Joe Cocker ins Vorprogramm der Rolling Stones. Einen Plattenvertrag ergattert er auch. Im November 1968 hat er mit „With A Little Help From My Friends“ in England endlich den lang ersehnten Nummer-eins-Hit.

Im Frühjahr 1969, kurz vor seinem 25. Geburtstag, ruft Amerika. Joe Cocker gibt dort erste Festivalauftritte. Er steht mit Jimi Hendrix und Janis Joplin beim Newport-Festival auf der Bühne, mit Led Zeppelin und Creedence Clearwater Revival beim Denver Pop Festival. Am 17. August 1969 geht es zum Popgipfel – zum Woodstock-Festival. Vor über 500.000 Menschen entfährt ihm, dem Unbekannten, der Schrei seines Lebens.

Hab noch ’n paar Groschen für ’ne Flasche Gin

„Let’s Go Get Stoned“ heißt ein Lied, das im Original 1966 von The Coasters gesungen wird. Joe Cocker interpretiert es ebenfalls auf der Bühne in Woodstock. Die Textzeile „I’ve got a few pennies, I’m gonna buy myself a bottle of gin“ leuchtet fortan wie eine Flammenschrift über seinem Leben. Es ist nicht nur der Gin, der seinen Kopf und Körper vernebelt und Joe Cocker tief stürzen lässt. „Drogen gab es überall, und ich stürzte mich auf alles, was ich kriegen konnte“, erzählt er rückblickend, „ich brauchte Jahre, um aus dieser Abwärtsspirale rauszukommen.“

Seine spätere Frau Pam Baker hilft ihm, sich zu stabilisieren. „Sie machte mir klar, dass die Leute mich noch singen hören wollten“, fährt er fort, „und sie schafft mit dem Kauf einer Ranch in Colorado ein Refugium, wo es Ruhe für uns gab. Das Züchten von Tomaten tat ein Übriges.“

Als König der geborgten Lieder kehrt er wie Phönix aus der Asche zurück. „Up Where We Belong“, das mit einem Oscar ausgezeichnete Duett mit Jennifer Warnes, ist der Wendepunkt in seiner Karriere – er war wieder als ernstzunehmende Größe im Showbiz zurück.

Seine weiteren großartigen Interpretationen reichen vom Lovin’-Spoonful-Cover „Summer In The City“ über das Randy Newman-Lied „You Can Leave Your Hat On“ bis hin zu zu Bobby Sharps „Unchain My Heart.“ Sein Livealbum „Mad Dogs & Englishmen“ aus dem Jahr 1970 gehört nach wie vor zu besten Produktionen jener Jahre.

Er ist hierzulande der kleinste gemeinsame Musiknenner – von den Großeltern bis zu den Enkeln. Sein für 2015 angekündigtes neues Album konnte der Sänger nicht mehr vollenden. Posthum wird es gewiss veröffentlicht werden.

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