: „Faul“ ist der falsche Begriff
TAZ-SERIE MÜSSIGGANG (3) Tieren schreibt der Mensch gerne humane Eigenschaften zu. Das ist Quatsch. Sie sind weder besonders fleißig noch faul
■ Die ruhige Zeit zwischen Weihnachten und den ersten Arbeitstagen im neuen Jahr sind Tage der Entschleunigung. Das ganze Land schaltet ein paar Gänge zurück, wird leiser. Die Tage sind erfüllt mit Völlerei, Wiederholungen im Fernsehen, dicken Wälzern, Ausschlafen, langen Spaziergängen …
■ Die taz hat für die entspannten Tage „zwischen den Jahren“ die passenden Ausreden gesucht: In der Serie „Müßiggang“ dreht sich alles um Faulheit in den unterschiedlichsten Facetten. Am Montag kam ein Coach zu Wort, am Dienstag ein Philosoph. Sie erklärten, warum Müßiggang so gut und richtig wie wichtig ist! (taz)
VON CORD RIECHELMANN (TEXT) UND ELÉONORE ROEDEL (ZEICHNUNG)
Faulheit, auf Tiere als Eigenschaft angewandt, ist insofern problematisch, als sie in der Regel aus einem Arbeitsbegriff hervorgeht, den Tiere bestimmt nicht geschaffen haben. Zuschreibungen wie „fauler Hund“ oder „fleißige Biene“ sind ja nicht den Wertvorstellungen von Bienen und Hunden entnommen, sondern kommen aus menschlichen Erwägungen zustande.
Gerade für Bienen und Hunde sind sie aber natürlich trotzdem nicht ohne Bedeutung, da sie für den menschlichen Gebrauch geschaffen wurden. Hunde zum Beispiel kamen vom Karrenköter bis in die 1920er Jahre zu vielfältigem Arbeitseinsatz, und auch ihre edleren Verwandten vom Jagdhundverein mussten, wenn man sie brauchte, ihren Dienst versehen und Fasanen vorstehen, aufscheuchen und, wenn sie denn erschossen waren, nicht etwa einfach auffressen, sondern dem Jäger brav apportieren.
Selbst Hunde wie Windspiele, die es heute auf dem Sofa oder im Körbchen auf bis zu 18 Stunden Schlaf am Tag bringen, wurden ursprünglich unter Nützlichkeitserwägungen zum langen Ruhen gezüchtet. Windspiele dienten in ihren ersten Lebensräumen, ägyptischen Palästen, vor allem dazu, die Mäuse und Ratten im Haus zu fangen und ihren Frauchen oder Herrchen das Bett vorzuwärmen und sie nachts an Nieren und anderen Organen warm zu halten. So war noch ihre ausgedehnte Tendenz zur Ruhe im Dienste des Menschen entstanden.
Wahrscheinlich kommt mit Begriffen wie „Tendenz zur Ruhe“ oder „gemäßigte Antriebslosigkeit“ dem Phänomen der Faulheit unter Tieren näher, als wenn man ihnen gleich jeden Willen zur Anstrengung abspricht.
Nutzloser Hund
Der irische Regisseur Ken Wardrop hat einen wunderbaren Film über einen nicht unbedingt faulen, aber nutzlosen Hund gedreht. „Useless Dog“ heißt er, ist fünf Minuten lang und auf auch bei Youtube zu sehen. Der Hund, um den es geht, gehört einem irischen Farmer und eigentlich soll er Schafe hüten.
Das kann er aber nicht, weil er Angst vor Schafen hat und stattdessen eine innige Beziehung zu Kühen entwickelt. Und die lassen ihn tun, was der Mischlingshund meint tun zu müssen. Für den Farmer ist der Hund also komplett nutzlos und als nutzlos bezeichnet er den Hund auch, liebt ihn aber trotzdem.
Was man in Wardrops Film sehr schön sehen kann, ist, dass der Hund trotzdem viel unterwegs ist, nur ohne nützliches Ziel oder erkennbaren Endzweck. Es reicht ihm offensichtlich, ohne höheres Streben mit sich durch den Tag zu gehen.
Dies ist der Punkt, der das Leben vieler Tiere bestimmt: dass sie nicht mehr tun, als sie für ihren Erhalt brauchen.
So können einem zum Beispiel Klapperschlangen oder Vipern, wenn man sie über einen längeren Zeitraum beobachtet, bis über jede Faulheitsvorstellung hinaus als träge erscheinen. Da beide Schlangenformen die ungewöhnliche Fähigkeit besitzen, so große Beutetiere zu überwältigen, zu verschlingen und zu verdauen, dass sie mit einem großen Fang bis zu einem Drittel ihres jährlichen Energiebedarfs decken können, müssen sie, wenn ihnen so etwas gelungen ist, nicht mehr so viel tun.
Ähnliches gilt für südamerikanische Anakondas, die zur Schlangenfamilie der Boas gehören, wenn sie es geschafft haben, ein Wasserschwein zu überwältigen und zu verschlingen. Und Krodilforscher oder -filmer berichten auch nichts anderes, wenn sie darauf hinweisen, dass sie manchmal drei Monate warten müssen, um jene gern im Fernsehen gezeigten Überfälle eines Krokodils auf ein junges oder krankes Gnu zu filmen. In allen diesen Fällen gilt aber, dass die Träg- oder Faulheit ein Effekt der mehr als genügenden Nahrung ist und die als faul erscheinende Ruhe durch die Aktivität der Verdauung ausgefüllt wird.
Das Nahrungsangebot spielt im Umgang mit den Aktivitäten bei vielen Tieren neben dem Wetter die Hauptrolle. So stehen Mäusebussarde, weil sie als Segelflieger von der Thermik abhängig sind, prinzipiell spät auf. Weil die Thermik vor allem um die Mittagsstunden am stärksten wirkt, würde sich früh aufstehen für sie genauso wenig lohnen, wie lange aufzubleiben. Aber auch wenn sie nicht in der Mittagsthermik am Himmel segeln, tun sie scheinbar nicht viel. Mäusebussarde sitzen gern stundenlang auf niedrigen oder mittelhohen Warten wie Strommasten und drehen vielleicht von Zeit zu Zeit den Kopf, ansonsten scheinen sie nichts zu tun. Mit dem Ausbau von Straßen und Autobahnen musste sie dann auch an deren Rändern nicht viel mehr tun, als auf überfahrene Hasen, Igel oder andere Kleintiere zu warten und deren Kadaver zu verzehren.
Ruhige Biene
Wobei die Tatsache, dass Tiere im Allgemeinen im Rhythmus von Ruhe- und Aktivitätsphasen leben, die bei sehr vielen Tieren in Richtung der Ruhe gedehnt werden, lange auch dadurch verdeckt wurde, das es Tiere wie Bienen und Ameisen gibt, die ständig in Bewegung zu sein scheinen. Was aber für den Schwarm als Ganzes gilt, kann im Einzelfall ein anderes Bild ergeben. Als es dem Bienenforscher Martin Lindauer, der in den 1950er Jahren vielen Bienenvölkern bei ihrer Tätigkeit buchstäblich hinterhergelaufen ist, gelang, eine Biene über ihren Tag zu folgen, wurde der sprichwörtliche Fleiß relativiert. Die meiste Zeit des Tages saß jene Biene untätig im oder am Stock herum.
Bienen, das bestätigen auch neuere Forschungen, erreichen ihr vielfältiges Wissen über ihre Umgebung und ihre hohe Produktivität im Umgang mit ihrer Nahrung, aus der sie Honig herstellen, nicht über den unermüdlichen Einsatz jeder einzelnen Biene, sondern über den auf viele Bienen verteilten und dezentralisierten Einsatz aller. Ihr Zusammenspiel ergibt den fleißigen Eindruck, In den Einzelfällen aber sind lange Ruhephasen eher die Regel.
Ein Moment, das, wenn man es mit der Faulheit koppelt, zu schlimmen Missverständnissen führen kann. Man konnte noch vor wenigen Jahren im Fernsehen einen Zoodirektor sagen hören, nachdem ihm Tierschützer die nicht artgerechte Haltung in zu kleinen Käfigen vorgeworfen hatten, man könne sich gar nicht vorstellen, wie faul so ein Löwe sei. Das reichte ihm als Rechtfertigung für seine Haltungsbedingungen völlig.
Natürlich sind Mähnenlöwen alles andere als faul. Sie benötigen ihre Kräfte nur für etwas anderes. Wofür, wurde erst in Langzeitstudien unter anderem in der Serengeti deutlich. Mähnenlöwen vermögen nämlich nicht unangefochten allein in einer Weibchengruppe zu existieren. Sie werden häufig von anderen Männchen attakiert, die sie zu vertreiben versuchen, um an ihre Stelle zu treten. Die Angriffe erfolgen meist nicht von einzelnen, sondern von sogenannten Junggesellengruppen, die nur aus Männchen bestehen. Logischerweise jagen in diesen Männerverbänden auch die Männer, sonst würden sie ja verhungern, was den Befund der Faulheit der Mähnenträger hoffentlich ein für alle Mal erledigt.
Erschöpfter Löwe
Die ewigen Kämpfe um die Position zwischen den Weibchen sind alles andere als harmlos. Sie führen nicht selten zu Verletzungen, kosten Kraft und erschöpfen ziemlich. So erklärt sich die Zurückhaltung dieser Tiere während der anstrengenden Jagd. Ein Mähnenlöwe kann sich solcher Angriffe nur in seinen besten Jahren erwehren. Nach durchschnittlich drei bis vier Jahren wird er besiegt und vertrieben und zieht dann oft schon zahnlos als einsamer alter Mann durch die Savannen.
Mit der Faulheit, von der der Zoodirektor sprach, hat aber auch der langsam einsame Gang eines alten, abgelösten Löwen nichts zu tun. Konrad Lorenz hat gegen die allein aus den Haltungsbedingungen folgende Trägheit von großen Raubkatzen in Zoos einmal die Wendung geprägt, ein gesundes Tier sei aktiv. Womit Lorenz, der von Zoos nicht viel hielt, den Zootieren auch unterstellte, dass sie krank, genauer: verhaltenskrank seien. Eine Krankheit, die wesentlich aus der Langweile im Zoo folgt.
Wenn man Tieren also mit der Eigenschaft der Faulheit beschreibend auf den Leib rückt, wäre es ratsam, die Faulheit außerhalb des engstirnigen aktuellen Arbeitsbegriffs zu tun. Denn die tatsächlich auch unter Tieren zu beobachtenden Phasen der Hyperaktivität entspringen oft einem extremen Mangel. Das kann ein Mangel an Nahrung sein, es kann aber auch ein Mangel an Abwechslung durch die Umgebung sein, wie er in sterilen Zookäfigen und Mastanstalten für Schweine oder Hühner auftauchen kann. Und dass die auf die Hyperaktivität in der Regel folgende Trägheit wie Faulheit aussehen kann, hat mit dem scheinbaren Dösen von Bussarden in der Nähe von Straßen nichts zu tun.
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