: Dumpf dröhnt hier der Moorochse
Nationalpark statt national befreite Zone: Im Müritz-Nationalpark hat sich ein Naturraum erhalten, der vielfältiger ist als anderswo in Europa. Im Sommer ist die Mecklenburgische Seenplatte ideal für Wassersportler
Die Müritz ist mit 117 Kilometer der größte See Norddeutschlands. Ein 500 Meter breiter Streifen am Ostufer gehört zum Nationalpark. Mit Bus oder Schiff lässt sich der ganze Park erforschen. Mit einem Müritz-Nationalpark-Ticket kann man eine ganze Woche lang im Park unterwegs sein. Das Kranichticket lädt zur Beobachtung der durchziehenden Kraniche im Müritz-Nationalpark ein. Das Ticket gibt es ab 1. September 2007. Zum Kranichticket gehören abendliche Wanderungen zu den Rastplätzen am Rederangsee. Erfahrene Kranichführer werden die Besucher begleiten. Das Ticket kostet 7 Euro für Erwachsene, für Kinder bis 14 Jahre ist es frei. www.nationalpark-mueritz.de Die Müritz-Nationalpark-Partner bieten Dienstleistungen und Produkte hoher Qualität, die einen engen Bezug zum Nationalpark haben. Auch Ferienwohnungen. www.mueritz-nationalpark-partner.de
Um die idyllischen Seen und Flüsse zu erleben, mietet man ein Hausboot, eine Motor- oder Segelyacht oder geht mit dem Kanu auf Entdeckungsreise. Informationen und Adressen beim Fremdenverkehrsamt. www.mecklenburgische-seenplatte.de Wer sich auf die Jagd nach einem Hecht oder Barsch machen möchte, ist bei den Müritzfischern an der richtigen Adresse. Jeder Besucher, der sich einen 28 Tage lang geltenden Touristen-Fischerei-Schein besorgt hat, erhält bei ihnen Angelkarten. Daneben vermietet die Fischereikooperative Ferienwohnungen und Fischerboote. www.mueritzfischer.de Ferienpark Mirow: www.ferienpark-mirow.com info@ferienpark-mirow.com ED
VON EDITH KRESTA
Die Landschaft ist durchzogen von Kiefern-, Buchen- und Mischwäldern, die sich mit saftig grünen Wiesen, dem Blau der Seen und braungelben Äckern abwechseln. Üppiges, wucherndes Grün, so weit das Auge reicht. „Das sieht hier aus wie im Frühling“, schwärmt der Spanier Andrés. Dabei ist es bereits Spätsommer in der Mecklenburgischen Seenplatte. Wasser gibt es hier ohnehin reichlich, geregnet hat es diesen Sommer auch genügend. Andrés, an die trockene Ebene der spanischen Extremadura gewöhnt, hat die Mecklenburgische Seenplatte für sich als grüne Oase entdeckt: zum Paddeln und Radfahren. Die Tütenerbsensuppe im Restaurant hält er für eine deutsche Spezialität, die wenigen Glatzen unterwegs für Schwule.
Zwischen Hamburg, der Landeshauptstadt Schwerin, Rostock und Berlin, erstreckt sich ein blaugrüner Flickenteppich von über tausend Seen: Die Auswahl reicht vom Tümpel mit versumpften Ufern zwischen umgestürzten Bäumen bis zur Ferien- Hochburg Müritz im gleichnamigen Nationalpark. Es ist das größte zusammenhängende Wasserrevier Mitteleuropas. Während der letzten Eiszeit schabten Eis und Gletscher in dieser Region Täler und Mulden aus, die sich später mit Wasser füllten. So entstanden die Seen und im Zuge natürlicher Verlandung die zahlreichen Moore, die zu den besonders gefährdeten Ökosystemen gehören. Die Gebiete um die Städte Waren, Röbel, Neustrelitz und Plau am See bilden das Zentrum dieser Großseenlandschaft mit über tausend Seen. Sie sind durch Kanäle verbunden und lassen sich per Boot hervorragend befahren.
Wer sich mit dem Boot von Berlin oder Hamburg über die Havel und die Elbe sowie über Seen und Verbindungskanäle wie die Müritz-Havel- und die Müritz-Elbe-Wasserstraße auf den Weg macht, sollte drei bis vier Wochen Zeit einplanen. Immerhin gibt es unterwegs nicht nur Natur, sondern auch das eine andere Städtchen mit Kirchen und Klöstern der Backsteingotik. Doch die meisten Wassernomaden, die auf den Kanälen und Seen Mecklenburgs unterwegs sind, unternehmen keine Langstreckentouren, sondern erkunden die Seenlandschaft und die Wasserstraßen des Landes ein Wochenende oder eine Woche lang.
Andrés und ich besuchen mit dem Ranger, Henrik Fulda, den Müritz-Nationalpark. Der 310 Quadratkilometer große Park liegt an Deutschlands größtem Binnensee, der Müritz. Fulda führt uns zu einer Aussichtskanzel. Von dort können wir den Fischadler bei der Brut und Jagd beobachten. Majestätisch kreisen diese Riesenvögel mit einer Flügelspannweite von 2,60 Metern auf Nahrungssuche über Wälder und Seen. Über hundert Paare leben alleine hier im Müritzgebiet. Sie werden vom Naturparkamt besonders gepflegt.
Selten sehen wir Menschen, stattdessen Adler, Eisvogel und Otter. Andrés wundert sich immer wieder, dass nur eine Stunde von Berlin entfernt so viel Natur und Einsamkeit zu finden ist. Ab und zu begegnen uns vereinzelte Radfahrer. Kurz vor dem Ort Granitz kreuzt eine dreiköpfige Kanumannschaft die Straße, das Boot geschultert. Um weiterzupaddeln, muss sie das Boot auf der Lorenbahn über Land zur nächsten Wasserstraße überführen.
„Zu DDR-Zeiten war hier zwischen den Orten Speck und Granitz militärisches Sperrgebiet der Russen“, erzählt Henrik Fulda. Die Region war abgeschottetes Panzerübungsgelände, hier lagerten die Atomsprengköpfe. Teile der Bevölkerung wurden umgesiedelt. Dort, wo sich neue, junge Wälder ausbreiten, waren einst Lichtungen für Truppenübungsplätze. „Die Russen lebten hier unter sich“, weiß Fulda. „Die Selbstmordrate der Soldaten soll sehr hoch gewesen sein.“
In einsame Dörfer führen wie zu Urgroßvaters Zeiten Straßen mit Buckelpflaster, von alten Eichen und Linden gesäumt. Halb vergessene Feldsteinhäuser, aber auch modernisierte Einfamilienhäuser säumen den Weg. Mecklenburg war immer schon rückständig. In der agrarisch geprägten Region hat sich kaum Industrie angesiedelt. Gerade deshalb hat sich hier ein Naturparadies erhalten, reicher und vielfältiger als anderswo in Europa. Die Luft ist reiner als in vielen anderen Gegenden, mancher See hat noch Trinkwasserqualität. Die Ufer der Seen, die vielen Inseln, Moore und Sumpfniederungen sind ein besonders reicher Lebensraum. In feuchten Wiesen wächst der Insekten fressende Sonnentau, Orchideen blühen. Auch Seidelbast findet man, dazu Fingerhut, Kuhschelle und Lungenenzian.
In Kratzeburg machen wir Rast. Im kleinen Hofladen mit Imbiss der Fischerei Berkholz wird Fisch aus dem Räucherofen verkauft, aber auch Marmelade, Sanddornsaft, Honig und Pullover aus der Wolle des Rauwolligen Pommerschen Landschafs – Produkte aus der Region. Die kleinen Produzenten vor Ort haben sich seit drei Jahren zu grünen Märkten zusammengeschlossen und vertreiben ihre Produkte untereinander in kleinen Hofläden und auf den Wochenmärkten der Region.
Die Mecklenburger gelten als ruhig, zurückhaltend und wortkarg. Und dennoch erzählt uns der Fischer, Gerd-Friedrich Berking senior, bereitwillig die Geschichte seines Betriebes: Zu DDR-Zeiten war der einst unabhängige Fischer aus Familientradition in der Genossenschaft beschäftigt. Nach der Wende, als die Fischerei an Bedeutung verlor, hat er sich wieder selbstständig gemacht. „Inzwischen kommen schon ganze Reisebusse auf unseren Hof“, erzählt Berking. „Am Anfang war die Selbstständigkeit eine Zitterpartie. Viele Fischer haben aufgegeben.“ Die Berkings sind wie viele andere kleine Betriebe Nationalpark-Partner – im Sinne einer regionalen, nachhaltigen Entwicklung. Nach alten Familienrezepten räuchern sie im Ofen Aal, Hecht, Schlei, Brassen, Karpfen, Flussbarsch, Wels und Meeresfische über verschiedensten Räucherhölzern. Der so zubereitete Fisch ist köstlich!
Mirow ist ein typischer Ferienort in Ostdeutschland. Ein Hauch von Tristesse und Verlassenheit macht sich schnell breit in diesen Orten. Am besten, man bewegt sich nicht abseits der neu gestalteten Uferpromenade mit netten Cafés, neuen Restaurants und der gepflegten Neubausiedlung. Am Bahnhof sollte man nicht vor der Abfahrtszeit erscheinen: kein neuer Anstrich, kein Kiosk, geschweige denn ein Restaurant in der Nähe verkürzen hier die Wartezeit. „So heruntgekommen und doch so nah bei Berlin?“, wundert sich Andrés über den Rückstand Ost.
Unser Quartier im Ferienpark Mirow ist hingegen ein angenehmes, neues Ferienhaus mit bestem Standard, sogar wintertauglich. Der Tourismus ist für diese Region wie für das gesamte Bundesland Mecklenburg-Vorpommern existenziell wichtig. Deshalb hat man in den letzten Jahren die Infrastruktur verbessert und zum Beispiel zahlreiche Häfen modernisiert. Allein in den Häfen und Marinas rund um die Müritz gibt es mehr als 3.000 Liegeplätze, zu DDR-Zeiten fanden hier nur etwa 250 Boote Platz. Fast alle Hotels wurden auf internationalen Standard gebracht, viele neue sind entstanden. Boots- und Fahrradverleih findet der Wasserwanderer überall im Seengebiet.
Im Bootshaus gleich am Ferienpark Mirow mieten wir ein Kanu und gleiten über das stille Wasser – vorbei an riesigen blühenden Seerosenfeldern, einsamen Buchten, schilfigen Ufern und strohgedeckten Datschen, die die Wende unbeschadet überstanden haben. Die Wildgans im Schilf, der Buntspecht am Baum, der „Kolibri des Nordens“, der Eisvogel, jagt über dem Wasser die Fische – Natur pur. Erholung für alle Sinne. Bis das lauschige Naturerlebnis durch schwere Regentropfen ungemütlich wird. Das üppige Grün, das Andrés so begeistert, kommt schließlich nicht von irgendwo.
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