: Ist das Abendland hysterisch?
PANIK In Dresden gab es am Montag ein Demonstrationsverbot. In Leipzig patrouillierten 4.000 Polizisten – neben 15.000 „Patriotischen Europäern“. Deren ehemaliger Anführer wird nun der Volksverhetzung verdächtigt
Die Streitfrage wird vorab online gestellt.
Immer dienstags. Wir wählen eine interessante Antwort aus und drucken sie dann in der taz.am wochenende: www.taz.de/streit oder www.facebook.com/taz.kommune
Redaktion: C. Luz, C. Stöckel, A. Seubert
Fotos: dpa (groß); A. Kohlmeier; Bertelsmann-Stiftung; dpa; Stadt Leipzig; privat (2)
Lothar König
Weil einer droht, jemanden zu erschießen, werden Demos verboten: Wenn das Schule machen sollte, kann man gleich bundesweit das Recht auf Versammlungsfreiheit abschaffen.
Lothar König, 60, ist evangelischer Jugendpfarrer in Jena. Weil er in Dresden auf einer Anti-Nazi-Demo zu Gewalt gegen Polizisten aufgerufen haben soll, stand er vor Gericht. Ende 2014 wurde das Verfahren eingestellt
Lamya Kaddor
In diesen Zeiten müssen wir näher beieinanderstehen und uns für eine Einheit in Vielfalt aussprechen. Die Medien- und Netzwelt berichtet unentwegt über die islamistische Bedrohung auf der einen Seite und über die völkische Bedrohung der Pegida-Bewegung auf der anderen. Beide sind gleichermaßen eine Gefahr für unser Abendland.
Lamya Kaddor, 36, ist Religionspädagogin. Sie unterrichtete in Dinslaken-Lohberg „Islamkunde in deutscher Sprache“. Sie erfuhr, dass fünf ihrer Schüler für den Dschihad nach Syrien zogen.
Büsra Delikaya
Ohne diese systematische Panikmache würde erst gar keine Hysterie ausbrechen. Ich laufe noch immer glücklich und sicher durch mein Berlin, trotz Pegida. Und meine deutschen Mitbürger tun es auch, trotz Islamismus.
Büsra Delikaya, 19, studiert Germanistik und Geschichte an der Universität Potsdam. Sie hat die Streitfrage auf Facebook kommentiert
Volker Beck
Das Abendland ist ein Mythos. Und hysterisch? Im Gegenteil! Total schön, diese positive Empörungs–kultur zu beobachten, die aus Protest gegen die Dumpfheit der Dresdner Pegida jede Woche Zehntausende für Demokratie, Freiheit und gegen Menschen-feindlichkeit auf die Straßen bringt.
Volker Beck, 54, Grünen-Bundestagsabgeordneter, wirft den Dresdner Ermittlungsbehörden „nachlässiges Vorgehen“ im Fall des erstochenen Flüchtlings Khaled Idris Bahray vor. Beck hat Anzeige erstattet
Heinrich August Winkler
Pegidas „Abendland“ ist eine Absage an den aufgeklärten Westen. Gegen die politischen Ideen von 1776 und 1789 lehnte sich die national- konservative Rechte schon im Kaiserreich und in Weimar auf. Die Früchte erntete der Nationalsozialismus.
Heinrich August Winkler, 76, ist Historiker. Der dritte Band seiner „Geschichte des Westens“ ist im vergangenen Jahr erschienen
Burkhard Jung
Bei Pegida bin ich mir nicht sicher; Hysterie im Sinne eines übersteigerten Geltungsbedürfnisses und einer hohen Affektivität ist hier in Teilen zu entdecken. Es würde helfen, wenn man dort erkennt, dass es rund um Europa Millionen Menschen gibt, die wirklich Grund zur Sorge haben.
Burkhard Jung, 56, SPD-Politiker, ist seit 2006 Oberbürgermeister von Leipzig. „Eine wunderschöne Botschaft für die Freiheit“, sagte er über die 20.000 Menschen, die am Mittwoch gegen Legida protestierten
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen