: Ohne Germanenpathos
„Der Brocken ist ein Deutscher“, wusste Heinrich Heine und schenkte der Tourismuswerbung so einen eingängigen Slogan. Eine Harzreise mit der 140 Kilometer langen Schmalspurbahn auf den Brocken
Der Harz-Berlin-Express der Privatbahn Veolia Verkehr ist am Wochenende die einzige direkte Zugverbindung in die Harzstädte Halberstadt, Quedlingburg, Wernigerode und Thale, ab 15 Euro. Eine Übernachtung mit Hin- und Rückfahrt für zwei Personen in einer Ferienwohnung bekommt man schon für 76 Euro. www.hex-online.de Unterkunft im 2005 neu errichteten Ferienpark Bodetal in Thale in Ferienwohnungen und Hotelzimmern für 2 Personen ab 42 Euro. www.thale.de Das „Ferienhotel Forelle“, ältestes Gasthaus am oberen Bodetal, hat 32 verschiedene Forellengerichte auf der Speisekarte. www.hotel-forelle.de Brockenhotel-Arrangements „Über den Wolken“, drei Übernachtungen mit Halbpension für 199 Euro pro Person. Wandern ohne Gepäck, Hexenstieg-Pauschale, sechs Übernachtungen inkl. Frühstück und Gepäcktransport für 288 Euro pro Person im Doppelzimmer. Vom Hexentanzplatz geht es 1.000 Meter sportlich abwärts auf der Allwetter-Rodelbahn. „Lange Nacht der Hexen“ am 6. Oktober 2007. „Faust – Rockoper auf dem Brocken“ im Oktober und November. Mit dem Dampfzug „Mephisto-Express“ von Wernigerode zum Brocken und zurück. www.hsb-wr.de
VON RONALD KEUSCH
Lebet wohl, ihr glatten Säle! Glatte Herren! Glatte Frauen! Auf die Berge will ich steigen, Lachend auf euch niederschauen.
Heinrich Heine, „Die Harzreise“
Als der 27jährige Heine poetisch und respektlos die Harzlandschaft beschrieb und den Brocken hinaufstieg, entdeckte er den Charakter des Berges. „Dieser Charakter ist deutsch“, so befand er, „sowohl in Hinsicht seiner Fehler, aber auch seiner Vorzüge.“ Dass Heines Schlussfolgerung, „Der Brocken ist ein Deutscher“, als Zitat heutzutage in keinem Prospekt fehlt, ließe ihn sicher schmunzeln. Richtig ist damals wie heute, dass es im nördlichsten Mittelgebirge Deutschlands schöne Natur und jede Menge Kultur und Mythen zu entdecken gibt.
Bevor der Besucher den Harz durchwandert, lässt er sich standesgemäß auf der schmalen Schiene fahren. Im Jahr 1899 wurde die Strecke Drei-Annen-Hohne, Bahnhof Schierke bis hoch zum 1.124 Meter hohen Brocken eingeweiht. Heute verfügt die Harzer Schmalspurbahn über ein Streckennetz von 140 Kilometern, das längste zusammenhängende Netz in Europa. Die 700 Pferdestärken der Dampflok schnaufen, zischen und verbreiten das Flair vergangener Zeiten. Die Schaffnerin nimmt sich die Zeit, den Fremdenführer zu spielen. „Dort drüben sehen Sie die Wurmbergschanze in Braunlage.“ Nebenbei verteilt sie auch schon kleine Fläschchen, das Stück zum Preis von zwei Euro, den Kräuterschnaps Schierker Feuerstein, oder man wählt aus zwischen Heizer-, Bahner- und Schaffner-Schluck. Da kann schnell familiäre Atmosphäre aufkommen.
Der Fahrgast stellt sich mit dem Fotoapparat auf die Plattform, es rattert rhythmisch, der Schlauch der Heizleitung zwischen den Waggons dampft, die Dampflok pfeift. Weißgraue Dampfschwaden ziehen vorbei und geben den Blick frei auf den rechts und links auftauchenden Waldrand, und dann tut sich ein neues Panorama auf. Nach 50 Minuten Fahrt erreicht die Bahn das Brockenplateau. Die Sage erzählt, dass hier in der Walpurgisnacht vom 30. April auf den 1. Mai die Hexen auf dem Besen angeflogen kommen. Bis dahin sind sie tagtäglich in handlichem Format in den Souvenirläden erhältlich.
Die beste Aussicht bietet die siebente Etage des im Jahr 2000 renovierten Hotels Brockenwirt & Sohn. Im selben Jahr wurde gleich daneben das Brockenhaus eröffnet. Es beherbergt in seinen drei Etagen ein Museum, das den Brocken auch als ein Symbol der deutschen Teilung zeigt. Keine Teilung bleibt ewig, das beweisen beispielhaft auch die nach der Wende entstandenen Nationalparks Westharz und Ostharz. Auch sie haben sich mit etwas Verspätung vor zwei Jahren zum einheitlichen Nationalpark Harz zusammengefunden. Die Aussicht vom Brocken soll bis zu 230 Kilometer weit ins Land gehen, allerdings bringt es der Brocken, so wird gesagt, auch locker auf 300 Nebeltage im Jahr. Die Hexen lassen grüßen.
Die Hochburg der Sagen und Mythen liegt in Thale. Die promovierte Biologin Dr. Evelyn Kunz mit Sitz im Rathaus Thale ist hier für die zarte, pflegebedürftige Pflanze Tourismus zuständig. Sie steht einer Abteilung von drei jungen Mitarbeiterinnen vor, die bei Bedarf für die Besucher ins Hexenkostüm schlüpfen. Auftrittsorte gibt es genug. An erster Stelle stehen die Walpurgishalle und der Mythenpavillon auf dem Hexentanzplatz. Vor drei Jahren begann man damit, einen Mythenweg anzulegen, der von der Talstation durch den Ort führt. Er wird mit zwölf von Künstlern gestalteten Figuren aus der germanischen Mythologie geschmückt. Fünf der Figuren sind bereits fertiggestellt. Die Art, der heidnischen Götterwelt zu huldigen, wirkt ausgesprochen modern: kein protziges „Germanenpathos“.
Mittlerweile ist der Mythenweg zusätzlich durch in den Boden eingelassene Hufeisen gekennzeichnet und leicht zu finden. Der Götterkönig Wotan mit seinen beiden Raben Hugin und Munin schaut väterlich auf die Besucher, Wotans Pferd Sleipnir und der Neiddrachen Nidhögg glänzen metallisch, der Himmelswächter Heimdall ist ganz aus Stein, und eine streng blickende Schlange Midgard aus Eichenholz steht vor der Talstation der Kabinenbahn.
Die Bahn schwebt mit Vierergondeln auf 431 Meter Höhe zum Hexentanzplatz. Ganz in der Nähe führt ein Sessellift zu einem berühmten Bergmassiv, von dem in der Geschichte der schönen Prinzessin Brunhilde erzählt wird, die vor dem ungeliebten Ritter Bodo floh. Ein gewaltiger Sprung mit ihrem Ross rettete sie und hinterließ einen tiefen Hufabdruck im Gestein – die Roßtrappe. Für Bodo endete die wilde Jagd nicht so glücklich. Er stürzte in den Fluss, der seitdem Bode heißt, und musste fortan in Gestalt eines schwarzen Hundes die Königskrone der Prinzessin bewachen.
Durch das Tal der Bode, noch vor zweihundert Jahren fast unpassierbar, schlängelt sich heute ein elf Kilometer langer Wanderweg mit wildromantischen Felsenschluchten. Hier ist eine Vielfalt von kleinen Naturwundern zu bestaunen. Und wenn man im Harz wandert, mit guter Laune und dem richtigen Weggefährten, dann kann man wie Heinrich Heine im Jahr 1824 „das ruhige Herzklopfen des Berges belauschen. Die Vögel singen abgebrochene Sehnsuchtslaute“ und „die Bäume flüstern wie mit tausend Mädchenzungen“.
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