: Der Briefwechsel
Nirgendwo verbringen Kinder tagsüber mehr Zeit, kaum ein Thema beschäftigt Eltern so sehr. In der Schule wird Wissen vermittelt, hier beginnen Lebensläufe und Freundschaften fürs Leben. Was denken SchülerInnen über Lehrer, Mitschüler, Lehrpläne, Reformen und Verbote? Was meinen LehrerInnen dazu? An dieser Stelle erscheint in loser Folge ein Austausch zwischen SchülerInnen und LehrerInnen. Lust aufs Briefeschreiben? bildung@taz.de
DIE FRAGE
Warum dürfen Lehrer das?
Als ich letztens noch in der Cafeteria saß und mein Mittagessen aß, klingelte es schon zum Hochgehen. Oh Mist, die Pause war zu Ende. Um nicht zu spät zu kommen, brachte ich meinen Teller mit dem erst halb aufgegessenen Essen zur Geschirrrückgabe und rannte schnell in den Unterrichtsraum. Den Stress hätte ich mir sparen können.
Zwanzig Minuten vergingen, ohne dass der Lehrer erschien. Dann nachdem die Stunde schon weit fortgeschritten war, kam er endlich. Er hätte etwas Wichtiges zu tun gehabt, sagte er zur Entschuldigung. Das hatte ich auch, dachte ich genervt und hungrig.
Wieso geht man davon aus, dass die Toleranz der Schüler für so etwas immer vorhanden ist, doch umgekehrt der Lehrer gleich aus einer Mücke einen Elefanten machen darf? Wieso ist es Lehrern erlaubt, zu spät zu kommen, während das bei uns gleich mit einem Vermerk quittiert wird? Als ich zu Beginn des Tages zwei Minuten zu spät zum Unterricht kam, raunzte mich ein Lehrer an und trug die Verspätung sogleich ins Klassenbuch ein. Ich gebe zu, ich bin nicht die pünktlichste Person, ohne äußeren Zwang lasse ich mir gern Zeit. Insofern habe ich Verständnis, wenn Zuspätkommen quittiert wird. Doch empfinde ich es als ungerecht, wenn Schüler für 2 Minuten Verspätung bestraft werden, während ein Lehrer, der 20 Minuten später kommt, als er soll, keinerlei Konsequenzen fürchten muss. Die Schulregeln sollten doch für alle in der Schule gelten – für Lehrer und für Schüler. Wer sie verletzt, der sollte auch die gleichen Konsequenzen spüren. Wenn Regeln je nach Position unterschiedlich ausgelegt werden, sinkt meine Motivation, sie zu befolgen.
Marie Rozoum, 15 Jahre, besucht die 10. Klasse eines Gymnasiums in Berlin
DIE ANTWORT
Manchmal sind Eltern schuld!
Wer zu spät kommt, nervt all diejenigen, die pünktlich erschienen sind. Selbstverständlich müssen sich auch Lehrer an Regeln halten, denn auch das Zuspätkommen der Lehrer nervt. Dich zum Beispiel.
Und ja, es gibt Lehrer, die nach dem Klingelzeichen noch im Lehrerzimmer sitzen bleiben, das Gespräch mit dem Kollegen über die jüngste Niederlage von Borussia Dortmund in aller Ruhe zu Ende führen und trotzdem, wie du schreibst, einen zu spät kommenden Schüler anmeckern. Für solche Lehrer habe ich kein Verständnis. Passiert das häufiger, sollte der Schülersprecher den Lehrer um ein Gespräch bitten. Sonst ändert sich nämlich nichts.
Anders verhält es sich mit Lehrern, die zu spät kommen und zu den Schülern als Erstes sagen: „Tut mir leid, ich bin aufgehalten worden!“ Das kommt nämlich wirklich vor. Zum Beispiel führen Lehrer in den Pausen manchmal Gespräche mit Eltern. Eltern können auf beiden Augen blind sein, wenn es um die Belange – das heißt fast immer: um die Noten! – ihrer Kinder geht. Solche Eltern wird man nicht so einfach los. In so einer Situation „darf“ ein Lehrer zu spät kommen, und wenn es nicht ständig passiert, sollte euch eine kurze Entschuldigung – dazu sollte sich jeder Lehrer verpflichtet fühlen – genügen.
Warum kommen aber Schüler zu spät? Ein Grund, der akzeptiert werden könnte, ist ein verspäteter Bus. Dein Problem war allerdings, dass du noch gegessen hast. Warum? War die Schlange in der Cafeteria zu lang? Hast du zu Hause nichts gegessen und warst deshalb besonders hungrig? War die Pause zu kurz? Tut mir leid: Zu wenig Zeit für das Essen in der Cafeteria – das ist kein Grund, zu spät zum Unterricht zu erscheinen. Und wenn es an eurer Schule oft aus diesem Grund zu Verspätungen kommt, dann müsst ihr verlangen, dass die Pausenordnung geändert wird.
Viele Schüler sagen auch: „Bin noch mal auf Klo gewesen.“ Unter normalen Umständen sitzt man aber nicht länger als wenige Minuten auf dem Klo. Schüler haben, das ist meine Erfahrung, selten gute Gründe, zu spät zu kommen.
Am einfachsten wäre es, wenn Lehrer bei jedem Schüler einfach zwei Verspätungen pro Halbjahr akzeptierten. Schüler wiederum müssten akzeptieren, dass sie bei der dritten Stunde nicht nur angemeckert werden, sondern dass sie nachmittags mit ihren Eltern zum Gespräch geladen werden. Oder dass sie bei der dritten Verspätung vor der Tür warten müssen und eine unentschuldigte Fehlstunde im Zeugnis stehen haben.
Arne Ulbricht, 42, unterrichtet an einem Berufskolleg in Nordrhein-Westfalen.
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