: Tue Gutes, aber nur auf Sparflamme
INTRANSPARENZ Waren mit Bio- und Fairtrade-Siegel stehen heutzutage in jedem Supermarkt – zumindest ein paar, irgendwo in einer Ecke. Große Konzerne machen mit der Moral ihrer Kunden Geschäfte auf dem Rücken anderer
■ Frank Herrmann, der Autor des Artikels, hat gemeinsam mit Martina Hahn einen Ratgeber über Fairen Handel verfasst. Immer mehr Verbraucher möchten wissen, wo sie fair gehandelte Lebensmittel erhalten: In welchem Laden hängen T-Shirts, die nicht von Kindern zusammengenäht worden sind? Wo kann eine Reise gebucht werden, bei der auch das Zimmermädchen einen gerechten Lohn erhält, und welcher Investmentfonds ist wirklich nachhaltig angelegt?
■ Mithilfe dieses Ratgebers kann jede und jeder fair konsumieren – vom Szenekenner über den Fairtrade-Einsteiger bis hin zum Biokäufer. Hier findet sich alles, um sich zurechtzufinden: ausführliche Hintergrundinfos, jede Menge Adressen, Weblinks, Literaturempfehlungen und konkrete Einkaufstipps.
Fair einkaufen – aber wie? Der Ratgeber für fairen Handel, für Mode, Geld, Reisen und Genuss. Mit einem Vorwort von Gerd Billen, Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, 4. komplett überarbeitete und erweiterte Ausgabe, 340 S., Paperback, 24,90 Euro
VON FRANK HERRMANN
In Deutschland mit Lebensmitteln zu handeln, ist ein knallhartes Geschäft. Mehr noch, weil es die Großen geschafft haben, die Kleinen zu verdrängen: Der konventionelle Markt wird zu 90 Prozent von Aldi, der Schwarzgruppe (Lidl, Kaufland), Edeka, Rewe und Real (Metro) dominiert. Kleinere Handelsketten und einzelne Läden haben damit zunehmend das Nachsehen.
Diese Machtkonzentration im konventionellen Handel hat auch das Bundeskartellamt 2014 in seiner „Sektoruntersuchung Lebensmitteleinzelhandel“ bestätigt. Verhindert hat sie die Behörde nicht. Lediglich die bevorstehende Übernahme der rund 450 Kaiser’s-Tengelmann-Filialen durch Marktführer Edeka steht auf dem Prüfstand. In der Studie „Who’s got the Power“ kritisieren Organisationen wie Fairtrade Deutschland oder die World Fair Trade Organization die negativen Folgen des Machtmissbrauchs „auf allen Ebenen der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette“.
Besonders die Discounter nutzen diese Macht rücksichtslos im Einkauf. Lieferanten von Eiern und Milch werden im Preis gedrückt – oftmals über die Schmerzgrenze hinaus. Beispiele: Viele Bauern können nur mit EU-Subventionen überleben, unseren Steuergeldern.
Zwischenhändler umgehen in Ecuador staatlich festgelegte Mindestpreise für Bananen, die auch in deutschen Supermärkten landen, wie die Oxfam-Untersuchung „Billige Bananen: Wer zahlt den Preis?“ zeigt.
Konventioneller Kaffee wird trotz steigender Rohstoffpreise und hoher Verbrauchersteuern für unter drei Euro die 500-Gramm-Packung verramscht. Da bleibt für die Kleinbauern in Guatemala, Vietnam oder Kenia nicht mehr viel übrig.
Ungeachtet ihrer harten Einkaufspolitik beim Gros des Sortiments stellen Lidl, Aldi & Co., aber auch konventionelle Supermarktketten wie Edeka oder Rewe vermehrt fair gehandelte und ökologisch erzeugte Waren ins Regal. Es lohnt sich für sie.
Bio und Fair haben in Deutschland Hochkonjunktur. Immer mehr Konsumenten greifen auf umweltfreundliche und ethisch einwandfreie Produkte zurück. Der Biohandel konnte laut Arbeitskreis Biomarkt 2013 um 7,2 Prozent auf 7,55 Milliarden Euro zulegen, fair gehandelte Waren gar laut Forum Fairer Handel um 21 Prozent auf 784 Millionen Euro. Die 2014er-Zahlen deuten auf weitere Steigerungen hin. Da liegt es für die konventionellen Handelsketten nah, biofaires wie Kaffee, Bananen, Schokolade, Orangensaft, Zucker, Tee, Wein und mehr ins Sortiment aufzunehmen. Auch wenn Fair und Bio weiterhin Nischenmärkte sind, lässt sich damit eine kaufkräftige Kundschaft in die Läden locken.
Doch während das Angebot bei Bio inzwischen durchaus akzeptabel ist – zumindest was die Anzahl der Produkte betrifft –, tun sich Supermärkte und Discounter bei fair erzeugter Ware noch schwer: Bei den meisten Discountern liegen lediglich 10 bis 20 solcher Produkte im Regal, bei den Supermarktketten können es auch schon mal – je nach Ladengröße – 100 und mehr sein.
Was sich viel anhört, ist mehr als bescheiden – schließlich haben Discounter mehrere Tausend und Supermarktketten einige Zehntausend unterschiedliche Produkte im Sortiment.
Da ist Luft nach oben. „Diese Produkte machen bei uns leider einen relativ kleinen Anteil am Gesamtsortiment aus“, räumt zum Beispiel Christine Axtmann, Pressesprecherin bei Kaufland, ein.
Fragt man sie nach der genauen Anzahl der fairen Produkte oder nach konkreten Umsatzzahlen für Fair und Bio, hüllt sich die Branche gerne in Schweigen. So setzte die Metro AG mit Metro Cash & Carry, Real und Kaufhof Galeria im Geschäftsjahr 2013/2014 gerade einmal 56 Millionen Euro mit Bioware um, während der Gesamtumsatz der Verkaufsstellen im selben Zeitraum rund 42 Milliarden Euro betrug. Der Anteil fairer Waren, den die Metro AG nicht gesondert ausweist, liegt deutlich darunter. Den konkreten Anteil fairer Produkte am Gesamtsortiment und Gesamtumsatz will auch Rewe-Sprecher Thomas Bonrath nicht nennen – nur so viel: „Der Anteil ist noch sehr gering.“ Und bei Lidl machen Fairtrade-Produkte nach eigenen Angaben weniger als ein Prozent des Umsatzes aus. Auch von Aldi gibt es keine konkreten Zahlen zum Umsatz von Bio- und Fairprodukten.
Angesichts dieser Intransparenz und der wenig zimperlichen Handelspraktiken stellt sich die Frage, ob faire und Biolebensmittel überhaupt in den konventionellen Handel passen – ökologischer und ethischer wird das Geschäftsmodell der Supermarktketten und Discounter dadurch nicht. Aldi, Rewe & Co. verkaufen diese Waren aus knallhartem wirtschaftlichem Kalkül. „Wir haben Produkte aus Fairem Handel im Regal, weil der Kunde sie nachgefragt hat“, sagt etwa Robin Goudsblom, Vorstand Einkauf International von Lidl. „Das war der Hauptgrund.“ Ähnlich argumentieren auch REWE, die Metro-AG oder Kaufland: In ihren Antworten auf Presseanfragen heißt es unisono, man gehe mit Fair und Bio auf die sich ändernden Wünsche der Kunden ein. Eigenverantwortung sieht anders aus.
Dabei könnte es sich für die Handelsunternehmen durchaus lohnen, zumindest bei einzelnen Produkten ganz auf Nachhaltigkeit zu setzen. Etwa bei Bananen: Von einer Umstellung auf 100 Prozent faire Ware könnten alle Beteiligten profitieren: die Bananenbauern, weil sie vom Anbau leben und ihre Böden nicht vergiftet würden. Die Verbraucher, weil sie nicht mehr die Qual der Wahl zwischen billig und ethisch korrekt hätten. Und die Handelsunternehmen, weil sie ihr ramponiertes Image aufbessern könnten.
Dass es funktioniert, zeigen Beispiele in anderen europäischen Ländern: So haben die Supermarktketten Migros in der Schweiz, Sainsbury in Großbritannien oder Plus in den Niederlanden vollständig auf fair gehandelte Bananen umgestellt. Plus hat den Preis für Fairtrade-Bananen von über zwei Euro auf 1,89 Euro gesenkt und somit die eigene Gewinnmarge reduziert, schreibt Sarah Zierul in ihrem Buch „Billig. Billiger. Banane“. Bisher fährt man gut damit. Die Kunden von Plus sind nicht zum Discounter abgewandert. Im Gegenteil. Der Umsatz konnte sogar um zehn Prozent gesteigert werden.
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