: Definitionen von prekärer Freiheit
TAGUNG Am Donnerstag stellte P.E.N. Deutschland in Berlin seine acht Writers-in-Exile-Stipendiaten vor
Die Autoren sitzen in der vierten Etage des Allianz Forums, auf einer Höhe mit den Pferden auf dem Brandenburger Tor. Sie wohnen in Darmstadt, Weimar oder Hamburg, aber am Donnerstagabend stellt der P.E.N. Deutschland seine acht Writers-in-Exile-Stipendiaten in Berlin vor.
P.E.N. steht für „Poets, Essayists, Novelists – als der Verband 1921 gegründet wurde, gab es noch keine Blogger. Doch gerade diese sind es, die oftmals dringend auf ein Exil angewiesen sind. Liu Dejun zum Beispiel: Der Chinese kam mehrmals ins Gefängnis, wurde misshandelt und schließlich in den Bergen bei Peking ausgesetzt – Ai Weiwei verfilmte seine Geschichte. Jetzt wohnt Liu in Nürnberg. Wann er nach China zurückkehren kann, ist unklar.
Das Writers-in-Exile-Programm entstand 1999 in Kooperation mit der Bundesregierung. Deswegen zitiert Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) Schiller: „Die Kunst ist die Tochter der Freiheit.“ So richtig frei ist eigentlich nur der, der leben kann, wo und wie er leben möchte. Aber Liu und sein vietnamesischer Kollege Bui Thanh Hieu zeigen sich zuversichtlich.
Liu glaubt an eine baldige Veränderung in China. Die Wanderarbeiter beginnen sich aufzulehnen, sagt er, sie seien „die kleine Pflanze, die Demokratie bewirken kann“. Hieu vergleicht sich mit einem Vogel, der im Käfig saß. Das meint er weniger metaphorisch, als es klingt: auch Hieu wurde mehrfach verhaftet. Dadurch habe er für ein Buch fünf Jahre gebraucht, dank des Programms schreibe er drei Bücher in zwei Jahren. Drei Jahre lang bekommen die Stipendiaten 1.000 Euro monatlich, dazu Wohnung, Krankenversicherung, Trauma-Therapie und juristische Beratung. Damit die Autoren nicht nur als Opfer wahrgenommen werden, organisiert das P.E.N.-Zentrum Lesungen und publiziert Anthologien. Trotzdem stehen an diesem Abend die Personen und ihre Länder im Vordergrund, nicht ihr Werk. Der Georgier Zaza Burchuladze vergleicht die Repressionen der Kirche mit dem Stalinismus. Er wusste, woran er war. Schon bevor er auf der Straße bewusstlos geschlagen wurde. Erik Arellana Bautista hat Kolumbiens wahres Gesicht kennengelernt, als seine Mutter ermordet wurde. Damals war er etwa 13 Jahre alt.
Spontaner Applaus
Bis heute verschwinden Menschen, die Hälfte der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, es gibt über 9.000 politische Gefangene. Arellana entschied, nicht einfach zuzugucken. Das Publikum applaudiert spontan. Eins steht fest: Helden sind die Stipendiaten alle. Nicht immer können – wie bei Arellana, dessen Tochter durch die Garderobe galoppiert – auch die Familien mit nach Deutschland kommen. Najet Adouani kann die Angst um ihre Kinder nur beim Schreiben vergessen. Bis Tunesien sich ändert, bleibt sie „eine Braut, fürs Reisen bestimmt“, so zitiert Terézia Mora die Dichterin.
Die Aserbaidschanerin Schahla Sultanova sagt, sie fühle sich „nicht völlig wohl“. Als Journalistin müsste sie im Kaukasus sein, um arbeiten zu können. Ihre Gegner haben erreicht, was sie wollten: Sultanova schreibt nicht mehr. Weder über Militärkooperationen noch über Menschenrechte. Zum Schluss treten die syrischen Journalisten Yamen Hussein und Amer Matar auf. Moderator Ingo Schulze merkt an, dass er ihr Vater sein könnte, sich aber angesichts ihrer Erfahrungen mit Verfolgung, Folter und Flucht wie ein Kind fühle. Husseins Familie lebt im Gebiet des Diktators, Matar kommt aus Raqqa, der Hauptstadt des IS, dessen Leute seinen Bruder entführten. Sie selbst seien körperlich in Sicherheit, „aber unsere Seelen sind es nicht“, sagt Hussein. 2006, Jahre vor der Revolution, flog er von der Uni; schon als Kind musste er den kommunistischen Onkel im Gefängnis besuchen.
„Wir sind frei, weil wir aktiv sein können“, sagt Matar. Es klingt wie ein Mantra. Europa solle den Syrern das Recht auf Leben geben, sagt Hussein, entmilitarisierte Zonen schaffen, dann gäbe es auch weniger Flüchtlinge. Da er gerade am Mikro ist, bedankt er sich noch schnell und betont, dass er Deutsch lernen will. Die P.E.N.-Mitglieder freuen sich, dann wird das Buffet eröffnet. Und Liu versucht umständlich, mit einer Serviette und einer Kuchengabel eine deutsche Bratwurst in den Griff zu bekommen. CATARINA VON WEDEMEYER
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