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Überforderte Staatschefs

AUSWÄRTIGES In der EU verlieren die Außenministerien an Bedeutung. Berlin, London und Paris bilden noch die Ausnahme. Das ist zu wenig

Stefan Lehne

■ ist Gastwissenschaftler im Thinktank Carnegie Europa in Brüssel mit dem Schwerpunkt „Europäische Außenpolitik im Zuge der Post-Lissabon-Verträge unter besonderer Berücksichtigung der Beziehungen der EU-Mitglieder untereinander“. Von 2009 bis 2011 war er Generaldirektor für Politische Angelegenheiten im österreichischen Außenministerium.

Die Globalisierung hat die Bedeutung und den Umgang mit Außenpolitik in Europa vollkommen verändert. Außenministerien und traditionelle Entscheider in der Außenpolitik haben an Einfluss verloren, während die Chefs der Exekutive – Premiers oder auch Präsidenten – als die zentralen außenpolitischen Akteure auftreten. Die Trennung zwischen Innen- und Außenpolitik, die zu Gründungszeiten der EU vorherrschte, ist weitgehend aufgehoben.

Staatschefs sind nun meist von der Innenpolitik beeinflusst und haben eine schwere interne Agenda zu bewältigen. In der Folge wird Außenpolitik in Europa zunehmend angetrieben von kurzfristigen Betrachtungen, dem Ringen um mediale Aufmerksamkeit und nationalen Spezialinteressen. Tiefgehende und längerfristige Analysen und Strategien werden darüber tendenziell vernachlässigt.

Falsche Ämterhäufung

Auf EU-Ebene treffen sich Staatschefs und Regierungen im Europäischen Rat, der sich in den letzten zehn Jahren zu einer zentralen EU-Institution auf dem Feld der Außenpolitik entwickelt hat. Er dirigiert eine komplexe außenpolitische Maschinerie und steht seit Ende 2014 unter einer neuen Führung. 28 europäische Außenminister treffen sich monatlich und diskutieren fortlaufende Themen. Die Hohe Außenpolitische Repräsentantin – nun Federica Mogherini – sitzt diesen Treffen vor, aber sie ist auch die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, die so wichtige Bereiche wie Handel und Hilfsmaßnahmen umfasst, zudem leitet sie den European External Action Service (EEAS). Darüber hinaus sind noch Dutzende Komitees involviert.

Stehen aber schwierige Entscheidungen an, wird mehr und mehr der Europäische Rat in die Verantwortung genommen. Derzeit leitet ihn der polnische Präsident Donald Tusk. Doch das Gremium leidet an den gleichen Defiziten wie die Staatskanzleien. Auch der Europäische Rat steht unter starkem Zeitdruck. Eine substanzielle Vorbereitung, die auf soliden strategischen Analysen aufbaut, fehlt daher häufig, und oft ist die Führungsebene nicht ausreichend mit dem außenpolitischen Apparat vernetzt. In einer Zeit nie da gewesener Herausforderungen für die europäische Außenpolitik ist das kein angemessener Ansatz mehr.

Als europäische Außenpolitik noch vor allem eine Frage von Krieg und Frieden war, waren die Außenminister politische Schwergewichte. Sie spielten eine entscheidende Rolle nicht nur bei den Ereignissen, die zu zwei Weltkriegen führten, sondern auch bei den Bemühungen, einen dauerhaften Frieden nach Europa zu bringen. Denken Sie nur an Frankreichs Aristide Briand und Deutschlands Gustav Stresemann. Selbst in den 1950ern und 1960ern, also den frühen Jahren der europäischen Integration, gingen viele Initiativen von Außenministern wie dem Franzosen Robert Schuman aus. Das ist längst vorbei

Überflüssige Diplomaten

Die brennenden Fragen des 21. Jahrhunderts, wie Klimawechsel, Energie, Migration und Terrorismus, haben sowohl eine interne als auch eine externe Dimension. Die Komplexität heutiger internationaler Beziehungen verlangt eine Kompetenz, die gemeinhin nur spezialisierte Ministerien und Agenturen aufbringen können. Auch das schwächt die Position der Außenministerien, denn die arbeiten in der Regel mit Generalisten.

Und auch die Diplomaten haben ihren einstigen Vorsprung verloren, denn heute sind internationale Erfahrung und auch Sprachkenntnisse im europäischen Raum verbreiteter als je zuvor. Dank der digitalen Revolution haben sich zudem die Informationsflüsse grundlegend verändert. Das macht traditionelle diplomatische Reports obsolet und bedeutet ganz andere Herausforderungen an Informationsmanagement und öffentliche Kommunikation.

Außenministerien haben also nicht nur ihre Schlüsselposition verloren, sie müssen sogar darum kämpfen, mit den Entwicklungen auch nur mithalten zu können und überhaupt im Spiel zu bleiben. Die Ausnahme bilden die drei größten EU-Länder, Frankreich, Deutschland und Großbritannien, die weiterhin ihre internationale Verantwortung übernehmen. Doch in den anderen Hauptstädten arbeiten Politiker, die politische Ansätze effektiv koordinieren können, meist in den Bereichen Finanzen und nationale Interessen.

Hinsichtlich der Außen- und Sicherheitspolitik hat der Europäische Rat die Führung bei strukturellen Fragen übernommen. Doch er hat es versäumt, eine breitere strategische Führung hinsichtlich substanzieller Politik anzubieten. Mit nur wenigen Ausnahmen befasst er sich mit außenpolitischen und sicherheitspolitischen Fragen nur in akuten Krisensituationen.

Was ist zu tun?

Die außenpolitischen Aktivitäten des Europäischen Rats müssen auf ein höheres Niveau gebracht und dadurch auch die anderen außenpolitischen Institutionen wiederbelebt werden. Eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen dem Vorsitzenden des Europäischen Rats und dem Hohen Repräsentanten ist die beste Möglichkeit, sicherzustellen, dass Europäischer Rat, Außenpolitischer Rat, Europäische Kommission und EEAS endlich koordiniert zusammenarbeiten.

Der Europäische Rat sollte regelmäßige strategische Debatten über die wichtigsten Beziehungen der EU, die größten regionalen Herausforderungen und auch über Zukunftsfragen organisieren. Bislang formulieren die Mitglieder des Rates ihre Statements vor allem auf Basis nationaler Interessen. Die zukünftigen Diskussionen sollten daher durch Analysen des EEAS in Zusammenarbeit mit der Kommission vorbereitet werden.

Die meisten europäischen Außenministerien kämpfen darum, bei den aktuellen Entwicklungen auch nur mithalten zu können

In den nächsten fünf Jahren muss es für den EEAS zur zentralen Aufgabe werden, kontinuierlich substanzielle Analysen in sämtliche mit EU-Außenpolitik befasste Institutionen und Gremien einfließen zu lassen. Nur so kann man die bei den EU-Mitgliedern vorherrschende fragmentierte und selektive Wahrnehmung von Weltereignissen nach und nach überwinden und die gelähmte EU-Außenpolitik reaktivieren. Ein intensivierter Austausch innerhalb der EU-Länder und -Institutionen würde es anderen Mächten auch erschweren, einzelne EU-Mitglieder gegeneinander auszuspielen.

All diese Maßnahmen erfordern eine starke Führerschaft. Donald Tusk als Präsident des Europäischen Rates und Federica Mogheri als Hohe Repräsentantin sind in einer guten Position, um die EU-Mitglieder in diese Richtung zu bewegen.

Es ist offensichtlich, dass die EU die Probleme im Osten und im Süden nicht mehr wie bisher angehen darf. Gemeinsame strategische Analysen und eine engere Kooperationen zwischen den europäischen Hauptstädten und Brüssel sind unerlässlich, wenn man die EU-Interessen wahren und zur Stabilität in der turbulenten Welt beitragen will. STEFAN LEHNE

Aus dem Englischen von Ines Kappert

Langfassung: http://carnegieeurope.eu

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