: Wie die Geschichte weiterging
LESEN Der Schriftsteller Alain Mabanckou las im Literaturhaus Berlin aus seinem Roman „Morgen werde ich zwanzig“ – und hatte wirklich Geburtstag
Bei Alain Mabanckou mischen sich die Geschichten mit dem Leben. Mit zweitem Namen heißt er Michel, genau wie der zehnjährige Erzähler aus seinem Roman „Morgen werde ich zwanzig“. Als Kind habe er sich für den Namen geschämt, erzählt Mabanckou während der Lesung im Literaturhaus, denn auf einer der vielen kongolesischen Sprachen bedeute Michel „kleine Banane“.
Das Publikum lacht. Und es kichert die ganze Zeit, als Mabanckou vorliest: „In unserem Land muss ein Chef eine Glatze und einen dicken Bauch haben. Da mein Onkel weder eine Glatze noch einen dicken Bauch hat, kannst du nicht auf Anhieb erkennen, dass er ein echter Chef ist.“ Der Onkel Tonton René zitiert ohne Ende Marx, kauft sich aber alle sechs Monate ein neues Auto. Jetzt weiß Michel, dass man Kommunist und zugleich reich sein kann.
Die Moderatorin Marie Luise Knott scheint irritiert, als Mabanckou erklärt, er selbst sei Michel, das Buch sei sein Leben. Tonton René habe, wie alle Figuren, wirklich existiert. Um über ihn zu schreiben, musste sich der Autor nur an seine Kindheit im Kongo der siebziger Jahre erinnern, sagt er. „Ich hatte das Bedürfnis, den Lesern zu erzählen, wo ich herkomme.“ Er schreibe immer ohne Plan, erst später entschlackt und bindet er den Text.
Mit der Stimme von Michel und einer liebevollen, aber tiefen Ironie erzählt das Buch von dem autoritären Regime des Marien Ngouabi, den kommunistischen Ideologien, dem Zweifamilienmodell seines Vaters und davon, wie die Menschen von Pointe-Noire glauben, das Einzelkind habe den Bauch der Mutter verschlossen und den Schlüssel versteckt.
Wenn er groß ist, will Michel unbedingt nach Frankreich. Mabanckou hat in Paris Wirtschaftsrecht studiert, inzwischen arbeitet er als Professor an der University of California, Los Angeles. Wie alle Kongolesen spricht er sieben Sprachen fließend, versteht etwa 20 und schreibt auf Französisch. Aber Rhythmus und Sound seien anders, „meine Kommata sind kongolesisch“, sagt Mabanckou. Bei allem, was er sagt, macht er viele Gesten, wirkt aber immer ganz entspannt.
In seinen Büchern, die der Liebeskind Verlag jetzt alle ins Deutsche übersetzen lässt, kommen viele französische Autoren vor. Michels Konkurrent Mabelé versucht, die gemeinsame Angebetete Caroline mit Zitaten von Marcel Pagnol zu betören. So beginnt Michel, Arthur Rimbaud zu lesen, und schreibt sein erstes Liebesgedicht: „Ich werde Dir ein hübsches Haus aus Brettern bauen/ Ein Schloss ist zu groß/ Ich habe Angst, dass meine Träume sich darin verlaufen/ Und dass man sagt, ich sei nur ein Kapitalist.“
Kongolesische Kommata
Während Michel in der Schule die Reden des Präsidenten auswendig lernen soll, bietet das Radio echten Geschichtsunterricht. Roger Guy Folly, „die Stimme Amerikas“, berichtet im Buch von Kambodscha und vom Iran, davon, wie der Schah überall Asyl sucht, und vom Israel-Palästina-Konflikt. In der Lesung erzählt Mabanckou, wie diese Geschichte weiterging. Kaum hat er das Buch veröffentlicht, klingelt sein Telefon: „Ja?“ – „Guten Tag, mein Name ist Roger Guy Folly, alle sagen, ich käme in Ihrem Buch vor.“ – „Und ich dachte, Sie seien tot!“ Sie verabreden sich in einem Tex Mex, Mabanckou hat keine Ahnung, wie der Journalist aussieht. Also geht er auf einen alten weißen Mann mit einer Zeitung zu. Er liegt falsch: Die Stimme Amerikas ist der alte schwarze Mann, der direkt daneben sitzt.
Die Moderatorin wirkt leicht konsterniert, die Antworten von Mabanckou sind unvorhersehbar. Zum Schluss gratuliert sie ihm trotzdem, er hat am Tag der Lesung Geburtstag. Der Autor bedankt sich und legt die Hände auf die Brust. Er sei jetzt zwar 49, aber er fühle sich gut. Er ist nicht der Einzige, seine Texte machen glücklich. CATARINA VON WEDEMEYER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen