: Reinemachen in Favelas
BRASILIEN Mit einer konzertierten Aktion gehen Polizei und Armee in drei Armenvierteln im Großraum Rio gegen Drogenbanden vor
POLIZEISPRECHER
VON JÜRGEN VOGT
BUENOS AIRES taz | Der Einmarsch war angekündigt, nur der genaue Zeitpunkt noch offen: Am frühen Sonntagmorgen um 4.10 Uhr Ortszeit begannen Einheiten der brasilianischen Polizei und Armee schließlich mit dem Einmarsch in die Favela Rocinha und zwei kleinere Favelas in Rio de Janeiro. „Wenn wir vorher Bescheid sagen, gibt es weniger Gewalt“, so ein Polizeisprecher. Ziel der Aktion war es, die Macht der Drogenbanden zu brechen und feste Polizeiwachen in der Favela zu installieren.
„Um 6 Uhr war die Mission der Rückeroberung von Rocinha, Vidigal und Chácara do Céu erfüllt, ohne dass ein einziger Schuss abgefeuert wurde“, verkündete Einsatzleiter Pinheiro Neto vor der Presse. Tatsächlich waren die rund 3.000 vordringenden Polizisten und Marinesoldaten, unterstützt von gepanzerten Fahrzeugen und Hubschraubern, auf fast keine Gegenwehr gestoßen. Fernsehbilder von der Aktion zeigten weiße Fahnen an Häusern und Hütten. Die Zugänge zu den Siedlungen waren schon Tage zuvor kontrolliert und zeitweise ganz abgeriegelt worden.
2014 findet in Brasilien die Fußballweltmeisterschaft statt, zwei Jahre später werden in Rio de Janeiro die Olympischen Spiele ausgetragen. Als Nagelprobe gelten jedoch schon 2013 die Fußballspiele um den Confederations Cup. Bis dahin wollen sich Brasilien und vor allem Rio herausputzen. Im Mittelpunkt der „Reinigungsaktionen“ steht die Sicherheitsfrage. Nach Auffassung der Regierung des Bundesstaats Rio de Janeiro geht die Unsicherheit in erster Linie von der Macht der Drogenbanden in den Armenvierteln aus. Zentrale Aufgabe ist es diese Macht zu brechen.
Die Strategie der Regierung ist, durch neue Polizeiposten in den Favelas die Drogenbanden aus den Siedlungen zu drängen. Kein leichtes Unterfangen angesichts der je nach Schätzung zwischen 700 und 900 existierenden Favelas im Großraum von Rio. Seit drei Jahren läuft der Aufbau der sogenannten Unidades de Polícia Pacificadoras, die die Armenviertel befrieden sollen.
Im November 2010 waren Polizei- und Militäreinheiten in die Favela Complexo do Alemão im Norden Rios einmarschiert. Damals wurden dutzende Menschen bei Schießereien getötet.
In der vergangenen Woche hatte die Polizei den vermeintlichen Boss der Bosse in Rocinha geschnappt. Der 35-jährige Antonio Bonfim Lopes alias „Nem“ hatte sich im Kofferraum eines Autos versteckt und war bei einer Kontrolle gefunden worden.
Rocinha liegt im Süden Rios, eingebettet zwischen den Nobelvierteln Leblon und Ipanema, die zu den reichsten Gegenden der Metropole gehören. Entlang ihrer Grenzlinien verläuft die Kluft zwischen Arm und Reich, die nicht nur hier, sondern in ganz Brasilien noch immer die tiefste in Südamerika ist. Trotz erheblicher Erfolge bei der Armutsbekämpfung ist Brasilien nach wie vor das Land mit der größten sozialen Ungleichheit auf den Kontinent.
Rocinha ist mit rund 120.000 Bewohnern eine der größten Armensiedlungen in Rio. Auch wenn Rocinha nicht als die ärmste von Rios Armensiedlungen gilt, liegt sie beim Fehlen von Versorgungsleistungen wie einer Kanalisation ganz vorn. Die Bewohner hoffen deshalb neben mehr Sicherheit vor allem auf eine Verbesserung ihrer absolut desolaten Infrastruktur. „Ich hoffe, dass sich nach der Besetzung die sanitäre Grundversorgung und die Lebensqualität der Menschen verbessern“, sagte William de Oliveira, Chef einer Basisorganisation der Armensiedlung.
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