piwik no script img

Gegen das Vergessen

Antifaschistische Perspektiven und „Lider fars Lebn“. Mit zwei Veranstaltungen wird in Hamburg heute der Opfer der Novemberpogrome von 1938 gedacht. Im hamburgmuseum gibt es eine Sonderführung

In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 kam es in ganz Deutschland und Österreich, organisiert und gelenkt vom nationalsozialistischen Regime, zu häufig mit regelrechten Gewaltorgien verbundenen Überfällen auf deutsche Jüdinnen und Juden. Der Großteil der sozialen Infrastruktur jüdischen Lebens wurde während der antisemitischen Novemberprogrome zerstört. Synagogen, Geschäfte, Friedhöfe, Wohnungen, Schulen und soziale Einrichtungen wie Waisen- und Altersheime wurden geplündert und geschändet. Etwa 400 Menschen wurden in der Woche vom 7. bis zum 13. November ermordet oder in den Tod getrieben, knapp 30.000 verhaftet und in Konzentrationslager deportiert. Über tausend von ihnen überlebten die Monate in der barbarischen Lagerwelt nicht.

Die Öffentlichkeit und das Brachiale der ausgeübten Gewalt machte die Novemberpogrome schon bald zum Schlüsseldatum der Interpretation der gesamten Verfolgung und Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden und des Verhaltens der deutschen Bevölkerung: Die Pogrome von 1938 markieren den Übergang von der Diskriminierung und Ausgrenzung der deutschen Jüdinnen und Juden seit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft zu einer systematischen Verfolgung, die später in den massenhaften Mord an den europäischen Judinnen und Juden im Machtbereich des nationalsozialistischen Deutschlands mündete.

Zwei Veranstaltungen gedenken heute in Hamburg anlässlich des 69. Jahrestages der Novemberpogrome der Opfer des Terrors. Um 15.30 Uhr gibt es eine einstündige Mahnwache auf dem Joseph-Carlebach-Platz, dem Ort, an dem 1938 die Bornplatz-Synagoge angezündet wurde.

Unter dem Titel „Antifaschistische Perspektiven“ spricht die Auschwitz-Überlebende Jutta Pelz-Bergt ab 19.30 Uhr im Hörsaal 1 des Departments für Wirtschaft und Politik der Uni mit der Rechtsanwältin Gabriele Heinecke. Pelz-Bergt wird vor allem von der Zeit im Anschluss an ihre Befreiung aus dem KZ-Nebenlager Neustadt / Glewe erzählen: von der „Odyssee einer Gezeichneten“ – so der Untertitel ihrer Autobiographie „Die ersten Jahre nach dem Holocaust“ –, den Etappen ihres Versuchs, irgendwo Fuß zu fassen und dem Traum, Deutschland zu verlassen und in die USA zu gehen. Ein Traum, den schließlich eine aus der Lagerzeit herrührende, verschleppte TBC zunichte macht.

„Lider fars Leben“ gibt es im Anschluss von Ester und Edna Bejarano und ihrer Gruppe „Coincidence“. Ester Bejarano wurde im Alter von 18 Jahren ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert und verdankt ihr Überleben der Berufung ins Mädchenorchester; ihre Schwester konnte dieselbe Zeit unter glücklicheren Umständen leben. Die beiden Sängerinnen – die eine klassisch ausgebildet, während die andere vor allem Jazz und Folklore interpretiert – verbindet ihr antifaschistisches Engagement. Gemeinsam mit der Gruppe „Coincidence“ singen sie in neun Sprachen Lieder von Freude und Leid, von Ghetto, Unterdrückung und Widerstand, von der Wut und dem Willen zum Überleben.

Aus Anlass des 69. Jahrestages der November-Pogrome gibt es zudem eine Sonderführung im hamburgmuseum. Die Führung durch die Ausstellungen „Hamburg im 20. Jahrhundert“ und „Hamburger Künstler im Exil 1933-1945“ beginnt am 9. November um 14 Uhr. ROBERT MATTHIES

Mahnwache „Erinnerung an die Reichspogromnacht 1938“: Do, 8. 11., 15.30–16.30 Uhr, Joseph-Carlebach-Platz „Gegen das Vergessen“. Veranstaltung des Auschwitz-Komitees zum Gedenken an den 69. Jahrestag der Pogromnacht: Do, 8. 11., 19.30 Uhr, Uni Hamburg / DWP (Hörsaal 1), Von-Melle-Park 9 Sonderführung durch die Ausstellungen „Hamburg im 20. Jahrhundert und „Hamburger Künstler im Exil 1933 – 1945“: Fr, 9. 11., 14 – 15.30 Uhr, hamburgmuseum, Holstenwall 24

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen