: „Ich mag es, Leute zu verteidigen. Das kann ich gut“
DIE SCHÜLERINNENSPRECHERIN Eigentlich steht Cindy Boateng nicht gern im Vordergrund. Trotzdem ist sie oberste Vertreterin der Berliner SchülerInnen. Die 17-Jährige sagt, es gebe zwei Cindys: eine, die sich engagiert; und eine, die nur Musik und ihre Ruhe braucht. Die zweite fühle sich gar nicht als Berlinerin, weil sie als Schwarze öfters rassistisch beleidigt werde. Ein Gespräch über Heimat, Bildung als Privileg und die leidigen Hausaufgaben
■ ist 1997 in Berlin geboren und besucht die 11. Klasse der Friedensburg-Sekundarschule in Charlottenburg. Sie will dort Abitur machen und dann Biologie studieren. Ihre Eltern stammen aus Ghana.
■ Die 17-Jährige ist seit Jahresbeginn Landesschülersprecherin, also Vorsitzende des Landesschülerausschusses, der von allen bezirklichen Schülervertretungen des Landes gewählt wird. Der Ausschuss vertritt die Interessen und die Rechte der SchülerInnen gegenüber dem Senat und pflegt auch Kontakte zu den bildungspolitischen SprecherInnen der Fraktionen im Abgeordneten-haus. Der Vorstand wird zu Beginn des Kalenderjahrs für ein Jahr gewählt.
■ Zudem ist Boateng Mitglied im Kinder- und Jugendparlament von Charlottenburg-Wilmersdorf sowie im Migrationsbeirat des Bezirks.
INTERVIEW SUSANNE MEMARNIA UND ALKE WIERTH FOTOS KARSTEN THIELKER
taz: Frau Boateng, Sie haben viele Ehrenämter, nun auch noch das der Landesschülersprecherin: Wollen Sie Politikerin werden?
Cindy Boateng: Nein. Ich mag es eigentlich gar nicht, in der Öffentlichkeit zu stehen und Fragen beantworten zu müssen. Aber ich mag es, Leute zu verteidigen. Das kann ich gut.
Kostet Sie das Überwindung, jetzt doch ab und an in der Öffentlichkeit zu stehen?
Ja. Es ist komisch. Aber es geht dabei ja nicht um mich persönlich, es geht um die Berliner Schülerinnen und Schüler.
Wie kamen Sie zu dem neuen Amt?
Angefangen hat das in der 7. Klasse, da bin ich zur Klassensprecherin gewählt worden. Dann bin ich immer weiter gewählt worden. Und ich bin ja jetzt schon drei Jahre im Vorstand des Landesschülerausschusses gewesen.
Welche Qualifikation braucht man für solche Aufgaben?
Man muss für seine Rechte einstehen können. Ich habe ein ziemlich ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden.
Das ist ja schon etwas Persönliches. Woher kommt das?
Teilweise daher, dass ich drei Geschwister habe, und da gibt es schon öfter mal Streit. Man muss sich einigen. Und dann sicher auch daher, dass ich schwarz bin und öfter rassistische Bemerkungen zu hören bekomme, gegen die ich mich verteidigen muss.
Sind Sie eine gute Schülerin?
Das war ich. Dann habe ich die Schule gewechselt, und jetzt bin ich Mittelmaß.
Ist das ein Problem für Sie, Mittelmaß zu sein?
Nein, nicht für mich. Aber für meinen Vater. Er hat Lehramt in unserem Heimatland Ghana studiert. Für ihn ist Schule das Wichtigste.
Ist er denn mit Ihren vielen Ämtern einverstanden? Dadurch haben Sie ja weniger Zeit zum Lernen.
Ja, schon. Er unterstützt mich, aber er ist schon etwas genervt. Seine ersten Fragen sind immer: Hast du deine Hausaufgaben gemacht? Hast du gelernt? Aber er hat sich gefreut, als ich zur Landesschülersprecherin gewählt wurde.
Wie schaffen Sie es denn noch zu lernen und Hausaufgaben zu machen bei den vielen Verpflichtungen?
Ich bin ganz gut organisiert, glaube ich. Ich mache mir vorher Gedanken, was ich morgen machen müsste, was zu lernen ist; ich habe so einen coolen Schulplaner, wo ich alles reinschreibe, was ich noch machen muss und wie viel Zeit ich dafür benötige.
Und dann halten Sie sich auch daran?
Ich muss mich dran halten, ich hab ja keine andere Möglichkeit.
Haben Sie noch Freizeit?
Also mein Hobby ist Musik hören, und das kann ich auch während der Hausaufgaben. Deshalb ist das meine Freizeit. Sonntags habe ich frei. Aber da gehe ich in die Kirche, zum Gottesdienst und in den Jugendunterricht.
Was ist das?
Da werden wir über die Bibel unterrichtet, und was wir machen sollen und was nicht. Das geht so bis 17 Uhr. Dann habe ich noch drei Stunden Freizeit und dann Hausaufgaben.
Ihr Glaube ist Ihnen wichtig?
Sehr. In der modernen Welt ist es ein bisschen schwierig, mit der Bibel klarzukommen, sag ich mal. Aber ich versuche es, so gut es geht.
Was heißt das für Sie?
Ich versuche vor dem Essen, vor dem Schlafengehen und nach dem Aufstehen zu beten. Aber manchmal vergesse ich das und schlafe vorher ein oder fange doch vorher zu essen an.
Religiös zu sein ist ziemlich ungewöhnlich für eine junge Frau in Ihrem Alter. Ist das ein Thema zwischen Ihnen und Ihren Freunden?
Höchstens im Ethikunterricht, sonst nicht. Im Alltag spielt das kaum eine Rolle. Meine Eltern sind sehr gläubige Menschen und meine Großeltern auch. Außer den Menschen aus meiner Gemeinde habe ich aber sonst kaum Freunde, die sehr religiös sind.
Welcher Religionsgemeinschaft gehören Sie an?
Wir sind Presbyterianer.
Sie sagten vorhin: in unserer Heimat Ghana. Sind Sie in Ghana geboren?
Nein. Aber ich fühle mich nicht als Berlinerin.
Als Ghanaerin?
Nein, auch nicht. Ich kann die Sprache nicht so gut. Die Hauptsprache in Ghana ist Englisch, das geht schon, aber es gibt noch meine Muttersprache Twi, und das kann ich nicht so wirklich. Ich kann es verstehen, aber nicht sprechen. Also switche ich zwischen beiden Welten. Für meine Gemeinde bin ich sehr deutsch, und für meine deutschen Freunde bin ich die Ghanaerin wegen meines Aussehens. Wegen meiner Hautfarbe.
Aber Sie sind deutsche Staatsbürgerin?
Ja, und meine Eltern auch.
Trotzdem Sie sich nicht als Berlinerin fühlen, engagieren Sie sich so sehr hier?
Also, ich trenne meine Persönlichkeiten. Es gibt eine Cindy, die nicht gern in der Öffentlichkeit spricht, die meist nur ein Buch und Musik braucht. Und dann gibt es die Cindy, die Rechte für die Berliner Schülerschaft einfordert. Das sind zwei Ichs. Und die Cindy, die ich jetzt als Erste genannt habe, die fühlt sich nicht als Deutsche.
Warum denn nicht?
Weil es hier immer Unterscheidungen gibt. Selbst wenn du jetzt sagst, du seist integriert, heißt es immer, du bist nicht deutscher Herkunft und die anderen schon. Deshalb habe ich – glaube ich – diese Trennung für mich vollzogen.
Sie fühlen sich nicht als Berlinerin, weil andere Sie nicht als Berlinerin akzeptieren?
Genau. Aber auch, weil es nicht meine Kultur ist. Ich bin eher mit den ghanaischen Bräuchen aufgewachsen. Deshalb ist Berlin nicht meine Heimat.
Ist das ein Thema für Sie: Heimat? Etwas, was Sie vermissen?
Ja, ich glaube schon. Klar, Ghana ist meine Heimat. Aber wenn ich dort bin, heißt es auch, die kommt aus Berlin, aus Deutschland, aus einem reichen Land. Die gehört nicht zu uns.
Sind Sie oft in Ghana?
Etwa alle vier Jahre. Das letzte Mal war ich mit zwölf Jahren dort.
Sie haben erzählt, dass Sie hier wegen Ihrer Hautfarbe rassistische Sprüche hören. Passiert das oft?
Das letzte Mal vor zwei Wochen: Da war ich einkaufen und habe ein Brötchen gegessen, als ich aus dem Laden kam. Da hat eine ältere Dame mich gefragt, ob ich mich denn nicht schämen würde, es gebe ja Menschen meiner Hautfarbe auf meinem Kontinent, die hungerten: „Und du bist hier und frisst dich voll.“ Ich habe ihr gesagt, dass ich hier geboren bin, aber sie meinte, darauf käme es nicht an, denn ich sei schwarz. Also eigentlich hat sie Nigger gesagt. Und dass ich hier nicht hergehöre.
Wie haben reagieren Sie in solchen Situationen?
Ich bin dann weggegangen. So etwas höre ich mir nicht an. Ich erzähle es dann zu Hause meinen Geschwistern und meinem Vater und versuche es zu vergessen, indem ich darüber rede, wie ich mich dabei gefühlt habe.
Sind Rassismus und Diskriminierung auch Themen für Sie als Landesschülersprecherin?
Bis jetzt ist das bildungspolitisch kein großes Thema gewesen, aber ich würde sagen, es ist im Kommen. Auch im Abgeordnetenhaus wird darüber jetzt gesprochen.
Aber Sie haben in der Schule keine persönlichen Diskriminierungserfahrungen gemacht?
Ja, doch, in der 6. oder 7. Klasse, so ein paar Bemerkungen von MitschülerInnen. Aber nicht von Lehrkräften.
Studien zufolge ist es für Kinder von Einwanderern immer noch schwieriger, gute Bildungsabschlüsse zu haben.
In Berlin hat man glücklicherweise viele Möglichkeiten, sein Abitur zu machen. Aber ich würde auch sagen, dass man als Mensch mit anderer Herkunft unter Vorurteilen leidet, was Bildung angeht. Viele denken: „Die können doch sowieso nichts.“ Im Landesschülerausschuss haben wir mittlerweile Menschen mit Herkünften aus der ganzen Welt vertreten. Das freut mich sehr. Und auch an meiner Schule geht es sehr multikulturell zu. Wir sind ja spanische Europaschule: Da sind sehr viele Spanischstämmige, auch SüdamerikanerInnen, von denen auch viele schwarz sind.
Ist das etwas, was Heimat sein könnte, so eine Mischung?
Auf jeden Fall. Eine Gemeinschaft entsteht durch eine gemeinsame Sache. Und unsere gemeinsame Sache ist, dass unsere Vorfahren alle irgendwann mal nach Deutschland gekommen sind.
Sie möchten als Landesschülersprecherin das Thema Flüchtlingskinder und Schule angehen. Was liegt da Ihrer Meinung nach im Argen?
Ich war selbst an einer Schule, an der es Willkommensklassen für Flüchtlingskinder gab. Aber die waren ganz separiert eingerichtet, hatten zum Beispiel andere Pausenzeiten als wir, so dass gar kein Kontakt zwischen den regulären SchülerInnen und denen in den Willkommensklassen entstehen konnte. Das fand ich sehr schade und auch falsch. Ich würde mir wünschen, dass man auch mal Unterricht zusammen hat, dass man ins Gespräch kommen kann. Viele Flüchtlinge sprechen ja Englisch oder Französisch. Man könnte auch Willkommensfeiern für sie machen – ihnen das Gefühl vermitteln, dass sie wissen, dass sie gewollt sind.
Was kann der Landesschülerausschuss da konkret machen?
Wir können an die Schülervertretungen der Schulen appellieren und mit den SchülersprecherInnen reden, dass sie das in Schulkonferenzen thematisieren.
Sind Ihre Eltern auch als Flüchtlinge nach Berlin gekommen?
Nein, aus beruflichen Gründen. Mein Vater arbeitet als Pastor hier.
Haben Sie Ihren Eltern das eigentlich mal übel genommen, dass sie Ghana mit ihren Kindern verlassen haben – wenn Sie sich jetzt als heimatlos empfinden?
Nein. Aber ich hätte es besser gefunden, wenn sie in ein englischsprachiges Land gegangen wären. Dort hat man mehr Möglichkeiten als hier. Klar, jetzt kann ich Deutsch und Englisch sprechen – aber wer spricht schon Deutsch außerhalb von Deutschland, Österreich und der Schweiz?
Haben Sie Pläne, irgendwann auszuwandern?
Auf jeden Fall. Aber ich weiß noch nicht, wohin. Nach dem Abitur will ich auf jeden Fall ein Auslandsjahr machen. Und ich würde auch gerne im Ausland studieren – aber dazu muss mein Abischnitt natürlich stimmen …
Jetzt sind Sie in der 11. Klasse einer Sekundarschule. Wollen Sie die Arbeit im Landesschülerausschuss in der Oberstufe dem Lernen zuliebe aufgeben?
Nein, in der 12. Klasse will ich auf jeden Fall noch weitermachen. Danach werde ich das an jemand Jüngeres weitergeben.
Hat der Landesschülerausschuss eigentlich genügend Mittel und Möglichkeiten?
Auf gar keinen Fall! Wir bekommen vom Land einen jährlichen Etat von 1.200 Euro – der Landesschulausschuss in Hamburg bekommt 20.000 Euro. Und ich sehe auch nicht, dass die Anträge und Vorschläge, die wir an die Senatsverwaltung für Bildung richten, besonders viel Resonanz haben. Klar, wir bekommen Antworten, aber das ist es dann auch. Weiter passiert nichts. Wir müssen uns aber auch an die eigene Nase fassen: Wir sind nicht bekannt genug in der Berliner Schülerschaft; ich schätze, dass nur etwa zehn Prozent der Berliner SchülerInnen überhaupt wissen, dass es uns gibt und was wir sind. Wir müssen zurück an die Basis, an die Schulen, in die Klassen, uns da bekannter machen. Dann können wir auch mehr Druck aufbauen.
Ist es nicht frustrierend, unter diesen Bedingungen ein solches Ehrenamt zu machen?
Einer muss ja was tun! Man kann ja nicht immer nur auf seinem Stuhl sitzen bleiben und sagen, ihr seid alle blöd. Sondern du musst was daran ändern. Wir müssen uns Anerkennung verdienen, zeigen, dass wir was tun, wenn wir mehr Geld vom Senat haben wollen.
Wo finden Sie sonst Gehör?
Es gibt monatliche Gesprächsrunden mit den bildungspolitischen SprecherInnen der Abgeordnetenhausfraktionen. Da kommen aber eigentlich immer nur die von der Opposition …
Welches sind für Sie die größten Baustellen im schulpolitischen Bereich?
Unbedingt das Thema Inklusion: Da sehe ich noch gar keine Entwicklung oder Ideen an den meisten Schulen, wie das umgesetzt werden soll. Der Sanierungsstau ist ein Thema für uns – es gibt Schulen, da fällt den SchülerInnen der Putz auf den Kopf. Dann bringen wir uns natürlich auch bei der Neufassung der Berliner Rahmenlehrpläne ein, die gerade läuft. Die sollen etwas entschlackt werden – das sehen wir momentan aber noch nicht. Es hat sich bis jetzt gegenüber der alten Version wenig geändert. Auch zu wenig erneuert.
Ein Beispiel?
Es gibt Probleme mit Homophobie an vielen Schulen – wie ja auch insgesamt in der Gesellschaft. Wir fänden es deshalb wichtig, dass gleichgeschlechtliche Liebe als Thema im Rahmenlehrplan des Ethikunterrichts verankert wird. Da steht es nach wie vor nur als Möglichkeit, nicht als verbindliches Thema drin.
Ist Schule nicht generell etwas lebensfern? Eine Schülerin hat kürzlich mit großer Resonanz getwittert, dass sie in der Schule vieles lernt, was im Alltag nichts nützt – und vieles nicht, was sie bräuchte.
Ja, das stimmt schon. Aber man kann von der Schule eben auch nicht alles erwarten. Vieles, was den Alltag betrifft, lernt man eben anderswo, von den Eltern, von Freunden. Das ist doch normal.
Sie mögen Schule?
Ja. Es ist ein Privileg, zur Schule zu gehen. Viele Kinder und Jugendliche anderswo auf der Welt haben das nicht. Es gibt Länder, in denen nur die Jungen zur Schule gehen. Eigentlich sollten wir uns alle freuen, dass wir in den Genuss von Bildung kommen.
Eine Frage, die wir zum Schluss nicht vergessen dürfen, Frau Boateng: Sind Sie mit Fußballspielern verwandt?
Nein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen