: Verschwommene Identitäten
KUNST Mit seinen raffinierten Filmmontagen ist Ho Tzu Nyen rätselhaften historischen Subjekten auf der Spur: „The Name“ in der daadgalerie als Auseinandersetzung mit Autorenschaft und der Geschichte Südostasiens
VON JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER
Wie lässt sich das Bild eines mysteriösen Autors inszenieren, der womöglich eine ganze Forschungsorganisation vertritt? Für seine Filminstallation „The Name“ hat sich Ho Tzu Nyen dazu frei in der westlichen Filmgeschichte bedient. Aus 31 Spielfilmen bezieht er das Material für ein konzeptuell verdichtetes Sechzehnminutenkino, das derzeit in seiner Premiere in der daadgalerie läuft.
In der Montage ist zu sehen, wie William S. Burroughs vor seiner insektenartig transformierten Schreibmaschine ins Schwitzen gerät, wie Jack Nicholson in „The Shining“ manisch am Tippen ist, und dass ein Ernest Hemingway am liebsten stehend schreibt. Dabei führt der durchdachte Schnitt von Ho Tzu Nyen dazu, dass die Autorensubjekte vor den Schreibmaschinen zwar ständig wechseln, ihre Handlungen aber meist analog sind: Sie zünden sich Zigaretten an, greifen zum Alkoholglas, hämmern in die Tasten, zerknüllen Papier und starren vor sich hin.
Multipler Autor
In seiner Collage dekonstruiert Ho Tzu Nyen die Überhöhung des romantischen Schriftstellergenies durch ewig gleiche Gesten. Das Kaleidoskop der Schreiber untermauert er auf der Kommentarebene von „The Name“ mit dem Bild eines multiplen Autors, dessen Facetten einzig der Name Gene Z. Hanrahan zusammenhält.
Auf diesen Namen stieß der 1976 in Singapur geborene Film- und Videokünstler und Theatermacher bei Recherchen über die verdrängte Geschichte des Kommunismus in seiner Heimatregion. Von Hanrahan stammt die bisher aufschlussreichste Abhandlung über den kommunistischen Kampf auf der Malaiischen Halbinsel zurzeit des britischen Kolonialismus. 1954 in den USA publiziert, scheint seine Geschichtsschreibung durch den Kalten Krieg motiviert gewesen zu sein, das Buch bezieht gegen den kommunistischen Aufstand im damaligen Malaya eine pro-britische Position. Andererseits stand das Institute of Pacific Relations in New York, wo Hanrahans Buch ursprünglich veröffentlicht wurde, während der Hochphase der antikommunistischen Paranoia in den USA unter Kommunismusverdacht.
Ohnehin folgt das unter dem Autorennamen Hanrahan vorgelegte vielschichtige Werk nicht einer festen Weltanschauung oder Thematik. Frühere Publikationen über chinesische Guerilla-Taktiken sollten der US-Armee als strategisches Werkzeug dienen. Aber warum klingt seine Einschätzung des brasilianischen Revolutionärs und Theoretikers der Stadtguerilla Carlos Marighella, als wenn er ihn verehren würde? Und was hat Hanrahan bewogen, Texte von Hemingway oder die Anthologie „50 Great Oriental Stories“ herauszugeben?
Den Verdacht, es bei Gene Z. Hanrahan mit einer doch recht zweifelhaften Identität zu tun zu haben, fand Ho Tzu Nyen indes nur durch den malaiischen Historiker Cheah Boon Kheng bestätigt. Mit dessen Hinweisen und Zitaten aus Hanrahans Werk hat der Künstler den kompletten Off-Text für „The Name“ gebildet. Faszinierend ist, dass diese heterogene Textmontage zumindest dem Klang nach – immer mit amerikanischem Akzent gesprochen – wie aus einem Hollywoodfilm erscheint. Dass dem nicht so ist, machen die offengelegten Quellen deutlich: Die verwendeten Bücher sowie das Filmskript sind in der Ausstellung in der daadgalerie einsehbar.
Ho Tzu Nyen, dessen Arbeiten oft durch das Aufbrechen des Erzählflusses und die Enthüllung der filmischen Mittel gekennzeichnet sind, erzeugt in „The Name“ eine verblüffend narrative Konstruktion. Das gilt auch für seinen Film „The Nameless“, der unlängst beim „Forum Expanded“ der Berlinale zu sehen war und wie „The Name“ komplett aus Found-Footage-Material besteht. Wobei narrativ keinesfalls eine geradlinige Erzählung bedeutet. Vielmehr drückt sich in beiden Werken Ho Tzu Nyens Faszination für multiperspektivisches Denken aus, das sich auch in der Wahl der Sujets zeigt.
In beiden Filmen geht es dabei um fragwürdige Identitäten. Während Ho Tzu Nyen in „The Name“ aber der Frage nachgeht, ob hinter einem Namen verschiedene Personen stecken, beschäftigt er sich „In „The Nameless“ mit der multiplen Undercover-Persönlichkeit von Lai Teck. Von 1939 bis 1947 war der in Vietnam Geborene der Generalsekretär der malaiischen Kommunisten – und als Spion parallel für die Briten und zur japanischen Besatzungszeit auch für Japan tätig. Mehr als 50 Decknamen soll er gehabt haben, bevor er als Dreifachagent entlarvt wurde.
Den unsteten Charakter des zwischen den Fronten hin und her springenden Agenten kompilierte Ho Tzu Nyen in seinem Film aus über 20 Jahren Hongkong-Kino, immer mit dem Star Tony Leung in der Hauptrolle.
In Anspielung auf Lai Tecks transkulturelle Herkunft lief der Film beim „Forum Expanded“ in zwei Räumen: einmal auf Chinesisch, das andere Mal auf Vietnamesisch – die Identitätsfrage buchstäblich in der Schwebe zwischen den Projektionen haltend.
Lai Teck mag ein Verräter gewesen sein, für Ho Tzu Nyen bietet die Figur aber das perfekte Bild für die komplexe kolonialgeschichtliche Gemengelage und jenen historischen Moment, in dem auch der Begriff Südostasien einer überaus heterogenen Region von außen zugeschrieben wurde. Ein Begriff, mit dem sich der Künstler auseinandersetzt. Geprägt wurde er während des Zweiten Weltkrieges, als große Teile der Region von japanischen Truppen besetzt waren und die westlichen Alliierten diese Bezeichnung bei der Planung der Rückeroberung benutzten.
■ Ho Tzu Nyen „The Name“: daadgalerie, Zimmerstraße 90, bis 4. April, Mo.–Sa. 11–18 Uhr
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