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Schöner Mist

GARTEN Der Weg zum Glück im Grünen war kürzer als befürchtet. Neben botanischen warten dort auch andere Überraschungen. Eine Bilanz nach der ersten Saison

Erst lesen, dann pflanzen

■ Bernhard Michels: „Gärtnern nach den 10 Jahreszeiten der Natur“. BLV Buchverlag 2010, zurzeit nur antiquarisch: Schärft den Blick für Wachstumsindikatoren wie Blüte, Reife oder Blattverfärbung, auch für Umwelteinflüsse durch den Klimawandel. Damit lassen sich die besten (regional unterschiedlichen) Saat-, Pflanz- und Erntetermine bestimmen.

■ Matt James: „Mein City-Garten. Planen, Pflanzen, Gestalten“. Dorling Kindersley Verlag 2014, 19,95 Euro. Es wird gepflanzt, wo immer es geht: im Vorgarten oder Innenhof, auf Balkon oder Treppenstufen oder an der Hauswand. Ein praxisnaher Ratgeber für Stadtbewohner, die auf noch so kleinen Plätzen Pflanzen, Obst und Gemüse anbauen wollen.

■ Simon Akeroyd: „Selbstversorger für Einsteiger. Große Ernte im kleinen Garten“. Dorling Kindersley Verlag 2013, 16,95 Euro. In zehn (gut illustrierten) Schritten zum eigenen pestizidfreien Nutzgarten, vom Planen und Vorbereiten bis zur wohlverdienten Ernte. Gerade für Garten-Greenhorns.

■ Am 11. und 12. April treffen sich Sammler von Pflanzenraritäten und Gartenfreunde auf dem Berliner Staudenmarkt. Fachleute beantworten Fragen rund um Kräuter, Blühzwiebeln und Gehölze: www.berliner-staudenmarkt.de

VON KRISTINA SIMONS

Der Freund kommt zum Kuchenessen und Biertrinken. Oder nur zum Biertrinken. „Ist schön, dein Garten. Vor allem der große Kühlschrank“, sagt er. Mit Natur hat er’s nicht so, zumindest soll sie ihm nicht so nah kommen. Ich dagegen will in der Erde wühlen, die zuvor im eigenen Komposthaufen aus faulem Obst und Grasschnitt entstanden ist. Tomaten, Zucchini und Bohnen beim Wachsen, Pflaumen und Äpfeln beim Reifen zusehen. Einen Apfelkuchen backen mit der kleinen Patentochter, natürlich mit frisch geerntetem Obst aus dem eigenen Garten. Sich dann ein Stück nach dem anderen einverleiben und dabei auf der Hollywoodschaukel fläzen. Das ist meine Vorstellung vom guten Leben jenseits von Arbeit und Wohnen mit zu wenig Grün und zu wenig Ruhe. Der Weg dorthin war kürzer als befürchtet.

In Berlin gibt es 925 Kleingartenkolonien mit knapp 73.500 Parzellen. Sie nehmen mit gut 3.000 Hektar rund 3 Prozent der gesamten Stadtfläche ein. Auch wenn bereits mehrere Hundert Kleingärten dem Erweiterungsbau der A 100 zum Opfer gefallen und weitere rund 100 Kolonien für eine zukünftige Umnutzung vorgesehen sind: Da sollte man doch noch einen abkriegen können. Eine Datsche im Brandenburgischen kam ohne Auto nicht infrage. Ein kleines Stück Nachbarschaftsgarten auf dem Tempelhofer Feld auch nicht – zu klein und zu wenig intim.

Doch Schrebergärten sind in der Hauptstadt auch dank Do-it-yourself-Kultur und Bioboom heiß begehrt. Etwa ein Drittel der Neubewerber ist unter 30. Der alte spießige Muff, der Schrebergärten lange anhaftete, verflüchtigt sich. Auf Heckenhöhe und Rasenlänge schauen viele Kolonien heute nicht mehr so streng, und der gute alte Gartenzwerg hat auch schon mal einen Dolch im Rücken statt einer Schaufel in der Hand.

Abkürzung über Kleinanzeigen

Ein Blick auf die Internetseite des „Landesverbands Berlin der Gartenfreunde e. V.“ war erst mal ernüchternd: wenige freie Parzellen, lange Wartezeiten, Familien mit Kindern als bevorzugte Pächter. Doch in diversen Kleinanzeigenportalen tummelten sich Schrebergärten in allen möglichen Stadtteilen und zu allen möglichen und unmöglichen Preisen von bis zu 20.000 Euro. Für Laube und Gewächse ist in der Regel eine Ablöse fällig, die je nach Größe und Bestand im Schnitt bei 2.000 bis 5.000 Euro liegt. Hinzu kommen die jährlichen Kosten von insgesamt etwa 500 Euro für die Mitgliedschaft im Bezirksverband (Pflicht), Betriebskosten und Pacht.

Einer der Gärten kam infrage. Die Bewerbung bei Vorpächtern, Kolonievorstand und Bezirksverband zusammen mit dem besten Freund und seiner kleinen Familie hatte Erfolg. Seit einem halben Jahr haben wir unseren Garten, haben auf der Hollywoodschaukel Kuchen, Kaffee und Bier genossen, den Rasen gemäht, eine gute Gartenschere gekauft, Obst und Gemüse geerntet. Und dann sind wir auch auf unserem ersten „Damen- und Herrenabend“ im neuen Vereinsheim gewesen: 20 Leute auf 20 Quadratmetern, davon 16 Raucher. Wiener- und Bockwürstchen, derbe Witze und rustikale Anekdoten aus 20 Koloniejahren.

Wir Stadtkinder haben inzwischen einiges gelernt: zum Beispiel dass Gartenfreunde nach dem phänologischen Kalender zehn Jahreszeiten kennen und sich beim Aussäen am tatsächlichen Stand der Natur orientieren sollten. Die nächste Gartensaison kann kommen.

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