: Emotionale Produkte
Wenn Marken Destinationen werden: Firmenmuseen landesweit erzählen ein Stück Kulturgeschichte mit einem hohen Gebrauchswert
Aus Meißen bei Dresden kommt deutsche Tischkultur in Form des noblen Meißener Porzellans. Das Porzellan-Museum und eine Schauhalle begeistern Besucher. www.meissen.de
Im Schloss Nymphenburg/München zeigt das Porzellanmuseum über 1.000 Ausstellungsstücke der 1761 gegründeten Porzellanmanufaktur. www.nymphenburg-porzellan.com
Im Fichtelgebirge lohnt ein Besuch in Selb/Plößberg: Hier eröffnete im Europäischen Industriemuseum für Porzellan in 2004 das Rosenthal-Museum. www.rosenthal.de
Der Ort Frauenau im Bayrischen Wald hat ein modernes kommunales Glasmuseum eingerichtet, das Glaskunstwerke aus allen Epochen und allen Glasregionen der Welt zeigt. www.glasmuseum-frauenau.de
Bekannte Markennamen für Gourmetgläser wie etwa Schott/Zwiesel oder Spiegelauer Glas werden praktisch in der Nachbarschaft hergestellt, die Betriebe laden zum Werksverkauf ein. www.zwiesel-kristallglas.com und www.spiegelau.com
Für die Glasherstellung im Thüringer Wald steht der Ort Lauscha. Das örtliche Museum präsentiert das heute noch hergestellte Thüringer Glas in seiner ganzen thematischen Breite. www.glasmuseum-lauscha.de
Die Hüttenführungen in der Farbglashütte bei laufender Produktion sind beeindruckend, die Verkaufsausstellung bietet das ganze Jahr über Christbaumschmuck. www.farbglashuette.de
Möglichst waldnah arbeiteten auch die Möbelmacher, etwa die Traditionsfirma Thonet in der kleinen hessischen Stadt Frankenberg. www.thonet.de
Die Firma Vitra in Weil am Rhein wurde berühmt mit Stühlen der amerikanischen Designer Charles und Ray Eanes. Ihr Firmenmuseum ist ein Highlight des modernen klassischen Designs. www.design-museum.de
Die Teddybären und Plüschtiere der berühmten Margarete Steiff aus dem schwäbischen Giengen an der Brenz: www.steiff.de
Die Bierbrauerei in der fränkischen Gründerzeitfabrik, Bayreuth: www.maisel.com/museum
Die Vielfalt des Bades und deutsche Badekultur, entwickelt in Schiltach im Schwarzwald: www.hansgrohe.com
Wo Stollwerck in Köln den süßen Sarottimohren erfand: www.schokoladenmuseum.de
CHRISTEL BURGHOFF
VON CHRISTEL BURGHOFF
Sie zeigen Produkte und betreiben Selbstdarstellung, sie stellen Wasserhähne, Stühle, Schokolade, Biere, Parfums oder Stofftiere zur Schau, und niemand käme deshalb auf den Gedanken, sie zur Hochkultur zu rechnen. Firmenmuseen existieren eher am Rande der Museumslandschaft. Sie stehen für Markennamen der Sparte „Made in Germany“. Doch manche von ihnen ziehen massenhaft Publikum an. Allen voran die deutschen Autobauer haben sich mit architektonisch futuristischen Firmenwelten in Topstellung gebracht. Ob VW in Wolfsburg, Mercedes-Benz in Stuttgart, BMW in München oder Audi in Ingolstadt: jedem sein eigenes, unverwechselbares Mekka. Ein sichtbarer Ausdruck ihrer wirtschaftlichen Potenz. Aber auch andere Produzenten stellen sich dar: Über 200 private Firmenmuseen zählt das Land. Oft liegen sie fernab der modernen Zentren in sogenannten altindustriellen Regionen, wo heute nicht selten die schöne Landschaft mehr lockt als die Ökonomie.
Etwa Bierbrauer in der Fränkischen Schweiz. In Bayreuth hat der Maisel-Brauerei nach ihrem Umzug eine moderne Produktionsstätte ihr historisches Brauereigebäude komplett als Museum hergerichtet. Am Rande des heutigen Nationalparkes Bayerischer Wald ist die traditionell dort beheimatete Glasindustrie aktiv. Mitten im Schwarzwald in Schiltach stößt man bei der Firma Grohe, bekannt für Badezimmerarmaturen, auf ein Museum der Badezimmerkultur, das die epochalen Schritte in der modernen Hygieneentwicklung wunderbar veranschaulicht. Auch am Nationalpark Kellerwald am hessischen Edersee wartet eine Traditionsfirma mit interessanten Einblicken auf und gewährt Nostalgikern eine Wiederbegegnung mit der Belle Epoque der Kaffeehauskultur. Von hier aus bestuhlte einst die Firma Thonet die ganze Welt mit ihren legendären Kaffeehausstühlen aus leichtem Bugholz. Ein anderer Spezialist für Stühle, die Firma Vitra, hat ein modernes Design-Museum in Weil am Rhein verwirklicht.
Allen Firmenmuseen gemeinsam ist, dass sie nicht nur um sich selbst kreisen, sondern auch von Alltagskultur berichten. Denn immer geht es hier auch um alte und neue Produktionstechniken, um Design und Ästhetik, Innovationen und Zukunftsentwürfe, Industriehistorie und soziale Verhältnisse und last but not least um unsere Konsumgewohnheiten. Firmenmuseen dokumentieren den Industriestandort Deutschland mit Produkten, die sich heute im Konsumüberfluss wie Orientierungsmarken ausnehmen.
Für Tourismuswissenschaftler gehören Firmenmuseen zum Industrietourismus, und diesen rechnen sie der Sparte Kulturtourismus zu. Ein kleines, aber wachsendes Segment, das seine Aufmerksamkeit unter Touristen der mittlerweile erfolgreichen Musealisierung industrieller Altanlagen und zahlreichen technischen und historischen Museen verdankt. Doch im Unterschied zur publikumswirksamen Aufbereitung der „toten“ Industrie etwa im Ruhrgebiet gestaltet sich die Beziehung zur „living industry“ schwierig. Alle wünschen sich mehr Präsenz, denn unter den Zielen einer nachhaltigen Regionalentwicklung stellen zahlreiche Sparten des produzierenden Gewerbes eine ganz besondere, regionalspezifische Ressource dar. Wie andere touristische Highlights der Kultur und Natur könnten sie sich weiterentwickeln lassen. Marken könnten zu „Destinationen“ werden.
Einen virtuellen Einstieg in Marken und ihre Geschichte gibt: www.markenmuseum.com Museumssuche über: www.webmuseen.de Firmenmuseen und mehr – als konzertierte Marketingaktion für Deutschland (in Kooperation mit der Deutschen Bank) gestartet, gibt das erstmals im Jahr 2006 publizierte Projekt „Land der Ideen – 365 Orte und Veranstaltungen“ jede Menge Anregungen für Kurztrips in Industrie-, Naturschutz- oder Wissenschaftseinrichtungen und motiviert zum Besuch von Tagen der offenen Tür der unterschiedlichsten Bürgerprojekte. www.land-der-ideen.de Als Reiseführer beim DuMont Reiseverlag erhältlich
Die Tourismusexperten empfehlen den Firmen nun neue Formen sinnlicher, erlebnisorientierter Informationsvermittlung. Und neue Konzepte, um sich im Netz touristischer Routen und Angebote zu positionieren. Neue Konzepte wie etwa im schwäbischen Giengen/Brenz, wo einst die zielstrebige Margarete Steiff ihre Teddybären nähte. Wen es heute ins Teddybärenmuseeum verschlägt, der dürfte sich wundern: Der Museumsneubau glitzert metallisch, in der Bärenhochburg bezaubern Erlebniswelten voller Stofftiere mit einer multimedialen Historienschau.
„Emotionale Produkte“ sind gut präpariert für die Anforderungen der neuen Zeit, glauben die Experten. Denn Touristen lieben Souvenirs. Sie lieben sie umso mehr, wenn sie als Schnäppchen daherkommen oder als Fabrikverkauf. Outlet ist das Zauberwort, das schon in der Vergangenheit so manchen Produzenten zu einem gut besuchten Ausflugziel adelte. Ein Selbstläufer wie etwa an der landschaftlich sehr reizvollen Saarschleife bei Mettlach, wo die Firma Villeroy & Boch seit zwei Jahrhunderten ihren Stammsitz hat. Mettlach, wo der Porzellanhersteller im Ort Fabrikware anbietet, hat längst weitere gute Namen von Haushaltswaren angezogen. Der Zustrom der Markenprodukte hat den Ort in ein Einkaufsparadies verwandelt.
Die Frage, ob Tourismus sogar Produktionsstandorte sichern und traditionsreiche Markennamen erhalten kann, wird wohl niemand ernsthaft beantworten können. Immerhin liegt die Vermutung nahe, dass Fabrikverkäufe an Touristen zumindest der Glasindustrie im Bayerischen Wald – anders als anderswo – bislang das Überleben erleichtert haben.
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