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Höchststrafe für „Carlos“

TERRORPROZESS Der Venezolaner bekommt „lebenslänglich“ für Anschlagserie mit elf Toten in Frankreich. Auch der deutsche Komplize Johannes Weinrich muss lebenslang in Haft

Nach der Urteilsverkündung ließ „Carlos“ verkünden, dass er in Berufung geht

AUS PARIS RUDOLF BALMER

Ein Sonderschwurgericht für Terrorverbrechen hat in Paris den 62-jährigen Venezolaner Ilich Ramírez Sànchez alias „Carlos“ zu lebenslanger Haft verurteilt. Gemäß Urteil darf er aus Sicherheitsgründen nicht vor der Verbüßung von mindestens 18 Jahren freigelassen werden.

Das Gericht folgte dem Antrag der Staatsanwaltschaft, indem es die für Terrorverbrechen vorgesehene Höchststrafe verhängte. Die Geschworenen erklärten den Angeklagten in allen Punkten schuldig. „Carlos“ soll die vier Attentate in Frankreich organisiert haben, bei denen 1982 und 1983 elf Menschen getötet und mehr als hundert verletzt wurden. Ebenfalls „lebenslänglich“ bekamen zwei Mitangeklagte, der in Deutschland inhaftierte Johannes Weinrich und ein weiterhin flüchtiger Palästinenser namens Ali Kamal al-Issawi.

Dass die Erörterungen der Geschworenen – bei Terrorprozessen handelt es sich hier um Berufsrichter – am Donnerstagabend viel länger als erwartet dauerten, ist wahrscheinlich der vierten Angeklagten zu verdanken. Die auf freiem Fuß und angeblich in Hannover lebende Deutsche Christa Fröhlich (69), die wie Weinrich nicht am Prozess in Paris teilnahm, wurde freigesprochen. Ihre Mitschuld an den Anschlägen sah das Gericht als nicht bewiesen an.

Direkt nach dem Urteil ließ Carlos durch seine Anwältin und Gattin Isabelle Coutant-Peyre mitteilen, dass er in die Berufung gehe. Für ihn bietet jeder Prozess Gelegenheit, das Gericht in eine politische Bühne zu verwandeln. Während der sechswöchigen Verhandlungen hatte der Venezolaner bei Befragungen oder als Erwiderung auf Zeugenaussagen immer wieder zu langen Reden ausgeholt und sich als „Berufsrevolutionär“ im Dienst der Sache der Palästinenser darzustellen versucht. Dieser Anspruch wurde ihm auch vom Exkampfgefährten Hans-Joachim Klein, der sich längst vom Terrorismus distanziert hat, rundweg abgesprochen: Mandela sei ein echter Revolutionär, nicht aber ein Typ wie „Carlos“, der keine Skrupel habe, Unschuldige mit Bomben in Hackfleisch zu verwandeln.

Zwischen einem „Vive la révolution!“ und einem „Allahu Akbar!“ zollte der zum Islam konvertierte Terrorist dem Libyer Muammar al-Gaddafi Bewunderung. Dieser habe mehr für die Revolution getan, als er selbst oder andere. Für „Carlos“ war der Prozess eine „abgekartete billige Komödie“, in der er jedoch als Selbstdarsteller die Hauptrolle beanspruchte. Eine direkte Schuld an den vier Anschlägen wollte er nicht gestehen. Er sagte jedoch, er übernehme grundsätzlich die „politische und militärische Verantwortung für alle Attentate“ der von ihm gegründeten Terrorgruppe ORI und für Aktionen der palästinensischen FPLP. Vor Gericht hatte er geprahlt, auf sein Konto gingen 1.500 bis 2.000 Tote in der Welt.

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