: Mit dem Zweiten sah man doppelt
OBERKANTE UNTERLIPPE Drogen im deutschen Fernsehen sind nicht Lebensart, sondern Krux. Das muss sich bessern!
VON JENNI ZYLKA
Besoffen?Ach Quatsch, wovon denn? Dem bisschen Whiskey heute Mittag? Das war, wenn man es genau nimmt, ohnehin eigentlich Wasser. Mit Whiskeywürfeln. Und außerdem ist das Usus: In den Achtzigern wurde schon getrunken, bevor die erste morgendliche Kartellsitzung losging, einfach nur so, weil sich ein Ewing mal wieder über einen Barnes geärgert hat oder weil Sue Ellen vorbeikam. Sue Ellen hat es natürlich stets übertrieben. Der gemeine Fernsehtexaner trinkt gemaßregelt: Nicht vor dem Aufstehen, und Fusel nur, wenn man im Fahrstuhl feststeckt.
Dabei war Dallas einst noch nicht mal die gefüllteste aller Fernsehbars. Denn auch in hierzulande entstandenen Produktionen wurde einst gebechert, bis man mit dem Zweiten nicht besser, sondern doppelt sah. Von der deutschen Mutter der TV-Presseclubs, dem „Internationalen Frühschoppen“ mal ganz zu schweigen, der immer noch die einzige Fernsehsendung mit dem Unique Selling Point (USP) „Oberkante Unterlippe“ ist, das sogar im Titel offenbarte und in dem der „Maikämmerer Heiligenberg“ in Gallonen weggeschluckt wurde: Auch in fiktionalen Produktionen war das Konsumieren bis in die unangenehm gesundheitsbewussten Neunziger hinein durchaus nicht immer ein Hinweis auf ein Problem, denn was Frauen bemitleidenswert machte, machte Männer kerliger.
Außer den üblichen TexanerInnen tranken vor allem Kriminologen: Ausgedachte ErmittlerInnen wie der knatschige, aber sauflustige „Kommissar“ oder Bierbulle Schimanski, der ohne Pils nicht richtig funktionierte, waren stets fast genauso schnapsaffin wie die Berufsgruppe der JournalistInnen und die der (erfolgreichen und darbenden) KünstlerInnen im richtigen Leben.
Heute gehen die Aufdecker stattdessen joggen (wie Lena Odenthal) oder kleiden sich zumindest sportlich (wie Charlotte Lindholm). Oder haben gleich ganz andere gesundheitliche Probleme (wie Ulrich Tukur als Felix Murot mit Gehirntumor). Nicht mal bei der Küstenwache gibt es Küstennebel.
Wenn moderne Fernsehcharaktere doch einmal etwas trinken, dann wird das zur Krux und entfernt sich stante pede aus der nonchalanten Lebensartecke: In den neueren Serien, die, angefangen mit der US-Produktion „Emergency Room“, seit den Neunzigern international hohe Qualitätsmaßstäbe setzen und auch den deutschen AutorInnen ein anderes Bewusstsein für das Gift einflößen, ist der Umgang mit Alkohol und Drogen stets und ausschließlich inhaltsrelevant, nie beiläufig.
Wenn also Dr. Abby Lockheart trinkt, dann so viel, dass sie sich zwischen Not-Blinddarmentfernung und Krankenblattabzeichnen schnell und heimlich in das Traumaraum-Waschbecken übergeben muss, und danach fast das falsche Bein amputiert. Ein deutsches Pendant zu dieser Feinfühligkeit in Drogendingen gibt es noch nicht. Zwar tauchen Drogen als Thema selbstredend in fast allen Kriminalserien auf, in herausragenden wie „KDD“ und „Im Angesichts des Verbrechens“ genauso wie in Fließband-Vorabend-Fällen. Und dass Tukur als Murot trotz seines Tumors raucht, gern auch zusammen mit der schlauen, chainsmoking Sekretärin Magda Waechter (Barbara Philipp), lässt auf weiter steigende „Tatort“-Qualität hoffen.
Doch dass ein Durchschnittsbürger sich bewusst mit legalen und anderen Rauschmitteln einlässt, etwa eine Alleinerziehende wie in der US-Serie „Weeds“, die durch den Haschischhandel ihre Witwenrente aufbessern will, und sich immer tiefer in den Drogenhandel und weitere illegale Geschäfte verstrickt, ist im öffentlich-rechtlichen und sogar im Privatfernsehen undenkbar. Statt eine Ambivalenz zu offenbaren, die US-AutorInnen ihren ProtagonistInnen und damit auch ihrem Publikum zugestehen, muss in Deutschland noch immer streng bewertet und vorbildlich vorgelebt werden: Entweder man trinkt mal einen Flirtcocktail in einer hellen, bunten Lounge (Nachmittagssoap), man nippt ohne große Anzeichen von Konsequenzen an Bier und Wein (Krimiserien) oder hat auch mal einen im Tee, man will sich gerade das Rauchen abgewöhnen – oder man ist drogenabhängig / auf dem besten Weg dazu. Am Ende des Films/der Serie hat man aber den Absprung geschafft. Oder ist daran zugrunde gegangen.
So lustvoll besoffen, wie beispielsweise der soeben gekürte Berlinale-Jury-Präsident Mike Leigh die ersten Bilder seines 2008 entstandenen „Happy-Go-Lucky“ inszeniert – eine britische Frauenclique landet mit zig Promille in der Wohnung der Protagonistin, man kichert und kreischt um die Wette, in der nächsten Szene sieht man die Frau aber mit unvermindertem Elan ihren Job als Erzieherin ausüben – kann man sich hierzulande kaum vorstellen. Ohne sichtbaren Kater am nächsten Tag wird seit den Neunzigern nicht gesündigt.
Zudem ist man in Deutschland stolz auf diese der Realität arg hinterherhinkende Sauberkeit: Die ARD-Serie „In aller Freundschaft“, in der wackere ÄrztInnen und PflegerInnen der „Sachsenklinik“ sich verlieben, Leben retten und Freundschaften pflegen, wurde vor zwei Wochen mit dem „Rauchfrei“-Siegel des „Aktionsbündnisses Nichtrauchen“ ausgezeichnet. Was sehr hehr ist, aber auch sehr weit weg von der Realität.
Denn in Wirklichkeit rauchen ÄrztInnen zwar ein Drittel weniger als NichtärztInnen, aber sie qualmen dennoch. Dass man sich im Zweifelsfall als FernsehzuschauerIn eher für die gebrochenen Charaktere erwärmt, zynische und opioidabhängige Ärzte wie Dr. House beispielsweise, ist zwar durch Erfolg, sogar Quote belegt, scheint sich aber schlichtweg nicht mit (öffentlich-rechtlichen) Grundsätzen zu vertragen, denen deutsche FernsehautorInnen folgen müssen. In dieser Republik gilt bis auf weiteres: Im Fernsehen rauchen dürfen nur der Böse oder Helmut Schmidt. Oh nee, der ja auch nicht, weil das „Forum Rauchfrei“ – dass NichtraucherInnen in so vielen unterschiedlichen Bündnissen organisiert sind, lässt, ohne hämisch sein zu wollen, doch irgendwie auf mangelnde Teamfähigkeit schließen – der ARD-Chefin nach Schmidts unverblümtem Schmauch bei Jauch eine Anzeige beschert hat.
Es geht – neben der akuten Krebsgefahr durch Passivrauchen im Fall Schmidt – vor allem um die Vorbildfunktion. Obwohl dieser Schuh dem deutschen Fernsehen eigentlich gar nicht mehr passt: Wer in den Werbeblöcken der Sportsendungen ein Bier nach dem anderen zischen lässt, wer versucht, die richtige Leidenschaft mit dem richtigen Sekt zu verkaufen, der müsste in Sachen Nikotin entweder genauso offenherzig oder in Sachen Schnaps genauso konsequent sein.
Dieter Thomas Heck sagte neulich in einem Interview, dass er, während auf der Bühne „Hossa!“ und „Ein Bett im Kornfeld“ sitzreihenweise Tantenwinker erzittern ließen, stets an eine Seitentür des Studios ging, wo seine Assistentin mit einer angezündeten Zigarette und einem Glas Bier stand. Ein Zug, ein Schluck, weiter im Takt. Das Rauchen habe er sich zwischenzeitlich abgewöhnt, die Notwendigkeit, sich auch das Trinken abzugewöhnen, sieht Heck als echtes Kind seiner Zeit nicht. Wäre er noch einmal so jung wie Til Schweiger, dessen angeblicher „Alkohol-Ausrutscher“ tagelang genüsslich vom ersten Moralapostel Bild-Zeitung ausgekostet wurde, er müsste sich ganz schön warm anziehen.
Und dass so mancheR ZuschauerIn Sabine Christiansen bei der nächtlichen Golfkriegsberichterstattung 1991 noch on air auspusten sah, ist heute auch undenkbar.
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