: Reichskriegsflagge im Rucksack
Nach dem Brandanschlag auf eine Lübecker Kirche: Pastoren, Politiker und ein Provokateur melden sich zu Wort ■ Von Sven-M. Veit und Ulrike Winkelmann
„Wir sind traurig“, sagt der Pastor von St. Vicelin, Klaus Weigand, zum Auftakt der kurzen Kundgebung gestern um 18 Uhr vor seiner niedergebrannten Kirche im Lübecker Stadtteil St. Jürgen. Das Feuer ist inzwischen gelöscht, doch die Kirche ist weitgehend zerstört. Der katholische Probst Helmut Siepenkort und der evangelische Bischof Karl-Ludwig Kohlwage schlugen vor den rund 300 Versammelten härtere Töne an: „Entschlossenen Widerstand“forderte Kohlwage gegen solche „Einschüchterungsversuche“, vom Kirchenasyl dürfe nicht abgewichen werden. Pastor Günter Harig von der evangelischen St. Marien-Gemeinde, die seit zwei Wochen einer algerischen Flüchtlingsfamilie Kirchenasyl bietet, „bedauerte außerordentlich“, daß Weigands Gemeinde Ziel rechter Gewalt geworden sei. Er stehe weiter dazu, Flüchtlinge zu beherbergen.
Lübecks Bürgermeister Michael Bouteiller (SPD) zeigte sich echt erschüttert: „Kirchen sind Schutzräume“. Wenn jetzt auch sie angezündet würden, sei das „ein neues Stück im Mosaik rechter Gewalt“. Bouteiller ist wegen seines Engagements für die Opfer und die Überlebenden des Brandattentats auf die Lübecker Flüchtlingsunterkunft im Januar vorigen Jahres heftigen Anfeindungen selbst konservativer Politiker ausgesetzt. Er forderte „endlich entschlossen gegen organisierten rechten Haß und dessen Hintermänner vorzugehen“.
Daß es damit nicht weit her sein dürfte, bewies Peter-Kurt Würzbach. Der neue CDU-Landeschef ließ pressemitteilen, daß der Brandanschlag nicht „für einen Streit über das Kirchenasyl instrumentalisiert“werden dürfe. Doch genau darum gehe es, widersprach SPD-Ministerpräsidentin Heide Simonis, die zu der Kundgebung nach Lübeck geeilt war. Sie hoffe, daß der Gewalt zum Trotz die Kirche weiterhin „mutig ihre Stimme erhebt“. Der Landesparteitag der Grünen in Eckernförde forderte in einer Resolution die Flüchtlingsini-tiativen auf, „noch stärker zu mobilisieren, damit Rechtsradikale sich nicht ermutigt sehen, gegen Kirchenasyl vorzugehen“.
Am Nachmittag hatten sich sehr unterschiedliche Szenen vor der noch immer qualmenden Kirchenruine in Lübeck abgespielt. Kinder spielten mit einem sprudelnden Feuerwehrschlauch, auf der vom Verkehr befreiten Kreuzung vor St. Vicelin ließ es sich vorzüglich rol-lerbladen. Die Stadtteiljugend hatte sich am Grillshop gegenüber eingefunden, wo ein 18jähriger mit Heldenhaftem prahlte: Er hatte kurz zuvor die Reichskriegsflagge aus dem Rucksack gezogen und vor dem Brandort seinen provozierenden Auftritt gehabt.
Andere Teenager gesellten sich ein wenig schüchtern zu den Transparenten des Lübecker Bündnis gegen Rassismus, dessen Mitglieder unter den Umstehenden Flugblätter verteilten. Unter anderem ruft „Basta! – Linke Jugend“für den heutigen Montag um zwölf Uhr zu einer Demo am Koberg in der Lübecker Innenstadt auf.
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