: Lega Nord statt Wandsbek-Connection
■ Hamburgs SPD im Umbruch: Neue Inhalte zeichnen sich ab, der Filz aber bleibt
Ortwin Rundes Wahl zum SPD-Bürgermeister-Kandidaten markiert mehr als nur das Ende der Ära Voscherau: Eine neue Mitte-Links-Mehrheit hat in der SPD die mehr als 50jährige Dominanz des rechten Lagers beendet. Die Wiederaufbaugeneration der rechten Genossen weicht den Sozialpolitikern, die vom Reformanspruch der ersten sozialliberalen Regierungen nach 1969 geprägt sind.
Diese Kulturrevolution ist seit Jahren überfällig. Schon seit vielen Jahren nämlich hat das Mitte-Links-Lager die Mehrheit der Parteitagsdelegierten, der Landesvorstandsmitglieder und der Bürgerschaftsfraktion hinter sich. Bereits 1993 stand diese neue Mehrheit kurz vor der Machtübernahme: Vor und während der rot-grünen Koalitionsverhandlungen 1993 hatte Henning Voscherau die Rücktrittserklärung schon mehrfach auf den Lippen. Einem Rot-Grün-Diktat seiner Partei wollte er sich nicht beugen. Das linke Lager konnte sich damals allerdings nicht auf einen Voscherau-Ersatz einigen: „Ohne Henning läuft nichts“, war die übereinstimmende Meinung der Linken in Altona, Eimsbüttel, Nord und Harburg.
Pikanterweise hatte Voscherau höchstpersönlich den Linken die Steigbügel gehalten: Schon bald nach der Etablierung seines rot-grauen Senats machte er den zum Finanzsenator aufgestiegenen Ortwin Runde intern zu seinem Kronprinzen. Die mächtigen Delegierten-Bataillone des Kreises Nord (Spitzname: „Lega Nord“) wußte er so in kritischen Situationen auf seiner Seite. Da Runde gleichzeitig auch mit Bausenator Eugen Wagners rechter Gang aus Mitte kungelte, hatte sich der gewiefte Machttaktiker schon frühzeitig für das Bürgermeistererbe in Position gebracht.
Dabei half Runde, daß Vosche-rau seit seinem Amtsantritt 1988 das rechte Lager systematisch schwächte. Voscherau, Nachwuchsstar der rechten Führungsclique „Wandsbek-Connection“, die seit Jahrzehnten Partei und Stadt beherrschte, hatte zwar von 1981 bis 1988 Klaus von Dohnanyi wie eine Marionette geführt. Nun fürchtete er, die eigenen Leute könnten ihn an die Leine legen. Seinen politischen Ziehvater Gerd Gustav Weiland und seinen Weggenossen Günter Elste räumte Voscherau deshalb zur Seite – Elste wurde Hochbahn-Chef, Weiland mußte als Vorsitzender des Haushaltsausschusses weichen. Damit war sichergestellt, daß ihm vom rechten Lager niemand ernsthaft Konkurrenz machen könnte.
Von diesem Niedergang Wandsbeks profitierte die „Lega Nord“. Dieser mitgliederstärkste Kreis der Linken baute unter Rundes Regie seit Anfang der 80er Jahre seine Stellung systematisch aus. Als quasi privates Lehen bekamen die Nordgenossen die Arbeits- und Sozialbehörde, deren Einfluß dank steigender Sozialhilfemaßnahmen und der Erfindung des Zweiten Arbeitsmarktes (eine Ko-Produktion von Dohnanyi und Sozialbehörde) ständig an Größe zulegte. In Rundes Zeit als Abteilungsleiter, Parteichef und schließlich Sozialsenator entwickelte sich diese Behörde zur links-filzokratischen Bastion. Jobs verteilte die Lega Nord nicht nur in den Behördentürmen an der Hamburger Straße, die gesamte Szene staatlicher ABM-Projekte und Weiterbildungsträger ist fest in der Hand bewährter Nord-GenossInnen.
Ortwin Rundes Macht ist bereits jetzt gefestigt. Hinter seiner jovialen Freundlichkeit verbergen sich Machtinstinkt und die Fähigkeit, den Laden zusammenzuhalten. Runde hat schon in seiner sechsjährigen Amtszeit als Parteivorsitzender in den 80ern den damals in heftigste Links-Rechts-Konflikte verstrickten Hamburger Landesverband geschickt ausbalanciert.
Gelingt es ihm jetzt noch, sich zudem als gestaltender Regierungs-chef zu profilieren und ein klein wenig öffentliches Charisma zu entwickeln, dann könnte Runde durchaus Voscheraus Amtszeitrekord ins Visier nehmen. Die Partei hat er schon heute so fest im Griff wie lange keiner vor ihm.
Florian Marten
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