: Viel Freiheit für wenig Sicherheit
■ Gespräch mit dem Richter Bernd Asbrock über den großen Lauschangriff
Der Gesetzentwurf zum großen Lauschangriff ist in seiner derzeitigen Form verfassungswidrig. Davon ist jedenfalls Dr. Bernd Asbrock überzeugt. Asbrock ist Vorsitzender Richter am Bremer Landgericht und gehört zu jenen 14 Sachverständigen, deren juristischen Rat sich der Rechtsausschuß desDeutschen Bundestages gestern in öffentlicher Anhörung zum Thema Lauschangriff geholt hat. Die taz sprach mit ihm über seine Bedenken.
Herr Asbrock, was haben Sie eigentlich gegen den großen Lauschangriff? Die Befürworter wollen damit Gangstern das Handwerk legen. Als Strafrichter müßte das doch auch in Ihrem Sinne sein.
Wenn der große Lauschangriff das garantieren würde, hätte ich nichts dagegen. Aber der Lauschangriff nimmt zu viel Freiheit und gibt zu wenig Sicherheit. Der Gesetzgeber behauptet schlicht, daß ein solches Instrument die organisierte Kriminalität in den Griff kriegen würde. Das ist aber nicht so. Wir müssen sogar davon ausgehen, daß professionelle Verbrecher Mittel und Wege finden, sich gegen den großen Lauschangriff zu wehren. Außerdem geht eins in der Diskussion völlig unter: Bevor die Wanze in der Wohnung angebracht werden kann, muß in die Wohnung eingebrochen werden. Und dieser Einbruch durch die Ermittler soll – ohne besondere Ermächtigungsgrundlage – mit dem Gesetz abgedeckt werden.
Und wie wollen Sie Gangster dingfest machen?
Den Ermittlern steht ein ganzes Arsenal von Methoden zur Verfügung, die Telefonüberwachung, die optische und akustische Überwachung einer Person außerhalb der Wohnung. Es gibt die Rasterfahndung, es gibt den verdeckten Ermittler. Das sind auch heimliche Ermittlungsmethoden, die in den letzten Jahren im Gesetz verankert wurden und deren Erfolge man gar nicht abwartet. Stattdessen wird jetzt gesagt: „Wir brauchen den großen Lauschangriff. Das nächste wird der Spähangriff auf die Wohnungen sein. Außerdem werden nicht nur die Wohnungen von Gangern belauscht! Das Gesetz ordnet ausdrücklich an, daß auch die Wohnungen von völlig unverdächtigen dritten Personen abgehört werden können, und zwar auch, wenn nur zu vermuten ist, daß der Beschuldigte sich dort auch aufhält! Das heißt, eine unabsehbare Zahl von Personen sind von diesem Lauschangriff mit betroffen. Und diese Personen sind vergleichsweise schutzlos gestellt.
Die Befürworter des großen Lauschangriffes argumentieren damit, daß organisierte Verbrecher ihre Geschäfte in abgeschotteten Räumen, wie zum Beispiel Bordellen, betreiben. Und dort könnten die Täter nur mit dem großen Lauschangriff überführt werden.
Das ist eine Behauptung. Spätestens wenn wir den großen Lauschangriff eingeführt haben, wird sich diese Tätergruppe woanders treffen. Das zeigt auch die Tatsache, daß es technische Mittel gibt, die die Telefonüberwachung ins Leere laufen lassen. Selbst Ermittler haben mir gegenüber betont, daß sie den großen Lauschangriff nicht brauchen. Die wünschen sich vielmehr eine bessere personelle Ausstattung, damit sie mutmaßliche Täter besser observieren können. Der große Lauschangriff wird jetzt so als Allheilmittel dargestellt, dabei zeigen die Erfahrungen aus den den USA, daß er das nicht ist. Die Erfolge mit dem großen Lauschangriff sind äußerst mäßig. Im übrigen sind die Regelungen in den USA auch ganz anders. Die rechtstaatliche Kontrolle ist dort viel stärker gesichert. Der Richter, der das Abhören der Wohnung anordnet, bleibt auch während der Maßnahme verantwortlich. In Deutschland soll das anders aussehen. Nachdem die Richter die Abhörung der Wohnung angeordnet haben, haben sie nichts mehr damit zu tun. Das heißt, der Richter überwacht die Maßnahme nicht, und er kontrolliert auch das Ergebnis nicht.
Aber immerhin sollen vorher drei Richter entscheiden, ob die Wohnung abgehört wird.
Die Kontrolle durch drei Richter suggeriert nur einen größeren Grundrechtschutz. In der Praxis versagt der Richtervorbehalt schon jetzt oftmals. Die Anträge sind wegen der Eilbedürftigkeit stets unter Zeitdruck zu bearbeiten. Die Akten- und Beweismittelvorlage ist oft unvollständig. Mitunter werden Anträge sogar telefonisch und ohne Akten gestellt. Die Begründungen sind oftmals pauschal und formularmäßig, die Sachverhalte werden durch die Polizei und die Staatsanwaltschaft gefiltert dargestellt. Der Richtervorbehalt konnte auch nicht verhindern, daß die Überwachung des Fernmeldeverkehrs in Deutschland zügellos zugenommen hat und weiterhin zunimmt. Während 1994 die Anzahl der Telefonüberwachungen noch unter 4.000 lag, wurde 1996 mit 8.112 Überwachungen ein neuer Höchststand erreicht. Und es ist auch kein Geheimnis, daß die Einschaltung des Richters von Strafverfolgern als lästiger Umweg und als Hemmnis für eine effektive Verbrechensbekämpfung angesehen wird.
Kritiker des großen Lauschangriffs sehen die Gefahr, daß das Aussageverweigerungsrecht von Ärzten, Geistlichen, Journalisten und Anwälten ausgehöhlt wird...
...und auch das Aussageverweigerungsrecht von den Verwandten eines Beschuldigten.
Die Befürworter sagen, es bliebe diesen Personen im Prozeß doch unbenommen, die Aussage tzu verweigern, auch wenn sie vorher abgehört worden sind.
Wenn die Gespräche einmal aufgenommen worden sind, können sie auch verwertet werden. Das steht auch im Einklang mit der Rechtslage bei den Lauschangriffen außerhalb der Wohnung. Eine Verwertung der Aufzeichnungen ist nämlich auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Person ein Aussageverweigerungsrecht hat. Das ist ein ganz großer Mangel dieses Gesetzentwurfes.
Welche Chancen geben Sie dem großen Lauschangriff?
Wenn er so durchgesetzt wird, wie geplant, halte ich die rechtstaatlichen Sicherungen für völlig unzureichend. Und ich glaube auch, daß er einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung so nicht standhalten wird.
Fragen: Kerstin Schneider
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