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Schriften zu ZeitschriftenSind so blaue Augen

■ Literatur im Kinoformat: „Lektüren“

Seit die Dinge in Waren verwandelt wurden, haben sie sprechen gelernt. Sie umwerben und umschmeicheln uns und wollen immer nur das eine. „Kauf mich!“ rief das CD-Cover der Toten Hosen aus dem Regal des Plattenhändlers. „Hallo Süßer, beiß mich!“ flüstert das Golden- Toast-Etikett morgens aus dem Brotkasten. Und vom Kiosk verlangt ab sofort die neue Literaturzeitschrift Lektüren mit lockender, weiblicher Stimme: „Lies mich!“

So steht's in roten Lettern auf dem Titel, unter dem Gesicht einer sehr blauäugigen Frau mit rosaroten Lippen. Dies ist nicht Hera Lind oder ihre Zwillingin Eva Heller, die im bewährten Double zum nicht mehr ganz taufrischen Beitrag über „Die Geheimnisse der starken Frauen“ angekündigt werden. Es handelt sich vielmehr um das Model Amanda Prior von der Agentur Talents, München. Eine moderne Literaturzeitschrift braucht eben ein modernes Gesicht, damit sie ordentlich „Leselust“ weckt und, wie Chefredakteur Knud von Harbou verlautbart, „auch Leser erreicht, die mit der üblichen und gelegentlich elitären Präsentation von Literatur nichts anzufangen wissen“.

Was der Chef im Editorial der ersten Nummer von sich gibt, klingt jedoch nicht sehr originell, sondern eher nach Markwort-Geschwurbel à la Focus: „Angebot überschaubarer machen“, „Akzente setzen“, „Zusammenhänge aufdecken“ – ja, was denn sonst? Bissingerhaft mit Halbbrille blickt von Harbou seiner jetzt schon entschlummernden Leserschaft entgegen und meint es ganz erst, wenn er, Immanuel Kant variierend, die Grundfragen stellt: „Was soll ich lesen? Gibt es ein gutes neues Buch? Und wen kann ich fragen? Jetzt gibt es eine Antwort.“

Die Antwort, die Lektüren gibt, heißt: Man muß eigentlich gar nicht lesen. Durchblättern reicht. Design ist alles, und das ist noch nicht mal gut. Wer Fotogeschichten mag, ist mit dem Zeit-Magazin allemal besser bedient. Aus Lektüren spricht bloß ein grundlegendes Mißtrauen gegen den Text, der niemals ungeschminkt auftreten darf. Denn dann, so die spürbare Angst, bleiben die Käufer aus, Käufer, die zwar literaturinteressiert sein sollen, aber angeblich lieber zappen als lesen.

Diese Zielgruppe fährt Audi, Mercedes oder einen Jeep von Chrysler, trägt teure Uhren, Anzüge von Joseph Janard oder Windsor und schätzt Bodylotion von Escada Sport. Das jedenfalls sind die geschalteten Anzeigen neben der obligatorischen Verlagswerbung. Ein neues Marktsegment wird da erfunden, und das muß bedient werden. Diese Cosmopolitan- erprobte Kundschaft dürfte auch Lesepröbchen zum Herausnehmen zu schätzen wissen (14 Seiten Brigit Vanderbeke, „Alberta empfängt einen Liebhaber“), wird damit doch die spröde Literatur endlich in pflegeleichten Kosmektikstatus überführt.

Eine Auflage von 100.000 ist die Zielvorgabe, an der Lektüren im Hause Holtzbrinck gemessen werden wird. Die erste Nummer ist ein Testlauf, der nur in ausgewählten Regionen (Berlin, Hamburg, Saarland, Cottbus, Bodensee) am Kiosk unternommen wird. Fast ein Jahr lang hat man bis dahin geheimnisvoll vor sich hingebastelt und am Ende doch nur einen retortenhaften Aufguß von Altbekanntem zuwege gebracht, der im Moment des Erscheinens schon angestaubt und seltsam mutlos wirkt. Die Seite „News von A–Z“ ist auf dem Stand von Mitte Oktober, beschäftigt sich noch mit Günter Grass, Yașar Kemal und Artmanns Büchnerpreis. Porträts über A.F.T. van der Heijden, Susanna Moore und Stephen Fry als Oscar Wilde hat man anderswo schon besser gelesen. Und bei einem launigen Interview mit dem allseits beliebten Harry Rowohlt kann man sowieso nichts falsch machen.

An prominenter Stelle bringt die Redaktion Schnipselbüchertips zur Weihnachtszeit, vier Seiten Kraut und Rüben, die aussehen wie eine Anzeige von Hugendubel. Brauchbarer ist der Rezensionsteil, ein Heft im Heft, zeitgemäß „zum Herausnehmen und Sammeln“: die Gestalt gewordene Mehrwertsimulation. Hier findet man einige gelungene Texte und gute redaktionelle Ideen: So durfte der Lyriker Heinz Czechowski über Raoul Schrotts Gedichtanthologie schreiben oder der zuletzt mit einem Amerika-Roman hervorgetretene Ulrich Woelk über Robert Hughes' „Bilder von Amerika“.

Lektüren will alles, hat aber doch nur von allem ein bißchen: Belletristik und Kochbuch, Literaturgeschichtliches und Unterhaltung, Krimis und Comic, Erotik und Börse. Mit Josef Haslinger hat man einen renommierten Kolumnisten eingekauft und Thomas Wörtches in der Wochenzeitung Freitag erprobte Rubrik „Cream of Crime“ übernommen. Das Ergebnis ist eine verlegerische Retortengeburt, irgendwo zwischen Cosmopolitan, Tip und Cinema, eine Literaturzeitschrift, die der Literatur konsequent mißtraut und deshalb so tut, als handle es sich um Kino, mit Stars und Hochglanzfotos und doofen Kurzinterviews und allem, was dazugehört. Kein Zufall, daß auch die Porträtreihe „Hollywood schreibt“ nicht fehlt. Und am Ende steht die Hitliste „Unsere zehn besten Bücher“, auf der die Redaktionsmitglieder in bewährter Filmkritikermanier mit Gütepunkten fuchteln. Das Ergebnis ist wenig überraschend: Zufällig schneiden die Titel am besten ab, die man auch im Heft größer herausgestellt hat.

Vielleicht hätte man doch besser einmal andere als nur sich selbst befragen sollen. Jörg Magenau

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