press-schlag: Der deutsche Skispringer fühlt sich vom Pech verfolgt
Vom Winde verweht
Der Wind, er tut nicht, was er soll. Er bläst, jawohl, er bläst. Aber immer aus der falschen Richtung. Jedenfalls dann, wenn Skispringer mit einem grünen Pass in die Spur gehen. Dann bläst er von hinten und drückt den armen deutschen Skispringer viel zu schnell den Berg hinab. Kaum aber taucht ein Pole auf dem Schanzentisch auf, dann überlegt es sich der Wind und bläst stramm von vorne und verschafft dem vermaledeiten Ausländer einen Aufwind, dass der lila Kuh vor Schreck die Luft ausgeht.
Es ist das ewig gleiche Muster: Wenn Martin Schmitt oder Sven Hannawald gewinnen, dann waren sie die Besten mit super Sprungkraft und allerbestem Fluggefühl. Wenn aber der deutsche Weitenjäger „notlanden“ (Bild) muss, dann standen ihm der mentale Druck, der unprofessionelle Veranstalter, die fehlende Tagesform, die weiche Anlaufspur (wahlweise auch: die harte Anlaufspur), das langsame Material, die altmodischen Schanzen, die böse Jury und immer wieder der Wind, der Wind, der Wind im Wege.
Kurz: Der Deutsche selbst ist nie schuld, wenn er weniger weit fliegt als die Konkurrenz. Dass Adam Malysz momentan schlicht der beste Springer ist und auch ein Schmitt in Bestform ihn wohl nicht schlagen könnte, das wird von Betroffenen, Trainern und Medien zwar mehr oder minder zähneknirschend zugegeben. Dann aber setzt die große Rechtfertigungsmaschinerie ein, die zwar extrem detailfreudig ist, aber schlussendlich doch nur die allgemein herrschende Ratlosigkeit verdeckt.
Die „Windlotterie“ ist längst fest in den Wortschatz des deutschen Sportkonsumenten integriert. Dass in Innsbruck eine Schanze älterer Bauart steht, wird hierzulande mit ähnlicher Ernsthaftigkeit diskutiert wie die Beteiligung von Frauen an Kampfeinsätzen. RTL-Moderator Günther Jauch durfte vor Beginn der Tournee sogar verkünden, Skispringen sei zweifellos komplizierter als Fußball. Vor noch nicht mal drei Jahren war RTL noch der Champions-League-Sender und Jauch diskutierte mit Beckenbauer die mentale Verfassung von Rosenborg Trondheim. So ändern sich die Zeiten. Da bestimmt dann wohl tatsächlich mal das Sein das Bewusstsein.
So wird der an sich sehr simple Vorgang, dass ein Verrückter auf zwei Brettern senkrecht bergab fährt, loshüpft und drei Sekunden später wieder landet, zur Wissenschaft verklärt. Und wir sind eine Republik von Experten. Kurze Schanzentische, steile Aufsprunghügel, Konsistenz von Anlaufspuren, Taillierung von Sprungschiern und Länge des Bandes zwischen Ferse und Bindung: Noch jedes kleinste Detail ist es wert, ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt zu werden, um zu erklären, warum ein fotogener Deutscher weniger weit springt als ein schnurrbärtiger Pole.
Dass RTL diese parzellierte Wirklichkeitswahrnehmung betreibt, ist nicht überraschend. Der Sender hat die Vierschanzentournee gekauft, um Quote zu machen. Das Produkt, so glaubt man nicht ganz zu Unrecht, verkauft sich am besten mit an der Spitze segelnden Nationalhelden. Wenn sie schon nicht gewinnen, dann sollen sie wenigstens die Rolle als tragische Verlierer spielen. Die verdiente Niederlage, die ist nicht medienwirksam.
Nicht unerklärlich, aber doch ziemlich unappetitlich ist es aber, wie sich deutsche Springer und Funktionäre einspannen lassen in diese Mythenbildung. Martin Schmitt erkor nach seinem neunten Platz in Innsbruck die Organisatoren zu Sündenböcken. „Die Voraussetzungen sind nicht gerade die besten“, sekundierte sein Heimtrainer Wolfgang Steiert.
Und wenn nichts mehr hilft, werden, wie es sich für eine angemessen tragische Inszenierung gehört, höhere Mächte bemüht: Während Chefcoach Reinhard Heß dem dominierenden Malysz nur das „nötige Glück“ unterstellt, meint Dieter Thoma, es läge daran, dass zu „Petrus noch keine Leitungen hochverlegt“ worden wären. Dies wäre wohl tatsächlich die einzige Möglichkeit für RTL, die Heldenbildung demnächst kontrolliert ins Sendeschema einzupassen. THOMAS WINKLER
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