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Schröders Winterreise

Erlöserkirche, Bolschoitheater, Schlittenfahrt: Schröder und Putin treffen sich ganz privat. Die Probleme, die sie behandeln werden, sind gewaltig

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

Die Schröders sind zu Besuch in Moskau. Diesmal ganz privat. Vor dem Portal der neu errichteten Christi-Erlöserkirche wird der russische Präsident Wladimir Putin den Besuch aus Deutschland empfangen. Schließlich feiert Russland an diesem Wochenende das orthodoxe Weihnachtsfest. Schon der Empfangsort signalisiert symbolischen Gehalt. Die Erlöserkirche ist mehr als ein Sakralbau. Sie verkörpert die protzig in Stein gefasste Mission und Mahnung Russlands, eines Tages an die Spitze der Weltpolitik zurückzukehren. Danach stehen der Besuch des Balletts „Giselle“ im Moskauer Bolschoitheater auf dem Plan und eine Fahrt in die Abgeschiedenheit des Klosters von Sergijew Possad, des Wallfahrtsorts des heiligen Sergius. Dort präsentiert sich die verschneite russische Provinz von ihrer märchenhaften Seite.

Ausdrücklich betonten beide Staatschefs, das Treffen sei rein privat. Wohl um überzogenen Erwartungen entgegenzuwirken. Die Intimität des Festes eröffnet indes die Chance, über die Kurzatmigkeit der Tagespolitik hinaus brennendere Fragen aufzugreifen. Die restriktive Innenpolitik des Kremlchefs gibt genügend Anlass zum Nachhaken.

Seit Putins Amtsübernahme ist die russische Diplomatie auffallend bemüht, die Beziehungen zu Berlin wieder aufzufrischen. Der anfänglich mürrische und russlandmüde Gerhard Schröder weilt bereits zum vierten Mal in zwei Jahren in Moskau. Kürzlich machte er gar eine „Nähe der Mentalitäten“ zwischen Russen und Deutschen aus. Man wird sich nicht in die Sauna – wie Vorgänger Kohl und Jelzin – setzen, aber unter den Weihnachtsbaum. Auch das ein Sinnbild der Wärme. Doch als Vertreter einer Generation von Pragmatikern sind beide für Gefühlsduselei unempfänglich.

Die Erwartungen der demokratisch orientierten Kräfte in Russland an das Tête-à-Tête sind nicht hoch gesteckt. Man hofft lediglich, Schröder möge den Kremlchef daran erinnern, dass Russland als europäisches Land, wie Putin es sieht, auch verpflichtet ist, sich an den Kanon des gemeinsamen ethischen Regelwerks zu halten. In diesem Zusammenhang wäre nicht nur danach zu fragen, was Putin unternimmt, um den Tschetschenienkrieg zu beenden. Der deutschfreundliche Kremlchef müsste auch Auskunft geben, warum russische Behörden deutschen NGOs und Mediatoren einer Zivilgesellschaft immer mehr Hindernisse in den Weg legen.

Auf Belehrungen reagiert Moskau nicht ohne Grund abweisend. Dennoch kommt die deutsche Seite nicht darum herum, den Kreml auf sein verheerendes Image hinzuweisen. Nicht von ungefähr wird Moskau auch zehn Jahre nach dem Zusammenbruch des Kommunismus von seinen Anrainerstaaten noch als Bedrohung wahrgenommen. Die Ambivalenz, einerseits Teil Europas sein zu wollen, andererseits die Arroganz einer ausgezehrten Großmacht an den Tag zu legen, verlangt nach Klärung.

Es wäre an der Zeit, dass Berlin den Russen konkret darlegt, was man unter der vielbeschworenen „strategischen Bedeutung der deutsch-russischen Beziehungen“ eigentlich versteht. Wenn man es tatsächlich ernst damit meint, warum erklärt dem Kreml niemand, dass die Osterweiterung der EU keine Ausgrenzung betreibt, sondern Russland erst die Chance eines Beitritts oder einer assoziierten Mitgliedschaft erschließt. Viel wäre gewonnen, wenn sich das klaustrophobische Denksystem in Russland einen Spaltbreit öffnen ließe. Das betrifft auch die geplante europäische Verteidigungsgemeinschaft. Auch hier gilt: Muss man sich verbrüdern, um zu kooperieren? Klargestellt werden sollte zudem, wie wenig Sinn es macht, Energien darauf zu verschwenden, einen Keil in das Atlantische Bündnis zu treiben. Die Fixierung auf die USA entspricht nicht mehr der politischen Realität.

Inzwischen ist es nämlich Europa, mit dem Russland fast 40 Prozent seines Handelsaustauschs betreibt und woher zwei Drittel der Investitionen stammen. Deutschland avancierte zum größten Handelspartner überhaupt. Diese Beziehungen möchte der Kreml im Energiebereich noch ausbauen. Vor allem hat er es auf Investitionen in den Energiesektor abgesehen, die bisher nur tröpfeln.

So gründete die Bereitschaft Berlins, statt der Rückzahlung der sowjetischen Altschulden auch Aktienanteile an russischen Unternehmen zu akzeptieren, wohl auf der Hoffnung, Russland werde Anteile der lukrativen Gas- und Ölkonzerne anbieten. Der Kreml machte die Hoffnung jedoch umgehend zunichte. Mit Sicherheit steht dieses Thema trotz der festlichen Stimmung oben auf der Agenda. Rundum glücklich mit den deutsch-russischen Beziehungen sind derzeit nur die deutschen Exporteure von Elektrotechnik, Maschinen und Lebensmitteln. Der gestiegene Ölpreis und der damit verknüpfte russische Aufschwung haben ihnen volle Auftragsbücher beschert.

„Russland ist nicht mit dem Verstand zu begreifen“, behauptet ein hartnäckiger Mythos der Russen. Die romantische Versuchung zieht manchen in den Bann, Schröder wird der Selbstmystifizierung wohl nicht aufsitzen. Vielleicht kann er gar Wladimir Putin vom Gegenteil überzeugen. Dann wäre die Winterreise ein bahnbrechender Erfolg.

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