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Straßenkrawalle für den Kleingarten

Laube, Liebe, Hoffnung: Das Potsdamer Filmmuseum dokumentiert die Geschichte der deutschen Laubenpieper

Was heute oft spießig und beschaulich wirkt, hat in den Siebzigerjahren des 19. Jahrhunderts mit Straßenkrawallen Not leidender Berliner begonnen: die deutsche Kleingartenkultur. Familien, die ihre Miete nicht zahlen konnten, wurden von Hauseigentümern auf die Straße gesetzt. In ihrer Not bauten sie sich Baracken vor den Toren der Stadt und legten kleine Gärten an.

Als jedoch 1872 sechs solcher Baracken von der Polizei zerstört wurden, gingen die Kleingärtner auf die Barrikaden. Aus der Notlösung der armen Leute und Obdachlosen entstand eine Bewegung. Die Geschichte der deutschen Laubenpieper dokumentiert das Potsdamer Filmmuseum mit der Ausstellung „Laube, Liebe, Hoffnung“.

Auf zahlreichen Fotos werden die Armut der Zuwanderer aus den preußischen Provinzen und ihre kleinen Erfolge dokumentiert. Sie zeigen Männer beim Bau von Bretterbuden, Frauen in Kittelschürzen beim Ausheben von Gräben, stolze Familien mit den Erträgen ihrer Gartenarbeit, mit Hühnern im Arm und mit Kürbissen auf der Schulter.

Zu den Exponaten zählt auch das Protokoll der Gründungsversammlung der Kolonie Eden bei Oranienburg. Siebeneinhalb Stunden lang haben die Naturfreunde an einem Maitag im Jahr 1893 im vegetarischen Restaurant „Ceres“ in der Berliner Paulstraße verhandelt, bis die Vereinsgründung perfekt war. Kein Fleisch, kein Alkohol, kein Tabak, lautete das Credo des gesunden Lebens auf dem Land. Doch mit der Zeit seien viele der Ideale gescheitert, vermerkt ein Begleittext.

Eingerahmt in Kunstrasen und Plastikblümchen werden die Dokumente aus dem Laubenpieperleben gezeigt, darunter auch Protestschreiben gegen Bebauungspläne für eine Treptower Kolonie aus dem Jahr 1924. Die Gärten sollten Wohnhäusern weichen, die Kleingärtner wehrten sich. Ab 1933 griff die „Arisierung“ der Nationalsozialisten auch in das Leben der Laubenpieper ein: Juden mussten ihre Gärten aufgeben, nur „Reichsdeutsche arischer Abstammung“ durften Vereinsmitglieder sein. „Die Idee der Musterkolonie mit genormtem Haus verbreitet sich“, heißt es im Begleittext. Dennoch boten die Kleingärten auch Schutz vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Der Quizmaster Hans Rosenthal überlebte mit Hilfe von Nachbarn versteckt in einer Laubenkolonie. YVONNE JENNERJAHN, EPD

Die Ausstellung zur Kleingartengeschichte ist bis Oktober täglich von 10 bis 18 Uhr im Filmmuseum Potsdam zu sehen

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