: Das Ende der Weißkittelzulage
IG Metall bläst zum Arbeitskampf, um neues Tarifsystem durchzusetzen. ■ Von Kai von Appen
Der Anpfiff für die Tarifbewegung 2001 in der Metallindustrie im Norden ist erfolgt. Obwohl die IG Metall erst am Donnerstag ihre Lohnforderung auf 6,5 Prozent mehr Geld fixiert hat, begann schon die erste Warnstreik-Phase. Bei Blohm+Voss und im Airbus-Werk legten am Freitag bereits Hunderte MetallerInnen die Arbeit vorübergehend nieder, heute folgen in weiteren Regionen des Nordens die MalocherInnen dem Beispiel. Bei diesem Tarifpoker versucht die IG Metall Küste zwei Bereiche eng zu verknüpfen: Einerseits höhere Löhne zur Stärkung der Kaufkraft durchzusetzen, andererseits eine gerechtere Entlohnung zu erwirken und die Spaltung in Arbeiter- und Angestelltenstatus aufzuheben. Dafür soll ein neues Lohnsystem geschaffen werden und in der Metallindustrie eine neue Ära, besser ERA, einläuten.
„Entgeltrahmen-Abkommen“ (ERA) heißt das komplizierte Regelwerk, das seit fast zwei Jahren zwischen dem Unternehmen im Nordverbund und der IG Metall Küste verhandelt wird. Dass man die Tarifregeln erneuern muss, da-rüber sind sich die Verhandlungsparteien grundsätzlich einig. Denn die Tarifsysteme stammen alle aus den 60er und dem Anfang der 70er Jahre. „Die betriebliche Wirklichkeit hat sich gerade in den letzten Jahren erheblich gewandelt“, konstatiert IG Metall-Küste-Chef Frank Teichmüller. „Bedingungen wie Gruppenarbeit oder Zielvereinbarungsvorgaben finden sich in den Tarifverträgen überhaupt nicht, Ackordentlohnung hat stark abgenommen.“ Die veralteten Eingruppierungskriterien, fortlaufend steigende Leistungsanforderungen, ihre Bewertung und die Notwendigkeit ständiger Qualifikation müssten daher neu geregelt werden.
Wer heute durch eine moderne Produktionshalle gehe, könne einen Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten nicht mehr ausmachen, argumentiert die Gewerkschaft. Die Zeiten der Weißkittel auf der einen und der verschmierten Klamotte als Merkmal für „den Arbeiter“ auf der anderen Seite seien überholt. Dennoch werden beide Gruppen unterschiedlich bezahlt, obwohl sie vielfach in Gruppenarbeit dieselbe qualifizierte Arbeit verrichten. So bekommt eine gelernte technische Zeichnerin mehr Gehalt als ein als Arbeiter gelernter Dreher, obwohl sie an einem Projekt arbeiten. Ein angestellter Industriemechaniker, der am Computer Konstruktionen entwickelt, bekommt nach der heutigen Gehaltsgruppe nahezu 300 Euro mehr Geld als ein hochqualifizierter Arbeiter an einer computergesteuerten CNC-Maschine.
Um dies zu ändern, soll ein ganz neues Tarifgefüge geschaffen werden. Wurde bei den NordmetallerInnen bislang nach einem numerischen Tarifsystem eingruppiert, sollen nun so genannte analytische Komponenten eingearbeitet werden. Basis: Alle Beschäftigten erhalten ein Leistungsentgelt, das aus Grundlohn und Leistungskomponente besteht. Mit dem Grundentgelt werde die normale Leistung abgegolten, zur Bewertung des Leistungsergebnisses sollen die Methoden Akkord, Prämie, Provision und Zielvereinbarungen einbezogen werden. So wird zum Beispiel der Begriff „körperlich schwere Arbeiten“ gestrichen, da er Frauen diskriminiert, weil damit bisher nach der Defintion nur Muskelkraft gemeint war.
„Die Eingruppierungsmerkmale sind ausverhandelt“, ist aus IG Metall Kreisen zu hören. Lediglich in der Frage der betrieblichen Mitbestimmung durch die Betriebsräte liegt derzeit noch der Knackpunkt, weshalb die Gewerkschaft nun zum Arbeitskampf rüstet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen