: „Schwesternsolidarität“ - weltweit?
Wer sich noch in letzter Minute über Weltmarktpolitik, Entwicklungsstrategien, IWF und die Folgen für die Frauen informieren will, der sei das jüngste Heft der 'Feministischen Beiträge‘ empfohlen ■ Von Ulrike Helwerth
Mit feministischer „Kopfarbeit“ gegen das „Theoriedefizit“ in der Frauenbewegung. Das waren die Vorstellungen einer Gruppe von Sozialwissenschaftlerinnen (Professorinnen, Assistentinnen und Studentinnen), die 1978 die erste Nummer der 'Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis‘ herausbrachten.
Sie hatten sich in Köln zum Verein für „Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis“ zusammengeschlossen, um gegen die „androzentrische Wissenschaftsmanipulation“ (Maria Mies) - sprich: die auf Männer ausgerichtete und von Männern beherrschte Forschung und Lehre - anzutreten. Um endlich „ernst zu machen mit der Erarbeitung einer Gesellschaftstheorie, die von der Frauenperspektive her alle gesellschaftlichen Verhältnisse im kapitalistischen Patriarchat analysiert, einschließlich des Verhältnisses zur 'Dritten Welt‘.“
Die 'Beiträge‘ feiern dieses Jahr ihr zehnjähriges Bestehen. Und wenn sie auch ihren anspruchsvollen Zielen nicht immer gerecht werden, bleibt dennoch unbestritten, daß die „erste größere theoretische feministische Zeitschrift in der Bundesrepublik auf manchen Gebieten immer wieder wichtige Denkanstöße in die feministischen Diskussionen getragen hat.
Erinnert sei zum Beispiel nur an Maria Mies‘ „Methodische Postulate zur Frauenforschung“, die in 'Beiträge‘ Nummer eins zum ersten Mal erschienen. In zahlreichen Frauenseminaren wurden sie zur Pflichtlektüre. Generationen von Diplomantinnen setzten sich in ihren Arbeiten damit auseinander, ob und wie sich die herrschende „wertfreie“, in Zahlen und Statistiken vernarrte, distanzierte Forschung in eine parteiische, aktiv teilnehmende verwandeln läßt, in eine, die die „Sicht von oben“ in eine „Sicht von unten“ kehrt, die sich in den Dienst der Unterdrückten stellt, die die „Forschungsobjekte“ in den Rang „forschender Subjekte“ hebt und sie in die Lage versetzt, sich die eigene Geschichte anzueignen und gleichzeitig zu verändern. Mit diesem ideologischen Rüstzeug zogen sie hinaus ins Feld zu ihren Forschungen und stellten alsbald fest, wie schwer sich die Theorie in die Praxis umsetzen läßt.
Zum Thema Frauenarbeit und ihrer Funktion für den Weltmarkt haben die 'Beiträge‘ immer wieder wichtige Erkenntnisse geliefert. Was andere Themen betrifft, die Mütterdiskussion etwa oder der Komplex Sexualität und Gewalt, schlief einer manchmal bei soviel korrekter Linie das Gesicht ein. Und warum hat es bis heute keine Auseinandersetzung mit dem militanten feministischen Widerstand gegeben? Mit den Lebens - und Arbeitsbedingungen von Frauen in der Dritten Welt, in Asien, Afrika und Lateinamerika haben sich die 'Beiträge‘ schon beschäftigt, als die hiesige Frauenbewegung den Internationalismus kaum entdeckt hatte. Die Zusammenhänge zwischen der „Hausfrauisierung“, der Arbeit und der Einbindung der Dritten Welt in den Weltmarkt, die Entwicklungsstrategien der internationalen Organisationen wurden dort schon diskutiert, als Weltbank und IWF noch Themen für kleine Zirkel waren.
Drei Mitgründerinnen der 'Beiträge‘, die Professorinnen Claudia von Werlhof, Veronika Bennholdt-Thomsen und Maria Mies faßten 1983 ihre Forschungsergebnisse zu diesem Bereich in dem Buch Frauen, die letzte Kolonie zusammen. Eine Arbeit, die der kritischen Auseinandersetzung mit Entwicklungstheorien und -strategien einerseits, mit dem Internationalismus andererseits eine feministische Dimension hinzufügte und Impulse nicht nur in verunsicherte Frauen -Solidaritätsgruppen trug, die unter ihrem „eurozentrischen Helferinnensyndrom“ litten. Auch wenn der später von Mies und Bennholdt-Thomsen verfochtene Öko-Feminismus, die Verklärung der Subsistenzarbeit, zahlreiche KritikerInnen auf den Plan rief.
IWF-Politik hautnah
Rechtzeitig zum IWF- und Weltbankkongreß in Berlin beschäftigt sich die jüngste Nummer (23) der 'Beiträge‘ erneut mit den Frauen in der Dritten Welt. Wieder einmal wird in verschiedenen Fallbeispielen aus Asien, Afrika und Lateinamerika nachgewiesen, daß die internationalen Entwicklungsstrategien und -programme weltweit zu einer Modernisierung der Ungleichheit (Titel) führen, von der Frauen besonders hart betroffen werden.
Christa Wichterich setzt sich am Beispiel indischer Stammesfrauen kritisch mit der Frage auseinander, ob heute die Subsistenzwirtschaft tatsächlich als Alternative zur patriarchalisch-kapitalistischen Geldwirtschaft verteidigt werden kann (vgl. taz 1.8.88)
Ebenfalls um Indien geht es im Aufsatz von Hildegard Scheu. Die Autorin hat die Entwicklung der dortigen Milchwirtschaft studiert, die 1970 unter dem Stichwort „Operation Flood“ mit Unterstützung der EG gestartet wurde. Frauen, bis zu diesem Zeitpunkt zuständig für die Milchproduktion, wurden durch dieses Entwicklungsprogramm zunächst daraus verdrängt, später dann teilweise wieder „integriert“. Frauen-Milchkooperativen entstanden, die jedoch mit zahlreichen Schwierigkeiten zu kämpfen und geringe Aussicht auf ökonomischen Erfolg haben. Um die „Strukturanpassung“, wie sie den meisten armen Ländern vom IWF und der Weltbank verordnet werden, vor allen Dingen aber um deren Folgen, geht es bei Claudia von Braunmühl. Sie beschreibt aus der Sicht der armen Frauen auf Jamaika, wie sich jene wirtschaftspolitischen Maßnahmen ins tägliche (Über-)Leben umsetzen, die sich hinter Begriffen wie „Deregulation“, „Austerität“, „Exportorientierung“ etc. verbergen. IWF-Politik hautnah.
Was hat Altkleidersammlung mit Unterentwicklung zu tun? Eva-Maria Bruchhaus legt die Zusammenhänge dar. Sie raubt uns damit jegliche Illusion, wir täten ein gutes Werk, wenn wir unsere ausrangierten Klamotten in die vom Roten Kreuz oder anderen wohltätigen Organisationen bereitgestellten Plastiksäcke vor der Haustür entsorgen. Wir tragen dabei leider nur zu einem knallharten Busineß bei. Ein Teil der Altkleider wird nämlich in die armen Länder verkauft, landet dort als begehrenswerte Second-Hand -Westware auf den Märkten und macht auf die Dauer die einheimische Textilindustrie kaputt.
Jutta Benninghausen und Birgit Kerstan haben sich mit Mitarbeiterinnen indonesischer Frauenprojekte unterhalten, über deren Vorstellungen und Emanzipation, über deren Ängste, als Feministinnen verschrien zu werden.
Ferner gibt es Beiträge über Frauen in einer matrilinearen Gesellschaft auf West-Sumatra, über den Überlebenskampf von Frauen im nördlichen Sahel in Mali, über Strukturanpassungspolitik und ihre Folgen für die Frauen in Nigeria, über Sozialreformen und Modernisierung in Mexiko, über die neue Landwirtschaftspolitik in China und die Frauenfrage, und noch einmal über den Kampf der Arbeiterinnen in der Adler-Filiale „Flair-Fashion“ in Süd -Korea. Außerdem stellt die „Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexistische und rassistische Ausbeutung“ (AGISRA) ihre Arbeit vor.
Als Einstieg in das neue Heft sei ein Aufsatz empfohlen, der ziemlich weit hinten unter der Rubrik „Diskussion“ zu finden ist. Chandra Taplade Mohanty, schwarze Soziologin, nimmt darin sehr kritisch das Bild der „Dritte -Welt-Frau“ auseinander, wie es in so manchen Schriften westlicher Feministinnen zu finden ist, leider auch manchmal in 'Beiträge‘. Ein Bild, das dazu neige, die historischen, materiellen und kulturellen Unterschiede von Frauen in der Dritten Welt einzuebnen und durch eine überkulturell einheitliche Vorstellung von Patriarchat oder männlicher Vorherrschaft zu ersetzen. „Ich behaupte, es gibt diesen universellen patriarchalen Rahmen nicht, gegen den diese Theorien argumentieren - es sei denn, jemand postuliert eine internationale männliche Verschwörung oder eine monolithische ungeschichtliche Machthierarchie“, schreibt die Autorin. Durch die Gleichmacherei „vereinnahmen westliche Feministinnen die grundlegende Komplexität und die Konflikte, die die Leben der Frauen in diesen Ländern ausmachen, und 'kolonisieren‘ sie“. Die Definitionsmacht des westlichen Feminismus müsse im Zusammenhang mit der weltweiten Vorherrschaft westlicher Theorien betrachtet werden. Viele Frauen in der Dritten Welt stünden der These „Wir sind alles Schwestern im Kampf gegen das Patriarchat“ daher eher mißtrauisch gegenüber. Denn „über Frauensolidarität hinaus gibt es eben immer noch Rassismus, Kolonialismus und Imperialismus“.
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