: „Barco hat noch eine Chance“
Der kolumbianische Sozialwissenschaftler Jorge N. hat sich intensiv mit dem Drogenhandel beschäftigt / Er bleibt im Interview lieber anonym ■ I N T E R V I E W
taz: Kolumbiens Präsident Virgilio Barco hat eine große Offensive gegen die Kokainmafia begonnen. Hat er Aussicht auf Erfolg?
Jorge N.: Das hängt in erster Linie von der Fähigkeit des Präsidenten ab, die Bündnisse von Teilen der Streitkräfte mit der Drogenmafia aufzubrechen. In den letzten Jahren ist es zu verdeckten Allianzen zwischen einigen Brigaden und Bataillonen einerseits und dem Drogenhandel andererseits gekommen. Das Ergebnis sind paramilitärische Gruppen und Todesschwadronen, die gegen die kommunistische Guerilla kämpfen. Seit März 1989 sind diese Bündnisse teilweise ins Wanken gekommen, da der Staat damit begonnen hat, die Paramilitärs anzugreifen. Bisher sind jedoch nur wenige Gruppen in den Streitkräften wirklich angetastet worden.
Es könnte also zur Zeit ein ernsthafter Machtkampf innerhalb der Streitkräfte stattfinden?
Wir nehmen an, daß es solche Spannungen und Konflikte tatsächlich gibt. Es ist bekannt, daß etwa die Geheimpolizei und Teile der Führungsspitze der Polizei gegen die Bündnisse mit der Drogenmafia und die Korruption in den Streitkräften sind. In der Armee ist dagegen bisher die Allianz mit den Paramilitärs und zum Teil mit der Mafia ausschlaggebend gewesen.
Hat Präsident Barco überhaupt die Möglichkeit, sich gegen die Korruption durchzusetzen?
Er hat Chancen: Ihm bleibt noch ein Amtsjahr, die Öffentlichkeit steht hinter ihm, und die USA üben massiven Druck aus. Andererseits spielen die Gelder der Mafia in der kolumbianischen Wirtschaft eine wichtige Rolle. Die Justiz ist effektiv nicht dazu fähig, die Gesetzgebung gegenüber der Mafia durchzusetzen. Die Bourgeoisie hat aus den Gewinnen des Drogenhandels ihren Nutzen gezogen - etwa indem sie den Kokainbaronen Landgüter verkaufte und das Geld dann ins Ausland brachte. Aber auch die USA müßten ihre Strategie ändern. Bisher wurde dafür gesorgt, daß mindestens drei Viertel des akkumulierten Kapitals der Drogenmafia, 15 Milliarden Dollar, im nordamerikanischen Finanzsystem verbleibt und so dazu beiträgt, das Defizit in der Außenhandelsbilanz der USA zu verringern. Zudem haben die USA die Bündnisse zwischen der Armee und der Mafia unterstützt, weil sie in die Logik des kalten Krieges gegen die kommunistische Guerillabewegung paßten.
Ist die Mafia durch die Offensive der letzten zwei Wochen ernsthaft angeschlagen?
Die Güter, die bisher beschlagnahmt wurden, sind höchstens 400 Millionen Dollar wert. Bei einem geschätzten Gesamtkapital der Drogenmafia von 20 Milliarden Dollar macht das nur zwei Prozent aus. Die Mafia ist auf keinen Fall geschlagen.
Sie wird auch in Zukunft nicht zu schlagen sein?
Solange es in den USA einen Kokainmarkt von über 100 Milliarden Dollar gibt, wird der Drogenhandel nicht aufhören. Und sollte er in Kolumbien abnehmen, würde er in anderen Ländern Südamerikas zunehmen. Es ist wie ein Krebs, der Metastasen treibt. Man kann ihn hier operieren, aber er wird woanders wieder auftauchen. Für mich wäre die einzige wirkliche Lösung die weltweite Legalisierung des Drogenkonsums. Die Gewinne würden sinken, der kriminelle Rauschgifthandel ein Ende finden.
Interview: Ciro Krauthausen
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