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Apartheid is still alive

■ Ein Paradies und seine Vertriebenen: Rassismus in Südafrika

Hubert Hammes APARTHEID IS STILL ALIVE

Ein Paradies und seine Vertriebenen: Rassismus in Südafrika

Südafrika ist ein wunderbares Land.

Zum Beispiel Knysna, das Ferienparadies mit seinen 31.000 Einwohnern. Die hübsche saubere Kleinstadt am Indischen Ozean genießt Reputation als eine der schönsten Städte des Landes. Touristen kommen her, wenn sie die „Garden Route“ entlang der Küste von Kapstadt nach Durban nehmen. Die ersten Siedler haben sich 1799 diesen idyllischen Platz ausgesucht, wo der Knysna River in eine Lagune mündet. Mächtige Felsen flankieren die schmale Einfahrt in den natürlichen kleinen Hafen. Zwei Inseln schmücken das blau glitzernde Wasser der Lagune. Angler kommen her, Surfer und Sonnenanbeter - nie genug, um die langen weißen Sandstrände zu übervölkern. Schnorcheln und Wasserski sind populär, und wer das Wasser nicht mag, auf den warten Berge und ausgedehnte Wälder mit Wanderwegen durch stille, überwältigend schöne Natur. Einen Teil des Staatswaldes haben die Siedler von Knysna „Garten Eden“ getauft. Ein Schild am Straßenrand weist den Weg.

Und selbst das Städtchen ist nicht ohne Reiz. Die kleinen Geschäfte an der Hauptstraße offerieren Schmuck aus Muscheln, Antiquitäten und Möbel aus Stinkholz, diesem langsam gewachsenen dunkelbraunen Hartholz aus den Wäldern der Umgebung. (Der Name besteht zu Unrecht, der typische Geruch des Holzes verflüchtigt sich bald.) In den gemütlichen Coffee Houses und Milkbars lassen sich Stunden verplaudern, die Restaurants servieren Austern und Hummer. Und wer sich für immer paradiesisch niederlassen will in Knysna, der pickt sich aus den bebilderten Angeboten in den Schaufenstern der Immobilienfirmen das eine oder andere Juwel heraus: die alte Villa für 155.000 Rand oder die 70 -Hektar-Farm mit dem zweistöckigen reetgedeckten repräsentativen Landhaus für 450.000 Rand. Denn auch außerhalb der Saison ist das Leben in Knysna angenehm, das Klima mild. „Sunny South Africa“

Die Touristen belohnen dieses gefällige Arrangement, das Natur und Geschäftssinn getroffen haben. Allein im letzten Dezember, dem Höhepunkt der Sommersaison, kamen an die 80.000 Besucher durch Knysna. Von den ausländischen Gästen waren die meisten Bundesdeutsche, hervorragende Botschafter des rundherum freundlichen „Sunny South Africa“. Eben Südafrika ist ein wunderbares Land, und der Rand steht günstig.

Aber das Paradies hat seine Vertriebenen. Deren Elend belassen die Gastgeber sorgsam im Verborgenen. Die Wege zu ihren Ghettos sind in keinem Touristenführer verzeichnet. Und überhaupt, wer wollte sich in seinen „schönsten Wochen des Jahres“ mit dem „Unglück“ seiner Gastgeber beschweren?

Über 24.000 Einwohner von Knysna sind Schwarze und Farbige, also mehr als zwei Drittel. Touristen lernen sie allenfalls als dienstbare Geister kennen und schätzen. Sie sind wie überall in Südafrika die Opfer des Apartheidsystems, das sie aus der Lebensgemeinschaft der weißen Minorität ausschließt, oft sogar auch aus der Arbeitsgemeinschaft. Schwarze und Farbige müssen separiert von den Weißen wohnen. Ihre Armut hält sie abseits, wo Zugang zu öffentlichen Einrichtungen erlaubt ist. So bleiben die Weißen an den Stränden weitgehend unter sich, denn nur sie haben die Autos, um hinzukommen. Weiße sind unter sich in den Restaurants, denn nur sie haben das Geld, um 50 Rand für ein Dinner für Zwei auszugeben. Und welcher schwarze Familienvater kann schon die vier Rand für einen Besuch im Kino abzweigen, wenn er weniger als 400 Rand im Monat verdient? So wirkt die Apartheid im Kleinen weiter, obwohl einige ihrer Gesetze abgeschafft sind. Schwarze und Farbige kommen nur zum Arbeiten in die hübsche kleine Welt von Knysna, und als Konsumenten. Ihr Geld ist lebenswichtig für die Geschäftsleute der Stadt.

Daniel weist den Weg in die Dritte Welt von Knysna. Sie liegt außerhalb der Stadt, wo die Wege nicht mehr geteert sind und ein Auto sich durch Schlaglöcher quälen muß. Bei Regen schießt das Wasser durch die Furchen bergab und erschwert Menschen und Fahrzeugen das Fortkommen auf dem glitschigen Grund. Vorbei an der Sägemühle wird hinter einigen Kurven die Schwarzensiedlung Joodsekamp sichtbar. Für Weiße ein unbekannter Fleck. Und so soll es sein. Daniel ist hier geboren, vor 30 Jahren, in einer der Holzbaracken. Seine Eltern hatten sie gebaut, als sie in den vierziger Jahren herkamen, um wie andere schwarze Familien ihr Elend am Hang des Berges anzusiedeln, mit herrlichem Blick auf die Lagune und den Ozean. Sie kauften Nägel und Bretter von der Sägemühle, holten einige dünne Stämme aus dem Wald nebenan, sammelten Pappe und Zeitungspapier. Neun Personen lebten fortan in der Baracke mit ihren sechs kleinen Räumen ohne Bad, das Klo draußen.

Daniel zeigt auf eine Holzhütte schräg gegenüber seinem Geburtshaus, wo eine junge Frau mit einem barfüßigen Kind auf dem Arm im schmalen Türrahmen steht. „Das ist meine Familie“, sagt er, „und mein Haus.“ Vor drei Jahren hat er es gebaut, genau wie seine Eltern ehedem. Frau und Freunde halfen ihm, den Zementfußboden zu gießen, die Fenster in die Holzwände einzupassen, das Wellblechdach auf den Rahmen zu legen und die Wände innen mit Pappkarton zu vernageln. Zeitungspapier als Tapetenersatz, mit hellblauer und weißer Farbe angestrichen, gab der Baracke den letzten Schliff. „In drei Tagen waren wir fertig“, sagt Daniel und zeigt in die vier Räume, gerade groß genug für die karge Möblierung. Zwei Betten, einen Schrank, Tisch und Stühle, Sofa und Sessel zu erstehen, das kostete mehr Zeit und Geld. Die Familie benutzt das Klo seiner Eltern gegenüber. Zwangsumsiedlung

Daniel ist stolz auf sein Heim, die Baracke. Sie ist sein einziger Reichtum. Denn in Südafrika, einem der reichsten Länder der Welt, haben Schwarze kaum Zugang zu Hausbesitz. Und selbst ein Dach über dem Kopf ist keine Garantie für Sicherheit. Seit 1960 hat die rassistische Regierung über 3,5 Millionen Schwarze umgesiedelt. Der Massen-Kehraus soll Südafrika einen weißen Anstrich geben, in dem Schwarze nur in bestimmten Regionen leben, immer weit genug weg, um ihr Elend unsichtbar zu machen. Diese Strategie gibt Raum für weiße Ausflüchte: Wir wissen nichts von schwarzer Armut.

Daniel ist einer von den rund 300 Bewohnern der Hütten von Joodsekamp. In der nächsten Touristensaison wird es auch sie vielleicht nicht mehr geben. Vor einem Jahr kursierten die ersten Gerüchte von einer Zwangsumsiedlung. Inzwischen ist es amtlich: Die Leute von Joodsekamp sollen weg. Noch weiter außerhalb der Stadt, noch weiter weg von ihren Arbeitsplätzen hat die Stadtverwaltung die neue Heimat „Bantu Township“ geplant, mit winzigen Drei-Zimmer -Holzhäuschen in Einheitsbauweise für eine durchschnittliche Familiengröße von fünf bis sechs Personen. Die beiden Prototypen sprechen allen Grundsätzen menschenwürdigen Wohnens Hohn, erinnern eher an komfortable Hundehütten als an Behausungen für kinderreiche Familien.

Während die Stadtverwaltung von Knysna ohne Angabe von Gründen auf der Zwangsumsiedlung beharrt und alle Vorbereitungen trifft, halten die Bewohner von Joodsekamp an ihrer Heimat fest. Sie wollen, daß die Stadt die Infrastruktur ihrer Siedlung verbessert. Sie haben nie Elektrizität bekommen. Sie haben keine Kanalisation, keine Müllabfuhr, keine Schule, nur einen Kindergarten. Sie sind bis heute gezwungen, ihre Toiletten selbst zu graben, mit Kerzen für Licht zu sorgen, auf Paraffinöfen zu kochen und den Müll den Abhang hinunterzuwerfen, wo wenige Schweine nach Verwertbarem suchen. Nahebei haben die Kinder ihren Spielplatz, ein Rasengrund, auf dem sie Fußball spielen.

Die einzige Unterstützung von der Stadt ist die tägliche Wasserration. Ein Tankwagen liefert das Wasser für die zwei Zisternen am Rand der Siedlung. Frauen und Kinder tragen die Last in Eimern auf ihren Köpfen heim. „Aber um zwei am Nachmittag sind die Container leer“, sagt Daniel, „und wir müssen warten, bis der Laster am nächsten Morgen wiederkommt oder von weiter weg Wasser holen.“

Irgendeine Aussicht auf bescheidenen Wohlstand haben die Einwohner von Joodsekamp so oder so nicht. Die meisten sind ohne Arbeit oder nur während der Feriensaison in Hotels und Restaurants beschäftigt, ohne soziale Absicherung. Wer Arbeit hat, verdient wenig. „Ein Bauarbeiter mit zehn Jahren Erfahrung bekommt nicht mehr als 90 Rand in der Woche“, weiß Daniel, „und sie arbeiten zum Teil zwölf Stunden am Tag.“ .Von den Frauen kann froh sein, wer eine Stelle als Putzfrau oder Haushaltshilfe findet. Sie lassen meist ihre eigenen Kinder unbeaufsichtigt oder mit der Großmutter zu Hause zurück, um die Kinder der weißen Familien zu behüten, für rund 150 Rand im Monat.

Viele gehen zu Fuß von Joodsekamp in die Stadt hinunter, eine halbe Stunde und länger. Daniel macht die Rechnung auf: „Der Bus pro Tag kostet soviel wie ein Brot, 70 Cents“. „Bantu Township“

Daß der Stadtverwaltung durchaus Geld zur Verfügung steht, um auch den schwarzen Bürgern ihrer Stadt menschenwürdiges Wohnen zu ermöglichen, hat sie schon bewiesen. Für die Infrastruktur der „Bantu Township“ hat sie eigens ein Stück Wald roden lassen, Straßen und eine Kanalisation sind gebaut, elektrische Leitungen gelegt, für Straßenlampen zumindest. Diese bei den Betroffenen unwillkommene Neuinvestition hat die Stadt sich 13 Millionen Rand kosten lassen. Sogar eine Schule ist im Bau. Aber die Leute von Joodsekamp fürchten, das gleiche Schicksal zu erleben wie Millionen vor ihnen: Von den Versprechungen auf bessere Lebensqualität blieb meist nichts übrig. In „Bantu Township“ wird ein Haus 8.000 Rand kosten, zu viel und nicht mal auf Raten bezahlbar. So formiert sich seit Monaten stiller Widerstand in Joodsekamp, wo niemand Miete für seine Hütte zahlen muß. Ein Teil des Grundes gehört der Stadt, der Rest dem Besitzer der Sägemühle.

Unterstützt werden die Bewohner von einigen sozialen Organisationen am Ort. Die haben Erfahrung in Sachen Zwangsumsiedlungen, mit denen lokale Verwaltungen schwarze in weiße Gebiete umwandeln wollen. In Knysna ist die Misere der Leute von Joodsekamp kein Einzelfall. Neun andere Gemeinschaften in der Umgebung sind ebenfalls von dem großen Kehraus der Apartheidvollstrecker bedroht. Beleg dafür, daß Schwarze nach wie vor Verschubmasse sind im Südafrika der Rassisten, aller Reformversprechungen der Regierung zum Trotz.

Dabei ist Südafrika ein wunderbares und ein reiches Land. Es könnte Paradies für alle sein. Daniel: „Apartheid in South Africa is still alive and very well.“

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