: Fehlerhafte Klimamodelle
Aus Schwefelemissionen entstehen in der Atmosphäre winzige Schwebteilchen / Sie verschleiern den Treibhauseffekt / Von den Klimaforschern sind sie bisher nicht beachtet worden ■ Von Beate G. Liepert
Das globale Klimamodell des Hamburger Max-Planck-Instituts (MPI) für Meteorologie ist wohl das physikalisch am weitesten entwickelte Modell seiner Art. Es verspricht uns eine globale Temperaturerhöhung von zwei bis fünf Grad bis zum Jahre 2100 bei einer Zunahme der Emissionen von Treibhausgasen wie bisher aus Industrie, Verkehr und Haushalt. „Business as usual“ nennen die Hamburger dies Szenario. Insgeheim fragt sich jeder: Wann merkt man denn zum erstenmal selbst etwas davon? Stecken wir doch im Jahr 1994 schon mittendrin in einer weltweiten Zunahme der Treibhausgase. Die Konzentration von Kohlendioxid, nach Wasserdampf das wichtigste klimarelevante Spurengas, erhöhte sich seit dem 18. Jahrhundert um über ein Viertel. Die globale Mitteltemperatur liegt inzwischen um etwa 0,7 Grad über dem Wert von 1860. Innerhalb desselben Zeitraums hat die Masse der Inlandsgletscher in den Alpen um etwa 50 Prozent abgenommen.
In dem komplexen System Erde/Atmosphäre spielt die Weltmitteltemperatur eine ähnliche Rolle wie die Fieberkurve des Menschen. Auch sie wird nur an wenigen Stellen des Körpers gemessen, und trotzdem ist die Temperatur hilfreich für die Diagnose.
Der Meteorologe Thomas Karl vom Nationalen Klimadatenzentrum der USA ist einer der prominentesten „Fiebermesser“ der Erde. Zusammen mit seinem Kollegen George Kukla, Klimaexperte an der Columbia-Universität in New York, hat er eine umfangreiche Untersuchung durchgeführt: Sie haben die Daten der letzten 50 Jahre von über 2.000 Wetterstationen auf der Nordhalbkugel gesammelt und ausgewertet. Sie analysierten nicht die Mittelwerte der Temperatur, sondern konzentrierten sich auf die Lufttemperaturdifferenz zwischen Tag und Nacht. Zu ihrer Überraschung zeigte die Auswertung eine Temperaturzunahme nur in der Nacht, die Maximaltemperaturen am Tag hingegen blieben konstant. Eine Ursache, so vermuten Karl und Kukla, könnte die – global gesehen – vermehrte Wolkenbildung sein, was zumindest die Unterschiede zwischen Beobachtung und Modell leicht erklärt; ist doch gerade die Wolkensimulation eine der Hauptunsicherheiten der Klimamodellierung. Zusätzliche niedere und mittelhohe Wolken würden während des Tages die Sonneneinstrahlung vermindern und dadurch die Lufttemperatur herabsetzen. In der Nacht allerdings wirken zusätzliche Wolken wie Treibhausgase: Sie behindern die Wärmeabstrahlung vom Erdboden. Der zuerst genannte Effekt wirkt einem anthropogenen Treibhauseffekt jedoch entgegen. So bliebe letztendlich eine bodennahe Temperaturzunahme in der Nacht übrig, und dies ist genau das, was Karl und Kukla gemessen haben. Aber wieso sollte es gerade mehr Wolken geben? Das ist zur Zeit eine der brennenden Fragen der Klimaforschung, und man wird sich wohl noch länger über die richtige Antwort streiten. Die Hardliner unter den Meteorologen behaupten, daß rein statistische Schwankungen der allgemeinen Zirkulation der Atmosphäre eine Wolkenzunahme bewirkt haben. Die Voraussetzungen für Wolkenbildung sind das Vorhandensein von Kondensationskernen und genügend Wasserdampf. Einig sind sich die Experten darüber, daß bei einer globalen Temperaturzunahme, wie sie durch den Treibhauseffekt auftritt, der Wasserdampfgehalt der Atmosphäre zunehmen wird. Die Klimamodelle sagen jedoch sowohl Zunahmen als auch Abnahmen der Bewölkung voraus, je nach Ort und Höhe. Eine eindeutige Antwort auf diese Frage können die Modelle derzeit noch nicht geben.
Einen neuen Aspekt bekam die Klimadebatte durch die Frage nach der Wirksamkeit der Aerosole. Aerosole sind feste und flüssige Bestandteile der Atmosphäre in der Größenordnung einiger Tausendstelmillimeter. Sie sind das, was man hauptsächlich an Smogtagen in der Stadt als „braune Suppe“ sieht. Diese meist kleineren Teilchen entstehen hauptsächlich aus Abgasen von Industrie und Verkehr. Vor allem sind es die Schwefelverbindungen, die als Sulfat-Aerosole in die Atmosphäre gelangen; etwa die Hälfte der Schwefelemissionen von jährlich rund 70 Millionen Tonnen werden in klimarelevante Aerosole umgewandelt. Die mikroskopisch kleinen Partikel können auf zweierlei Weise auf das Klima einwirken: Bei klarem Himmel entfalten Aerosole eine direkte Wirkung, indem sie das von der Sonne kommende Licht zurück in den Weltall streuen, bevor es den Erdboden erreicht. Ein weiterer, indirekter Kühleffekt wird durch ihre Rolle als Kondensationskerne bei der Bildung von Wolken hervorgerufen. Eine Zunahme der Aerosole bewirkt nicht nur eine verstärkte Wolkenbildung, sondern auch eine Veränderung der Wolkentropfen hin zu kleineren Tröpfchen. Diese Wolken wirken zwar optisch dunkler, bringen aber weniger Niederschlag.
In welchem Ausmaß die Aerosole Einfluß auf das globale Klima haben, ist noch weitgehend ungeklärt. In den bisher erarbeiteten Klimamodellen ist die global unterschiedliche Verteilung der Aerosole noch gar nicht enthalten. Eine Herausforderung für die Klimaforscher sind die Aerosole allemal – doch bis ihr wahrer Einfluß auf das Weltklima eindeutig feststeht, so lange dürfen die Umweltpolitiker nicht warten.
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