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Eine Seiltanzschule für Nashörner

■ Behinderte und Nichtbehinderte in der Herrmannsburg wollen zusammen bleiben und eine Schule gründen

Gestern im Bremer Rathaus: Verleihung des Bremer Literaturpreises an Elfriede Jelinek. Draußen vor der Tür, in der Eiseskälte: 20 Schulkinder, von ihren Eltern eigenmächtig vom Unterricht befreit. Sie zeigen ein Plakat, darauf ist eine Nashorn gemalt und: „Elfriede Jelinek, wir gratulieren“. Warum schwänzen Bremer Schulkinder, um einer österreichischen Dichterin zu gratulieren? Ganz einfach: Frau Jelinek wird demnächst ihre Lehrerin sein. Genauso wie Herr Quadflieg, Herr Peter Paul Zahl, Herr F.K. Waechter, Herr Kresnik und knapp 50 weitere Größen. In der sog. „Schule der Nashörner“.

Die Kinder der Klasse 5a der Schule Hermannsburg in Huchting sind berühmt. Seit Jahren kämpfen sie, ihre Eltern und Lehrer um etwas, wofür eigentlich Bremen kämpfen müßte: das „Kooperationsmodell“. Behinderte und Nichtbehinderte gehen in dieselbe Klasse. Das international vielbeachtete Bremer Integrationsmodell ist aber dauernd bedroht, weil an dieser Ecke lieber gespart wird als an anderen.

Schon Ende 1994 fehlten Klassenzimmer, die Behinderten sollten zurück in die Sonderschule. Demonstrativ schrieben die Kinder eine Zeitlang nur noch Fünfen, um auch Sonderschüler zu werden - und so mit ihren Freunden zusammenbleiben zu können. Es gab Versprechungen von Henning Scherf und einen Zwischenerfolg - doch heute heißt es, daß nun nach Klasse 6 Schluß sein soll mit der teuren Kooperation. Jetzt haben die Kinder die Nase voll: Sie werden einen Klassenraum besetzen und eine eigene Schule machen!.

„Nashorn“ heißt ihre Klassenzeitung. Mitarbeiter dieser Zeitung sind lauter bekannte Schriftsteller, Theaterleute und Musiker, die sich gern hinter den Kampf der Klasse gestellt haben. Letzten Monat bekamen die einen Fragebogen. „Ja, ich will Lehrer(in) an der Schule der Nashörner werden, für wenigstens einen Tag. Ich unterrichte ... zu den Themen ... Ich bin darüber informiert, daß der Unterricht in besetzten Räumen stattfinden wird. Aber das macht mir nichts. Unterschrift...“

Die Aktion wurde ein großartiger Erfolg. Hans Kresnik („Theater und Tanz zu Anarchie und Solidarität“), Mauricio Kagel („Widerstandslieder“), P.P.Zahl („Raggae, billige karibische Gerichte“), Will Quadflieg („Faust I und II“), Günther Wallraff („Tischtennis, Seiltanzen, Steinmobilés, Reportage“) und viele viele andere wollen mitmachen. Und eben Elfriede Jelinek, die sich gestern nachmittag mit den „Nashörnern“ auf einen Kakao traf. BuS

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