: Verwirrspiel um Tonbandprotokolle
Im Mordprozeß gegen Monika Weimar präsentiert die Nebenklage vermeintlich verschwundene Akten: Deren Verlesung hatte die Verteidigung aber schon im ersten Prozeß 1987 vergeblich gefordert ■ Von Heide Platen
Zwei Monate lang hörte die Bad Hersfelder Polizei mit, von Anfang September bis Ende Oktober 1986. Sie erhoffte sich von der „Telefonischen Überwachung“ (TÜ) Beweismaterial gegen die des Mordes an ihren beiden Töchtern Melanie (7) und Karola (5) verdächtige Monika Böttcher, die damals noch Weimar hieß.
Die Kripo hörte auch den Telefonanschluß des Ehemanns Reinhard Weimar ab. Der war nach der Beerdigung der beiden Kinder zu seinem Bruder ins Nachbardorf gezogen und stand 1986 ebenfalls zeitweilig unter Mordverdacht. Seine Frau hatte ihn der Tat beschuldigt, nach wochenlangem Schweigen. Weimar ist nun Nebenkläger im Wiederaufnahmeverfahren vor dem Gießener Landgericht.
In Gießen spielen die Protokolle der Telefonüberwachung eine große Rolle. Sie schienen verschwunden, unterdrückt gar, tauchten wieder auf – und sollen nun im nachhinein das Motiv der Monika Böttcher liefern.
So sieht es jedenfalls der Anwalt und Nebenklagevertreter Bernd Schneider. Er beantragte am 9. Verhandlungstag, knapp vor den Gerichtsferien, die TÜ-Protokolle zu verlesen. Begründung: Die Protokolle würden die 1988 zu lebenslanger Haft verurteilte Böttcher belasten.
Es sei ihr bei Telefonaten mit ihrem damaligen Liebhaber, dem US-amerikanischen GI Kevin Pratt, nicht um „Trost im Zusammenhang mit dem Tod ihrer Kinder“ gegangen, „sondern ausschließlich um die Aufrechterhaltung ihrer Liebesbeziehung“. Dies finde „nicht zuletzt in dem artikulierten Wunsch der Angeklagten circa sechs Wochen nach dem Tod der Kinder Ausdruck, von dem Zeugen Pratt schwanger zu sein“.
Nebenklagevertreter Schneider hatte viel Wind um die Protokolle gemacht. Sie seien völlig überraschend aufgetaucht und bisher aus unerfindlichen Gründen verschwunden gewesen. Gefunden habe er die Papiere ausgerechnet in den von den Böttcher-Verteidigern erstrittenen Polizeiakten, Nebenakte Band II. Die Bad Hersfelder Kriminalpolizei mußte daraufhin diese Akte auf gerichtliche Anordnung aus ihrem Keller in den Gerichtssaal bringen.
Mit Blick auf die TÜ griff Schneider auch einen der beiden Gutachter an, den Gießener Psychiatrieprofessor Willi Schumacher, der 1987 im ersten Verfahren gegen Böttcher vor dem Fuldaer Landgericht „Hörigkeit“ als Mordmotiv ausgeschlossen hatte. Und er machte einen weiteren Tatverdächtigen aus: Kevin Pratt habe „Fluchtpläne geschmiedet“, weil er seine Verhaftung befürchtet habe.
Ein Wiederaufnahmeverfahren bedarf neuer Beweise. Der vorausgegangene Prozeß, das Urteil haben dann für das Gericht als nicht gewesen zu gelten.
JournalistInnen allerdings sind daran nicht gebunden. Sie machen sich Notizen und bewahren diese manchmal auch lange auf. Rückblick auf den 12. Dezember 1987: Nach der Mittagspause beantragen die Anwälte von Monika Weimar im Fuldaer Landgericht die Verlesung der TÜ-Protokolle. Sie hatten in ihnen ebenso wenig Belastendes gegen ihre Mandantin entdecken können wie die Staatsanwaltschaft und erhofften sich Erkenntnisse über die Glaubwürdigkeit von BelastungszeugInnen aus der Nachbar- und Verwandtschaft. Gruppendynamische Prozesse hätten deren Aussageverhalten bestimmt.
Es wurde viel telefoniert in jener Zeit in Röhrigshof-Nippe. Klatsch und Tratsch war dabei, Vermutungen, Gerüchte. Die beiden verfeindeten Familien von Monika und Reinhard Weimar ließen kein gutes Haar aneinander. Aufgezeichnet waren auch Gespräche des Eheleute mit ihren Rechtsanwälten.
Der damalige Staatsanwalt Wachter sträubt sich vehement gegen die Verlesung, da sie ein „Personengutachten über Zeugen durch die Hintertür“ bedeuten würde. Er meldet außerdem erhebliche rechtliche Bedenken an, weil „die Interessen Dritter“, zum Beispiel der pausenlos mit den Familien Weimar und Böttcher telefonierenden Presse- und Fernsehjournalisten, tangiert werden könnten. Monika Weimars Verteidigung besteht auf der Verlesung.
Staatsanwaltschaft und Verteidigung werfen sich gegenseitig die Vernichtung der Bänder vor. Zwei Monate vor Beginn des ersten Prozesses hatte der damalige Staatsanwaltschaft verfügt, die Bänder bis auf zwei zu löschen. Abschriften waren aber, so die damalige Verteidigung, vorhanden. Das Gericht lehnt schließlich den Antrag auf Verlesung ab.
So verschwunden, wie die Nebenklage nun im Juli vor dem Gießener Landgericht annahm, können die Protokolle nicht gewesen sein. Falsch ist also auch die Behauptung, sie seien im Fuldaer Prozeß 1987/88 „mit keinem Wort erwähnt worden“, wie der Spiegel schrieb.
Die Auszüge aus der TÜ, die die Nebenklage in Gießen zitiert hat, lassen vor allem erkennen, daß sich Monika Böttcher damals an Kevin Pratt klammerte. Der traf sie heimlich. Sein Kommandeur hatte eine Kontaktsperre angeordnet und Pratt nach kurzem Arrest mit weiteren Sanktionen gedroht. Pratt fürchtete, so die Verteidigung von Monika Böttcher, ins Gefängnis zu kommen. Außerdem stand der Termin für seine Rückkehr in die USA fest. Auch deshalb fürchtete er Schwierigkeiten und bat seine Freundin, der Polizei davon nichts zu sagen. Er wähnte sich außerdem ebenfalls unter Tatverdacht und sagte zum bevorstehenden Abschied: „Ich weiß, es ist lange, aber 15 Jahre sind sehr viel länger, okay?“
Darüber läßt sich nun trefflich rätseln, ebenso wie über Sinn oder Unsinn der damaligen Überwachungsaktion. Da ist zum Beispiel im Hintergrund die Stimme von Reinhard Weimar zu hören: „Wir werden wahrscheinlich abgehört. Das weiß ich zufällig von...“ Dann wird aufgelegt. Das, stellt Rechtsanwalt Gerhard Strate lapidar fest, „verändert den Wert einer TÜ“. Der damals die Ermittlungen leitende Beamte, Rolf-Jürgen Becker, sagt dazu im Zeugenstand: „Da gebe ich Ihnen allerdings recht.“ Im übrigen, sagt er dann, habe auch Pratt den Verdacht gehabt, abgehört zu werden. Durch einen technischen Fehler habe es in der Leitung „ein Knacken“ gegeben, das dann abgestellt wurde.
Im Gießener Wiederaufnahmeverfahren geht es immer wieder um die Qualität der Ermittlungsarbeit der Hersfelder Kripo insgesamt. Das Mienenspiel von Oberstaatsanwalt Böcher wechselt während der Vernehmung der Hersfelder Polizeibeamten häufig: betroffen, trübe, fast angewidert. Der damalige Leiter der Sonderkommission, Becker, ist heute Chef der Bad Hersfelder Kriminalpolizei. Er hat sich gegen die Verteidigung gewappnet. Immer wieder beteuert er, man habe auf keinen Fall einseitig gegen Monika Böttcher ermittelt.
Kontroversen seien erst entstanden, als der später abgesetzte Staatsanwalt Sauter entschieden habe, Monika Böttcher wieder auf freien Fuß zu setzen und statt dessen ihren Ehemann festzunehmen. Fast die gesamte Sonderkommission hatte sich da schon auf Monika Böttcher als Tatverdächtigte festgelegt und ein Geständnis von ihr erwartet – statt dessen belastete sie ihren Ehemann.
Dienstliche Vermerke, die intern kursierten, wurden zu Waffen, mit denen sich die Beamten gegenseitig bekämpften. Ein inzwischen pensionierter Kriminalbeamter sagt im Zeugenstand, er sei „froh“, daß er „die Zeit bei der Hersfelder Kripo ohne Schaden überstanden“ habe. Becker indes will bis heute von Einseitigkeit nichts wissen. Er erinnert sich bis heute, daß er sich trotz gegenteiliger Auffassungen über den möglichen Täter mit Staatsanwalt Sauter gut verstanden habe. Außerdem, das betont er immer wieder, sei „die Staatsanwaltschaft der Herr des Ermittlungsverfahrens“.
Böcher wird bissig. In noch keinem Verfahren habe er diese Beteuerung von Polizeibeamten „so oft gehört wie hier“. Monika Böttcher war 1986 immer wieder als Zeugin zu Vernehmungen geholt und lediglich über ihre Rechte als Zeugin belehrt worden, obwohl sie, so ihre Verteidiger, als Beschuldigte galt. Böcher will nun wissen, wie das geschehen konnte. Die wirren, ausweichenden Erklärungen des Zeugen Becker kommentiert er: „Das ist ein Vorgang, den ich so bei einer Vernehmung eines Polizisten noch nie gehört habe.“ Das Verfahren, windet sich Becker auf Nachfragen von Böttchers zweitem Verteidiger, Uwe Maeffert, sei eben „so komplex, so widersprüchlich“ gewesen. Maeffert: „So schwer aufklärbar?“
Oberstaatsanwalt Böcher wundert noch anderes. Da ist ohne Auftrag observiert worden, zum Beispiel bei der Beerdigung der Kinder. Becker sagt dazu, er sei „aus persönlichem Berührtsein“ dorthin gegangen. Das, sagt Maeffert – in außergewöhnlichem Einklang mit dem Oberstaatsanwalt – „nehme ich Ihnen ab. Aber was war der Erkenntniswert?“ Er habe, antwortet Becker, „ganz naturgemäß“ das Verhalten der Familie zueinander beobachtet: „Ob man sich gegenseitig in den Arm nimmt, stützt.“
Die Weimars hätten sich nicht verhalten, „wie sich ein normales Ehepaar nach allgemeiner Lebenserfahrung verhält“.
Also war auch hier, fragt Maeffert akribisch nach, der Erkenntniswert gering, oder? Monika Weimar stand schließlich gerade wegen ihrer zerrütteten Ehe unter Tatverdacht.
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