: Lackledertunten im Wartesaal
■ Neun Shows pro Wochenende: Am Ku'damm wurde das „Trottoir Varieteater“ eröffnet. Das ehemalige Stammpublikum des Travestielokals „Das Ei“ strömte
Na, meine Dame, was halten Sie denn da so fest? Das bißchen Busen?“ Diese Frechheit läßt sich die stämmige Berlinerin in der ersten Reihe nicht gefallen: „Ein bißchen?! Reichlich!“ – „Na, dann einfach fallen lassen!“ rät Dominique, der schöne Conferencier mit dem Federschmuck im blonden Haar und den gefährlich aussehenden Stöckelschuhen. „Das pendelt sich dann auf Kniehöhe ein.“
Alle lachen, auch das Opfer kichert beglückt. „Der Ansager mit seiner frechen Schnauze war am besten“, urteilt ein Touristenpaar aus Düsseldorf, das sicherheitshalber den am weitesten von der Bühne entfernten Tisch gewählt hat. Die übrigen Darbietungen im neueröffneten „Trottoir Varieteater“ lassen sich allerdings nur mit viel Alkohol im Blut ertragen. Ein halbnackter brasilianischer Tänzer mit gepierctem Bauchnabel und bemüht dämonischem Blick hüpft über die Bühne, und die Sängerin Monica Reasa singt in tragischer Pose, so laut sie nur kann: „Don't cry for me, Argentina“.
Abgesehen von diesen beiden Nummern bietet das Trottoir ein reines Travestieprogramm, das ziemlich phantasielos ausfällt. Playbacknummern werden abgenudelt, altmodisch schlüpfrige Liedchen („Wenn der Mensch den Unterleib nicht hätte“) wechseln sich mit Evergreens ab. Bemerkenswert ist eigentlich nur das Tempo, mit dem die beiden Travestiekünstler von einem Glitzerkleid ins nächste springen.
Am Ende kommt der Conferencier Dominique noch einmal auf die Bühne und nervt mit langatmigen Gynäkologenwitzen. Kopfschüttelnd blickt ein Zuschauer mit blondierter Fußballerfrisur in seinen 17-Mark- Cocktail: „Das ist alles viel zu artig hier! Und Limonen haben sie auch nicht.“ Sein Nachbar pflichtet ihm bei: „Das hat sich erledigt hier. Kann man in der Pfeife rauchen!“
Viele Zuschauer sind Stammgäste des plüschigen Travestielokals „Das Ei“, das vor einigen Monaten pleite ging. Die beiden Gründer des Trottoir – Dominique und der Tontechniker Frank Urban – haben den gemütlichen kleinen Raum in der Citypassage geschmackvoll eingerichtet und mit teurer Technik vollgestopft. Jetzt liegen Stoffdecken auf den Tischen, die Lautsprecher donnern, die Nebelmaschine surrt, und zu Beginn der Show sieht man eine mäßig spannende Videoprojektion, in der zwei Lackledertunten einen Herrn becircen.
Angekündigt war eigentlich ein besonders buntes Programm, aber schon in der Eröffnungsvorstellung fiel der Schlangenmensch aus. In Zukunft sollen Akrobatik, Jonglage und Striptease die nicht weniger als neun Shows pro Wochenende auflockern. Vielleicht wird dann ja doch noch ein passables Varietéprogramm daraus. An Wochentagen sind „Personality- Shows“ mit Künstlern wie Evelyn Künneke und Zazie de Paris geplant. Und jeden zweiten Montag dürfen die Zuschauer zeigen, was sie können – „zum Beispiel Karaoke oder Striptease“, droht Urban. Immerhin wird der „Blaue Montag“ von Gérôme Castell moderiert, Mitglied der originellen Travestie-Theatergruppe „Teufelsberg Produktion“, die das unvergeßliche Neuköllner Spießerpaar Edith und Hotte erfunden hat. Die „Clubatmosphäre“ im Trottoir ist Urban wichtiger als das Programm: „Die Show steht nicht im Mittelpunkt. Wenn die Leute meinen, daß sie lieber tanzen wollen, dann bestimmen sie das und nicht der Laden.“ Gerade die Spätshows sind auch als Wartesaal für Zuschauer gedacht, die den Höhepunkt des Abends schon hinter oder noch vor sich haben: „Manche lassen den Abend hier ausklingen, für andere ist es der Auftakt, bevor sie in irgendeinen Techno- Keller gehen.“
Fast alle Zuschauer beim Eröffnungsabend sind allerdings deutlich über 45 Jahre alt. Der einzige Kandidat für den Techno-Keller heißt Andreas, kommt aus Köln und wollte eigentlich ins „Ei“. Trotzdem haben sich seine Erwartungen erfüllt: „Ich habe in einem Schwulen-Stadtführer gelesen, daß dort drittklassige Travestietunten ihre zweitklassigen Kollegen nachmachen würden – und so sieht's auch hier aus.“ Miriam Hoffmeyer
Fr.–So., 20 Uhr „Showtime“, 22 Uhr „Hautnah“, 24 Uhr „Schwarze Nacht“. Ab 19.8. Jeden zweiten Montag um 20 Uhr „Blauer Montag“, Trottoir Varieteater, Knesebeckstraße 56-58
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