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Gemütlichkeit gehört zum Konzept

Am Märkischen Ufer liegen museumsreife Lastkähne. Jetzt wurde die „Helene“ umgerüstet: Auf der „la mar“ gibt es Shanties, Jazzbrunch und Performances von Moving M 3. Winterfest ist das Theaterschiff aber bisher noch nicht  ■ Von Gerd Hartmann

Sie ist nicht die einzige, nicht die größte und nicht mal die älteste. Trotzdem hat „Helene“ etwas, womit weder „Renate-Angelika“ konkurrieren kann und schon gar nicht „Adonis“. „Helene“ beherbergt seit kurzem in ihrem Bauch ein Theater. Und weil das schließlich eine feine Angelegenheit ist, hat sie sich für ihre neue Aufgabe einen feineren Namen zugelegt: „la mar – das Theaterschiff“.

Bug an Bug mit 27 anderen Schiffen liegt der ehemalige Lastkahn am Märkischen Ufer in Mitte, direkt gegenüber dem südöstlichsten Zipfel der Fischerinsel. Ein Berliner Idyll: am Horizont ragen die Hochhaussilos an der Gertraudenstraße gen Himmel, am Ufer wechselt Geschichtsträchtiges mit der letzten Plattenbaugeneration und Baustellen ab. Ansonsten kaum Verkehr. Eigentlich würde dieser beschauliche Boulevard zum Flanieren einladen, aber dazu fehlt es noch an Infrastruktur.

Eher abgeschieden dümpeln die umgetaufte „Helene“ und ihre Schiffskumpane im Historischen Hafen. Auf dem Nachbarkahn hat sich eine Kneipe etabliert, in einem anderen Pott informiert ein kleines Museum über die Geschichte der Binnenschiffahrt, das war's. Hoffentlich nicht mehr lange: Das Betreiberteam des schwimmenden Theaters will den ehemaligen Laderaum mit einer bunten Kleinkunstmischung wieder zum Leben erwecken. Dazu wurde eine kleine Bühne installiert, einschließlich recht harter Sitzbänke für 99 Zuschauer.

Im vorderen Teil des metallenen Raums sieht es eher heimelig aus. Ein Tresen und Cafétisch laden zum Getränkekonsum vor und nach der Vorstellung ein. Ein wichtiger Teil des Konzepts, nicht nur der Gemütlichkeit wegen. Das Theaterschiff bekommt bis jetzt keinerlei Unterstützung von außerhalb, die laufenden Kosten müssen außer an der Billettkasse auch mit Hilfe der Gastronomie erwirtschaftet werden. Ganz zu schweigen von den 50.000 Mark, die nötig waren, um den fast hundert Jahre alten Transportkahn für Kabelrollen zu einem begehbaren Schiff umzugestalten.

Die Seitenwände wurden teilweise erneuert, Luken eingebaut, die Bauaufsicht forderte einen zweiten Ausgang. Trotz Hunderter Arbeitsstunden fehlt noch vieles. Zur Verrichtung allzu menschlicher Bedürfnisse muß man sich über die Planken zum benachbarten Kneipenschiff hangeln, außer einem kleinen Wassertank gibt es derzeit keinerlei sanitäre Einrichtungen. Dementsprechend einfach ist der gastronomische Standard. Aber wenn die geplante Kombüse erst einmal fertig ist, soll es auch eine kleine Speisekarte geben.

„Wir sind keine Seeleute“, sagt Frank Pompe. Die jungen Neuschiffer kommen allesamt von den Musen, aber da eher aus den praktischen Bereichen. Früher war Pompe Beleuchtungsmeister am Friedrichstadtpalast; Stephan Besson arbeitete als Technischer Leiter bei der Kammeroper und entwirft Bühnenbilder; Klaus Palm kümmerte sich im verblichenen Schiller Theater um Requisite und Bühne. Der Theaterwissenschaftler Oliver Munk, Nummer vier im Bunde, bringt Erfahrung als Regisseur und Dramaturg mit. Dem festen Job haben alle adieu gesagt, inzwischen arbeiten sie freiberuflich. Die persönlichen Gestaltungsmöglichkeiten abseits der engen, extrem arbeitsteiligen Strukturen in den großen Häusern bilden denn auch die Hauptantriebsfeder für ihre theatralische Binnenschifferei.

Der erste Ausflug auf die Planken ist „la mar“ allerdings nicht. Im letzten Jahr organisierte die Crew in Potsdam ein dreitägiges Hafenfest. Der Erfolg gab einen entsprechenden Antrieb. Da die Ex-Helene wie der Potsdamer Kahn von der Berlin-Brandenburgischen Schiffahrtsgesellschaft verwaltet wird, war es zur Realisierung des Traums nur ein relativ kleiner Schritt. Der gemeinnützige Verein, der sich den Erhalt historischer Binnenschiffe zur Aufgabe gemacht hat, vermittelte den Kontakt zum Eigner. Unter seinen Fittichen stehen alle Kähne am Märkischen Ufer. Wenn möglich sollen sie einer neuen Nutzung zugeführt werden. Wenn sich Betreiber und Besitzer handelseinig werden, kann das auch durchaus Kultur sein. Die etwas weiter flußabwärts ankernde „Anna“ wurde schon am Anfang des Sommers zum Kunstschiff umfunktioniert.

Daß es bei der „mar“ etwas länger gedauert hat, ist einem allzu ausgiebigen Renovierungsaufenthalt im Trockendock zu verdanken. Die laufende Saison wird daher reichlich kurz werden, denn winterfest ist das Theaterschiff bisher nicht. Bis Anfang Oktober soll gespielt werden, wenn es das Wetter zuläßt, vielleicht auch etwas länger. Diese Zeit begreifen die Macher als Test, um auszuloten, was möglich ist, und vor allem auch, was das Publikum annimmt. Dann wird sich entscheiden, wie lange der Mietvertrag laufen soll.

Fünf Jahre würde die Crew schon gern durchhalten, vielleicht sogar mit ganzjährigem Spielbetrieb. Ein Financier für den sechsstelligen Betrag, den der Einbau einer Heizung kosten würde, ist aber noch nicht in Sicht. Auf öffentliche Geldgeber baut man ohnehin nur ungern – und wenn schon, dann nur partiell. Denn Unabhängigkeit ist das oberste Ziel. In eine bestimmte Szene wollen sich die Theaterschiffer nicht einordnen lassen.

Entsprechend vielfältig ist das Programm: Nachmittagsclownerien und Theater mit Papierfiguren für Kinder stehen genauso auf dem Plan wie die neueste Premiere der für ihren innovativen Umgang mit theaterfremden Räumen bekannten Performancegruppe Moving M 3 im September. Der ORB ist an einem sonntäglichen Jazzbrunch interessiert, und mit „Theatermitte“, zu dem auch Oliver Munk gehört, verfügt man auch über eine Art Hausensemble.

Schon die Kontakte dieses aus der Theaterloge Mitte hervorgegangenen Ensembles – früher im Künsterclub Möwe ansässig – bürgen für Internationalität. Das Moskauer Aida Theaterro gastiert ab 21. 8., und die legendären Szenebarden Wenzel & Menschig geben bei einem Sondergastspiel (24. 8., 18 Uhr) ortsgerecht Shanties zum besten. Ein erster Höhepunkt wird sicherlich das große Hafenfest (30. 8. bis 1. 9.), zu dem das Theaterschiff fast ganztägig Programm macht.

Bisher war den Theatermatrosen das Glück nicht recht hold. Die Jazzcombo, die zur Eröffnung vor einer Woche aufspielen sollte, erkrankte, und ein Gastspiel von Mitgliedern der Londoner Shakespeare Company mußte wegen namensrechtlicher Probleme kurzfristig abgesagt werden. Aber jetzt heißt es endgültig: Leinen los.

la mar – das Theaterschiff,

Am Märkischen Ufer, Mitte;

Infos: 0177/3339322

Nächste Veranstaltungen:

15.–18. 8., 20.30 Uhr, „Crumbdreams“ (Performance);

17./18. 8., 15 Uhr, Yopi (Musikclownerie für Kinder).

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