: Nun kommt der Irak doch nicht
Während die deutschen Basketballer nicht nachrücken, sondern sich mächtig ärgern, gewinnt das Frauenteam sein erstes paralympisches Spiel ■ Aus Atlanta Iris Hilberth
Die Vorrunde der Basketballer hatte noch gar nicht begonnen, da sollte das paralympische Turnier von Atlanta schon ein Nachspiel haben. Ulf Mehrens war sauer. Und der Vorsitzende der Rollstuhlbasketballer würde dafür sorgen, daß dies die maßgeblichen Leute auch erfahren und daß es Konsequenzen haben würde. Hatte man ihn doch in Atlanta gleich bei der Begrüßung gefragt, wo denn seine Mannschaft sei. Als Trainer des Silbermedaillengewinners von Barcelona 1992 wäre ihm natürlich nichts lieber gewesen, als seine Mannen hier im Omni-Center auf der Jagd nach Pluspunkten für die Sportförderung zu sehen.
Doch dafür reichte ein sechster Platz bei den Europameisterschaften nicht. Das wußten die Sportsfreunde aus dem internationalen Geschäft auch. Daher hätten sie sicher nicht so ahnungslos gefragt, hätte die Mannschaft aus dem Irak nicht ihre Teilnahme abgesagt und wäre nicht Deutschland als erster Nachrücker auf der Qualifikationsliste gestanden.
Mehrfach allerdings waren die Anfragen Mehrens' abgewiesen worden, und so hatte sich der Chef der Rollis damit abgefunden, daß auch dieses Basketballturnier in Atlanta ohne Beteiligung des deutschen Männerteams stattfinden würde.
Das ist eine Sache, die nicht nur schade ist, sondern auch finanziell einen Rückschritt bedeutet. Die Rollstuhlbasketballer hatten sich damit nämlich aus der A-Förderung der Deutschen Sporthilfe herausgespielt. Das Team löste sich daraufhin im vergangenen Jahr auf, mit jungen Spielern wurde ein Neuanfang gemacht.
„Hätten wir das gewußt“, wetterte Mehrens, „die Jungs hätten auch zwei Stunden vor dem Abflug ihre Sachen noch gepackt.“
Doch alles „wenn“ und „hätte“ nützt nichts. Also lehnte sich Ulf Mehrens in seinem Sitz im Omni- Center zurück und freute sich, daß wenigstens das Frauenteam sich da unten „gut verkauft“.
Mit 36:34 Punkte haben die deutschen Spielerinnen gegen die Mannschaft Australiens gewonnen. Atlanta hält also auch positive Überraschungen für Mehrens bereit. Denn Australien war immerhin das, was gemeinhin als Angstgegnerin bezeichnet wird. „Die wichtigsten Spiele haben wir gegen diese Mannschaft bisher immer verloren“, sagte Trainerin Susanne Baute.
Das entscheidende Spiel auf dem Weg ins angestrebte Halbfinale war zugleich der erste paralympische Auftritt der deutschen Basketballerinnen in Atlanta. Technisch wie taktisch machten sie ihre Sache gut, flitzten über das Spielfeld und zeigten, wie wendig doch so ein Rollstuhl sein kann, wird er nahezu perfekt beherrscht. Passen, drippeln, bremsen, Wurf – die deutschen Spielerinnen kamen immer besser in Fahrt. Selbst die überragende Weltauswahlsportlerin Liesel Tesh konnte sie nicht bremsen.
Das Publikum war begeistert, Ulf Mehrens ebenfalls: „Rollstuhlbasketball boomt“, sagt er. Auch in Deutschland findet diese Sportart, die sich keineswegs als Behindertenvariante des Fußgängerbasketballs versteht, immer mehr Anhänger. 120 Nichtbehinderte haben inzwischen in wendigen Flitzern Platz genommen, um in den Punktrunden mitzuspielen – ein Pilotprojekt, das durch eine Abstimmung aller Rollstuhlbasketballer auch für die Zukunft seine Zustimmung fand. Integration kann auch umgekehrt funktionieren.
Als Basketballer sind die Rollstuhlsportler unter den Körben inzwischen zweifellos anerkannt. Spätestens die Wahl Mehrens' zum „Trainer des Jahres“ nach dem Paralympics-Erfolg 1992 durch den Deutschen Basketballbund (DBB) und die gemeinsame Ausrichtung der EM 1993 haben dafür gesorgt.
Ein weiterer Schritt der Annäherung Behinderter und Nichtbehinderter soll Anfang September gemacht werden. „Dann wird entschieden, ob wir Rollstuhlbasketball in den DBB integrieren oder ob beide Verbände fusionieren“, sagt Mehrens. Eines haben beide ganz bestimmt gemeinsam: Weder das Männerteam des einen noch das des anderen Verbandes war unter den Körben von Atlanta anzutreffen.
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